Der unterirdische Fluss

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Vorne schlug Wasser gegen Stein. Arseni lenkte das Kanu auf das Plätschern zu, indem er das Ruder näher an sich heranzog. Noch war nichts von der Ausbuchtung zu sehen – nur die Wellen verrieten sie. Die Strömung floss hier langsam und Arseni hatte aufgehört, mit dem Ruder nachhelfen zu wollen. Zu dem Plätschern kam jetzt ein mattes Glühen, wie das Licht einer Stadt, die der Horizont verdeckt. Arseni trieb um eine Biegung und steckte die Hand ins Wasser. Es war kalt und kribbelte auf der Haut.
Das Boot näherte sich dem Ufer und Arseni stand auf, fing den Aufprall ab. Er hielt sich am Stein fest und zog die Seite des Bootes an die Uferwand. Er war in einer Aushöhlung, einer Höhle in der Höhle. Die Wände und der Boden waren von Flechten bedeckt: Sie schimmerten grünlich und rötlich und gelblich und weißlich und bräunlich. Arseni kletterte aus dem Kanu und zog es an Land. Er hielt seine Handfläche ans Licht: Es war so schwach, dass seine Haut grau aussah und die Falten darauf scharfe Linien zogen.
Das Wasser des Flusses war nicht giftig, aber auch kein Trinkwasser. Arseni hatte es einmal gekostet. Es stach in Hals und Magen und löschte den Durst nicht. Vielleicht wuchs deshalb nichts, im unterirdischen Fluss, und lebte nichts darin. Aber hier gab es Pflanzen. Woher nahmen sie ihre Kraft?
Es musste eine Quelle geben. Arseni ging die Seitenwände ab. Die Ausbuchtung maß keine zwanzig Schritt. Jedes Mal, wenn er eine Flechte berührte, zuckte sie und leuchtete auf, sodass das Licht in den Augen schmerzte und Arseni warten musste, bis er sich wieder an die Dunkelheit gewohnt hatte. An einer Stelle war die Wand feucht. Die Flechten standen hier dichter und blitzten schärfer. Aus einem Riss im Fels sickerte Wasser. Arseni drückte die hohle Hand gegen den Stein und sie füllte sich mit lauwarmer Flüssigkeit. Das Wasser musste von oben kommen, wo die Sonne den Stein wärmte. Er trank. Füllte die Hand und trank, füllte die Hand – trank – füllte noch einmal die Hand. Holte Luft und trank. Setzte sich, vom gelöschten Durst müde, und schlief ein.
Die Pflanzen legten sich ihm über den Leib. Wuchsen in Augen und Nase, in die Poren der Haut, in die Wurzeln des Haars; sie hoben und senkten sich im Takt Arsenis Atems, der schließlich erlosch.

Gefieder · KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt