Pastis Official

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Onur schrieb, als verdecke er die Schrift mit seinem Körper, als hätte er Angst, jemand könne sich anschleichen und heimlich die Worte lesen, die ihm allein gehörten. Er hielt die Füllfeder in der linken Hand und hatte sein Notizbuch so weit nach rechts gedreht, dass er genaugenommen nicht mehr von links nach rechts, sondern von oben nach unten schrieb.
Die Kellnerin brachte den Pastis. Onur beendete den Satz, „... Furche an deiner Nasenwurzel, wenn du lachst." Dann setzte er ab und legte die Füllfeder in das aufgeschlagene Buch, damit der Wind die Seiten nicht umblätterte. Er kippte Wasser zum Pastis und das Eis knackte. Mit Asan hatte er ganze Tage mit Reden, Rauchen und Pastis verbracht. Aber nicht hier, sondern im Café du Sel in der sandingen Luft der Promenade von Marseille. Alle paar Minuten mussten sie die Zigarettenschachteln festhalten, damit der Mistral sie nicht verschleppte und ihnen wegrauchte, still und ohne Eile, in seiner Wolke oder seinem Wunderhorn oder wo auch immer Winde wohnten. Aber das war damals in der glücklichen Zeit, in der gemeinsamen Zeit. Während der Jahre in Lille, war Onur mit Asan nur ein einziges Mal hier am Pferdekarussel gewesen, am ersten Tag in der neuen Stadt. Jetzt standen die Schimmel still und ein Schild hing an einem der Holzohren: Außer Betrieb. Ihr Pferd sah noch aus wie vor zehn Jahren. Die türkisen Sattel der Holzschimmel leuchteten noch genauso, wie Onur es in Erinnerung hatte. Vielleicht waren sie restauriert worden, in einem letzten Wiederbelebungsversuch, bevor die Stadt den Betrieb endgültig eingestellt hatte.
Ein letzter Brief. Sie antwortete nie und würde niemals antworten. Wieso sollte sie auch? Sie hatte ihr Leben: einen Mann – das wusste er –, Kinder? – das wusste er nicht. Aber warum sollte sie keine haben?
Der Pastis schmeckte bitter. Das Wasser hier war weniger süß. Im Süden reifte es in der Sonne wie die Tomaten. Deshalb roch alles so süß in Marseille und in Lille so bitter.
Aber es hatte schließlich offiziell sein müssen. „Denk an die Eltern", hatte Asan gesagt, „für uns ändert sich nichts." Und sie küsste Onur auf die Seite des geschlossenen Mundes und öffnete den Reisverschluss seines Rucksacks und zog daraus den schwarzen Filzstift, mit dem er manchmal zeichnete und schrieb auf den Hals des Ringelspielpferdes ihre Namen, das Jahr und das Wort „official". „Auf Spanisch klingt es nicht streng", sagte sie und er nahm ihr den Stift aus der Hand und zeichnete ein Herz dazu. „Es ändert sich nichts", sagte sie und bohrte ihm die Finger ins Haar und grub seinen Kopf um.
Onur klappte das Notizbuch mit dem unfertigen Brief zu und legte die Füllfeder daneben. Die Eiswürfel schmolzen in den Pastis. Jetzt knackten sie schon nicht mehr.

Gefieder · KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt