29 | Unschlüssig

3.8K 239 33
                                    

Lied: Armir- J'ai cherché

Im Auto war es stockdunkel, nur die Straßenlaternen, an denen wir vorbeifuhren, spendeten immer kurze Zeit Licht. Ich lehnte meinen Kopf gegen das kalte Fenster und ließ die Tränen heimlich weiterlaufen. Alma fuhr das Auto weiter, ohne ein weiteres Wort zu verlieren und als ich zu ihr hinübersah, konnte ich trotz der Dunkelheit erkennen, dass sie wütend sein musste. Irgendwann fielen mir die Augen vor Müdigkeit zu und ich fiel in einem leichten Schlaf, doch ich bemerkte irgendwann, dass das Auto gehalten hatte und plötzlich wurde die Autotür auf meiner Seite aufgemacht. Ich war noch im Halbschlaf, jedoch schien Alma diejenige zu sein, die meinen Gurt löste und mich aus dem Auto hievte. Sie murmelte irgendwas, was ich nicht verstand, da meine Augenlider schon wieder schlappmachten. Irgendwann fing ich mich kurz wieder, doch da lag ich schon irgendwo anders, auf etwas Weichem - einem Bett. Ich blinzelte und versuchte mich an die Dunkelheit zu gewöhnen und dann vernahm ich eine Bewegung im Zimmer. Und dann spürte ich, wie Alma meine Heels auszog.
"Okay, wie es aussieht, bring es heute nichts mehr mit dir zu reden...", glaubte ich sie zu murmeln hören. Ich erwiderte nichts, dann spürte ich, wie Alma mich zudeckte. Das war das Letzte, was ich noch mitbekam, denn dann überkam mich einfach die Müdigkeit.

***

Langsam öffnete ich meine Augen, ließ sie dann aber wieder wegen der Müdigkeit zufallen. Es war so hell...Ich griff nach der Decke und schützte mein Gesicht den Sonnenstrahlen. Leise seufzend versuchte ich wieder in einem Traum zu versinken, doch als ich mich an die Decke schmiegte, drang mir dieser Duft in die Nase. Der Geruch nach Alma. Ich öffnete schlagartig meine Augen und mir wurde bewusst, dass ich mich nicht zu Hause in meinem Bett befand, sondern in Alma's! Sofort sah ich mich suchend in ihrem Zimmer um: Alles sah genau so, wie in Erinnerung aus. Das Sonnenlicht erhellte das Zimmer, doch Alma selbst befand sich nicht im Raum. Ich schlug die Bettdecke zurück und stand auf, doch augenblicklich drang ein Stechen durch meinen Kopf und ich griff mir an die Stirn. Was machte ich hier? Alles, was ich noch wusste, war, dass Alma mich hinter dem Club, nachdem Tony weg war, zum Auto bugsiert hatte...
Nachdem das Kopfstechen endlich wieder nachgelassen hatte, ging ich im Zimmer herum: Mein Blick fiel auf den Tisch, wo wieder einmal Unterlagen von der Schule lagen, an denen sie wohl gerade arbeiten musste. Dann fiel mein Blick in den daneben stehenden Spiegel und ich musste zweimal hinsehen, damit ich erkannte, dass ich gar nicht mein Kleid trug, sondern irgendeine Hose und ein lockeres T- Shirt, das ich noch nie gesehen hatte. Wo war mein Kleid? Hatte Alma mich etwa gestern umgezogen? Als ich dann mein Gesicht begutachtete, riss ich die Augen auf: Mein ganzes Make-Up und die Mascara waren verwischt. Schnell stolperte ich ins Bad, das ich eigentlich nur mehr durch Zufall fand, und wusch mein Gesicht ordentlich. Gott, ich wollte einfach nach Hause. Ich verließ das Bad und ging langsam die Treppen hinunter, Richtung Küche. Warum genau, wusste ich nicht. Vor dem Esstisch blieb ich stehen: Ich fühlte mich gerade irgendwie leer und müde. Vor allem hatte ich das Zeitgefühl verloren. Wie spät war es überhaupt? Wo war hier eine Uhr?

Hinter mir seufzte jemand und ich drehte mich erschrocken um und sah in Alma's blaue Augen: "Morgen. Nimm bitte Platz" Ich starrte sie kurz verwirrt an, dann folgte ich Alma's Anweisung langsam und setzte mich auf die Eckbank beim Tisch. Alma verfolgte jede meiner Bewegungen und setzte sich dann neben mich. Sie sah müde aus und hatte ihre schwarzen Haare nur provisorisch hochgesteckt, sie versuchte nicht einmal zu verstecken, dass sie vermutlich nicht viel geschlafen hatte. Alma wirkte zerstreut und doch hielt sie Blickkontakt mit mir. "Ich will nicht lange herumreden, Jill. Ich zerbreche mir schon die ganze Woche den Kopf darüber. Sag mir bitte endlich, was los ist!", ihr Ton war fest entschlossen und ich blickte zu Boden. Eine Weile blieb ich stumm und dann erinnerte ich mich wieder, warum ich ihr aus dem Weg gegangen war und mich überkam wieder die Wut. "Dasselbe könnte ich dich fragen", mittlerweile mit geballten Fäusten starrte ich immer noch den Boden an und sah dann zu ihr auf. Fassungslos und verwirrt schüttelte sie den Kopf: "Was? Was soll das jetzt wieder? Ich habe dieses Theater satt, du ...-"
"Wer von uns hat denn Mr Shears geküsst?!", unterbrach ich sie scharf. Alma starrte mich mit weit geöffneten Augen an und verstummte ganz. Entsetzen lag in ihrem Ausdruck und ich spürte wieder, wie mir die Tränen zu kommen drohten. "Ihr habt euch doch damals im Schulhaus geküsst. Und sag nicht, dass es nicht so war!", meine Stimme bebte bedrohlich und ich konnte nicht verhindern, dass meine Augen glasig wurden.
"Jill! Stopp!", warf Alma plötzlich aufgelöst ein, "Ich weiß nicht, was du gesehen hast,...-"
"Ich habe alles gesehen!!!", völlig außer mir, bemerkte ich, dass ich Alma angeschrien hatte und ich stemmte verzweifelt den Kopf in die Hände. Ich wollte weg von hier. Warum war ich nicht einfach abgehauen?
"Stopp, lass mich ausreden! Du verstehst das komplett falsch! Mr Shears hat mich völlig unerwartet geküsst! Ich habe das nicht gewollt, er hat mich einfach an sich gedrückt, glaub mir das!", Alma war auf gestanden und ging völlig aufgelöst im Raum herum, dann blieb sie stehen, verschränkte ihre Arme und fixierte mich, die mittlerweile komplett verwirrt war, mit einem fassungslosen Blick, " Wie kannst du nur glauben, dass ich Mr Shears freiwillig küssen wollte?! Ich würde das doch nie tun! Vertraust du mir überhaupt nicht??!!"
"Was?!! Aber...", das musste ich erst einmal verdauen, "....Und warum hast du mir generell nichts von dem Kuss erzählt?!" War das hier gerade alles real? Alma sah zu Boden und verstummte für eine Sekunde, dann seufzte sie: "Ich wollte dich nicht beunruhigen und mit irgendwas belasten. Für mich hat das mit Mr Shears überhaupt nichts bedeutet, ich habe ihn damals weggedrückt und ihm deutlich klar gemacht, dass ich nichts von ihm will" Als sie meinen, immer noch entsetzten, Blick sah, schwang sie plötzlich um und sah mich ärgerlich an: " Du kannst doch nicht einfach über mich urteilen, ohne zu wissen, was wirklich los war!!" Sie war enttäuscht von mir.
Mir kamen Zweifel, plötzlich wirkte alles einleuchtend - Hatte ich Alma tatsächlich unrecht getan? "Tut mir leid, was hätte ich denn tun sollen, wenn ich dich plötzlich jemand anderen küssen sehe?? Sag nicht, dass du nicht auch so reagiert hättest, wenn du mich mit jemand anderem gesehen hättest!", ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten und sah beschämt weg.
"Warum hast du mich nicht darauf angesprochen, sondern mich die ganze Zeit mit Ignoranz gestraft?", vorwurfsvoll sah sie mich an, dennoch wirkten ihre blauen Augen irgendwie traurig.
Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, was ich da getan hatte und ich fühlte mich schrecklich. "Ich..- Oh Gott, Es..es tut mir leid, ich habe mich wie ein Kind aufgeführt...Ich weiß es nicht, ich war einfach so geschockt und verzweifelt. Ich hatte Angst", meine Stimme verstummte. Verzweiflung und Eifersucht stellten merkwürdige Dinge mit mir an und mein Verhalten war daher einfach nur dumm gewesen. Wie hatte ich an Alma zweifeln können?
Wir sagten beide eine Weile nichts mehr, die Stille schien mich zu erdrücken und ich wischte die restlichen Tränen von meinen Wangen. Ich fühlte mich elend. Plötzlich stand Alma auf und verließ den Raum. Ich blieb verwundert zurück, doch kurze Zeit später kam sie mit meinem Kleid, das ich mir von Sarah für den Club ausgeborgt hatte, zurück. Sie drückte es mir wortlos in die Hand und ich murmelte ein kaum hörbares "Danke" Es herrschte wieder Stille.
"Vielleicht brauchen wir einfach einmal eine Pause voneinander", meinte Alma plötzlich leise, ohne mich anzusehen. "Vielleicht haben wir da einfach einen gewaltigen Fehler mit uns gemacht" Was?? Fehler? Was bedeutete "eine Pause"? Wie lange war "eine Pause"? Ich war entsetzt, wollte empört protestieren und ihr mit Tränen in den Augen erklären, dass es mir so leid tat, doch stattdessen murmelte ich irgendwann ein leises "Okay". Selbst Alma schien überrascht über meine Antwort zu sein, sie sah mich an, sagte aber nichts und sah dann wieder zu Boden. Ich hielt die Tränen zurück und das Schlimmste war, dass ich das Gefühl hatte, dass alles hier meine Schuld war, deshalb wollte ich ihr auch diese Pause geben. Vermutlich war es das beste, ich hatte ja selbst gesehen, dass sie kaum geschlafen hatte und ganz aufgewühlt war. Hätte ich damals sofort Alma gefragt, wäre das alles nicht passiert. Mein Körper verkrampfte sich, mein Herz tat weh und der Entschluss war bereits gefallen.
Langsam stand ich auf, Alma sah mich immer noch nicht an, jedoch bemerkte ich, wie ihre Lippe zitterte. Ich überlegte, ob ich noch etwas sagen sollte, doch nichts konnte wohl mein Verhalten entschuldigen oder irgendwas an der Situation ändern, vielleicht war "eine Pause" gut für uns. Deshalb verließ ich, mit Sarahs Kleid, die Küche, doch als ich vor der Eingangstür stand, glaubte ich ein leises Schluchzen gehört zu haben. Ich blieb stehen und wartete noch kurz, doch es wiederholte sich nicht und schließlich ergriff ich zitternd den Türgriff und verließ Alma's Haus. Dann fiel die Tür hinter mir ins Schloss.

Admiring her | girlxgirl Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt