Ich wachte davon auf, dass jemand die Wohnungstür aufschloss. Erschrocken schlug ich die Augen auf. Wer konnte das um die Uhrzeit sein? Etwa ein Einbrecher? Nein, erinnerte ich mich. Einbrecher hatten keine Schlüssel. Es sei denn... ja, es sei denn, Izzy war so naiv ihre Schlüssel unter die Fußmatte zu legen. Was ich nicht glaubte. Aber wer war es dann? Möglichst leise drehte ich mich zur Seite und setzte die Füße auf den Boden. Im nächsten Moment spürte ich einen stechenden Schmerz im Genick. Ich hätte mich doch noch einmal hinlegen sollen anstatt beim Musikhören einzuschlafen. So leise wie ich nur konnte schlich ich zur Tür, welche direkt in den Flur führte – in dem nun dieser Jemand die Tür öffnete. Von Panik erfasst hielt ich die Luft an, griff um mich und fand die perfekte Schlagwaffe: Den Weltatlas, in dem ich Izzy am Abend zuvor gezeigt hatte, wo ich herkam. Das Ding wog gut und gerne drei bis vier Kilo. Wer immer das da draußen war, er konnte sich auf was gefasst machen.
Die Haustür schlug zu.
Ich hörte Schritte, die näher kamen.
Drei,
Zwei
Eins...
Ohne zu zögern sprang ich um die Ecke und schlug dem Eindringling den Atlas über den Schädel.
„Was willst du hier?" schrie ich. Naja, das „hier" hörte man kaum noch, da meine Stimme versagte.
Der Mann, den ich da niedergeschlagen hatte, war Luke!
„Oh scheiße! Luke, ist alles in Ordnung? Es tut mir so leid! Das wollte ich wirklich nicht! Ich dachte, du wärst... ach egal. Bist du okay?"
„Seh' ich so aus?", fragte Luke ärgerlich. Er rieb sich grimmig die Stirn. Zum Glück hatte ich ihn nicht an der Nase getroffen. Das wäre wahrscheinlich noch viel schmerzhafter gewesen. Glücklich schien er trotzdem nicht. Im Gegenteil.
„Was soll der Scheiß bitteschön? Oder ist das in Deutschland so üblich, dass man Besuchern zuerst mal einen Atlas über den Kopf schlägt? Ich dachte, Iz hätte dir Bescheid gesagt, dass ich dich abholen würde."
„Ja, hat sie auch. Aber doch nicht um diese Uhrzeit! Oder ist das in England so?" (Bääm! Schlagfertigkeit war mein zweiter Vorname. Hatte ich das schon erwähnt?)
Warum sah er mich denn so komisch an? Hatte ich etwa irgendetwas im Gesicht? Unauffällig sah ich zum Spiegel.
„Keine Sorge, da ist nichts", sagte Luke, „ich habe nur gerade überlegt, ob ihr Deutschen eine andere Uhr habt. Bei uns isst man nämlich mittags, und schläft nicht."
Mittags??? Aber es war doch erst... oder etwa doch nicht? Verstohlen warf ich einen Blick auf die antike Uhr, die zwischen dem Schuhschrank und dem Spiegel an der Wand im Flur hing. Halb eins.
„Ääh, was soll ich sagen? Ups?" Ich machte ein betretenes Gesicht. „Wie wär's mit ,Entschuldigung'? Oder macht man das in Deutschland nicht?", fragte er zurück. Er wusste ganz genau, dass ich das schon getan hatte! Wütend drehte ich mich um und marschierte in mein Zimmer, um meine Jacke zu holen. „Hey Schlafmütze, Ich geh schon mal runter. Wenn du noch länger brauchst, geb ich dir einen Tipp: drei Straßen weiter ist eine Bushaltestelle", hörte ich ihn auf dem Flur sagen. Kurz darauf fiel die Wohnungstür hinter ihm zu.
„Arrrgh", knurrte ich, um meinem Ärger Luft zu machen. Was bildete er sich eigentlich ein? Dabei hatte er noch Glück gehabt. Ich hätte genauso gut eine Bratpfanne nehmen können. Er sollte mal nicht so empfindlich sein!
Auf der Straße heulte ein Motor auf. So ein arrogantes Arschloch! Was Izzy nur an ihm fand... Blitzschnell schnappte ich mir meine schwarze Lederjacke und lief die Treppe hinunter auf die Straße hinaus. Gleichzeitig versuchte ich, die Wohnungsschlüssel in meine Hosentasche zu stecken und Luke's Auto zu suchen. Ich blickte die Straße hinunter, konnte aber nur zwei Autos entdecken: einen BMW (wahrscheinlich das Zweitauto meiner Gasteltern) und einen knallroten, nagelneuen Jaguar. Moment mal! Ein Jaguar? Im Ernst??? Naja, eigentlich sollte mich bei Luke gar nichts mehr überraschen.
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Exchange
Teen FictionStell dir vor, du freust dich wie ein kleines Kind auf deinen Schüleraustausch - und merkst dann, dass all deine Vorstellungen Meilen von der Realität entfernt waren. Stell dir vor, du kommst in ein Land, in dem du niemanden kennst und dessen Sprach...