8 | Vergiss sie

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Lied: Sia - Fire meet Gasoline

Ich schlug die Augen ruckartig auf und ließ den Blick an die Zimmerdecke fallen. Das Erste, was mir einfiel, war, dass heute Valentinstag vor der Tür stand. Augenblicklich musste ich an Miss Rose denken und seufzte. Ob sie wohl mittlerweile einen Verehrer hatte oder sogar womöglich heute Blumen erhalten würde? Träge setzte ich mich auf und starrte auf den Wecker. Wie schön es doch gewesen wäre, wenn irgendwas heute passiert wäre. Zum Beispiel, dass sie mir Blumen oder Schokolade schenkte, doch tief im Inneren wusste ich, dass das nur mein Wunsch war und es niemals passieren würde, weil ich nur die kleine dumme Schülerin war, die ihrer Lehrerin hinterherrannte und für die sich so etwas nicht lohnte. Ich bemerkte, dass ich einmal wieder völlig auf Miss Rose konzentriert war und Tony gar nicht beachtete. Ich ermahnte mich im Stillen, dass ich endlich damit aufhören sollte; Miss Rose würde ich nächstes Jahr sowieso nicht mehr im Unterricht haben. Dieses Ständige Auf und Ab der Gefühle musste endlich aufhören! Ich schlug die Bettdecke zur Seite, streckte mich ausgiebig und machte mich fertig, um in die Schule zu gehen. Ich hatte heute keine Lust auf Schule, aber immerhin hatte ich eine kleine Motivation für die Woche: Am Wochenende würde ich meine Schwester Chelsea wieder treffen.

Ich kam relativ spät in der Schule an und daher wimmelte das Gebäude nur so von Schülern. Ich beobachtete ein Mädchen und einen Jungen, der dem Mädchen eine weiße Rose schenkte und das Mädchen umarmte ihn lächelnd. Wenn ich so darüber nachdachte, kannte ich eigentlich an dieser Schule niemanden der in einer lesbischen oder schwulen Beziehung war. Zumindest nicht offiziell. Ich zwängte mich durch die Menschenmenge, Richtung Klasse. Gerade noch vor dem Läuten erreichte ich sie und huschte schnell auf meinen Platz. Neben mir saßen Lena und Sarah, die eifrig damit beschäftig waren miteinander zu reden. Mit Lena war mittlerweile alles wieder gut und sie hatte, wie von Nadine vorhergesagt, schon wieder den nächsten Typ im Kopf...In der ersten Stunden hatten wir Deutsch, eine ziemlich langweilige Stunde, da wir heute nur Grammatik machen würden. Mr Bail, der Deutsch unterrichtete, war zudem auch noch unser Klassenlehrer. Mein Blick schweifte in der Klasse herum - Wo war Tony eigentlich?
Lena stupste mich an und flüsterte: "Kennst du Henrick Tompson?"
"Der Typ aus der Nebenklasse?", flüsterte ich zurück und sie nickte verträumt.
"Hm, hm!", kam es von Mr Bail und als wir beide auf sahen, bemerkten wir, dass er uns abwartend ansah. Ich hatte ihn gar nicht kommen hören. Wir murmelten eine Entschuldigung und Mr Bail wandte sich wieder ab: "Ich habe eine Neuigkeit für euch "
"Ist er Single? ", flüstere Lena trotz der Ermahnung weiter und ich seufzte: "Keine Ahnung. Denke schon, warum?"
"Wir werden in genau zwei Wochen, wenn alles passt, vier Tage in die Berge zum Skifahren fahren", fuhr Mr Bail fort, "Beziehungsweise auch zum Snowboarden" Aufgeregtes Gemurmel brach in der Klasse aus und sogar Lena horchte jetzt auf. "Was? Skifahren?"
"Genauere Informationen kann ich euch in den nächsten Tagen sagen. Ich habe euch ja einmal diesen Ausflug versprochen", lächelte Mr Bail und rückte seine Brille zu Recht.
"Ich war ewig schon nicht mehr Skifahren. Das wird sicher toll ", schwärmte ich an meine Freundinnen gewandt. Sarah nickte zustimmend. "Ich bin noch nie Ski gefahren, ich snowboarde eigentlich immer nur ", meinte Emma.
"Als zweiten Lehrer, der mitkommen würde, habe ich Miss Gäelle gefragt und sie hat zugestimmt", Mr Bail sah zu uns. Miss Gäelle? Naja, sie war zwar unsere Französischlehrerin, aber sie war auch ziemlich nett, wenn man sich nicht gerade dumm anstellte. Irgendwie war ich doch froh, dass Miss Rose nicht mitfuhr, denn dann würde ich sie gar nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Apropos Miss Rose: Ich hatte irgendwann noch einen Termin mit ihr, damit sie mir bei einem Thema in Englisch half, aber sie hatte mir keinen genauen Termin genannt. Ich hoffte, dass sie es einfach vergessen hatte. Nach Mr Bail's Neuigkeiten führen wir mit dem Stoff fort und als die Stunde endlich endete, ging ich auf den Flur um mir einen Kaffee zu holen, doch gerade als ich beim Automaten angekommen war, kam mir Tony entgegen.
"Hi", lächelte er, als er bei mir zum Stehen kam.
"Hey", murmelte ich unsicher und lächelte.
"Also...heute ist ja Valentinstag ", begann er verlegen "und naja ich hab' dir etwas besorgt. Hier für dich" Er streckte mir eine rote Rose und eine kleine Schachtel Pralinen entgegen.
"Oh danke!", ich merkte, dass ich rot wurde und nahm die Geschenke lächelnd an. Damit hatte ich nicht gerechnet. "Wow, das wäre echt nicht nötig gewesen", stammelte ich. Bis jetzt hatte mir noch nie jemand etwas zum Valentinstag geschenkt; Es war, als wäre ein alter, bekannter Traum in Erfüllung gegangen. Tony freute sich sichtlich darüber, dass es mir Freude bereitete und lächelte mich charmant an: "Das ist das Mindeste, das ich tun kann" Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und behielt dieses Lächeln, das ihm wirklich ausgesprochen gut stand. Ich fühlte mich etwas wackelig auf den Beinen und merkte, wie mir abwechselnd heiß und kalt wurde. Sollte ich ihn jetzt küssen? Auf den Mund oder auf die Wange? Bevor ich hilflos in der Gegend herum stand, entschied ich mich für den Wangenkuss. Ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, da er etwas größer als ich war. Seine Haut war weich und fühlte sich angenehm auf meinen Lippen an. Als ich wieder abließ, wirkte er überglücklich: "Hast du vielleicht heute Abend Zeit? Wir könnten ins Kino gehen, wenn du willst" Ich biss mir auf die Lippe und hätte am liebsten zugesagt, doch dann fiel mir wieder etwas ein: "Heute Abend? Oh, sorry da kann ich nicht. Wir haben einen Familienbesuch und Mum zwingt mich immer da zu sein" Ich rollte mit den Augen.
"Oh, klar kein Problem ", sagte er schnell.
"Morgen Abend vielleicht?", schlug ich hoffnungsvoll vor.
Begeistert nickte Tony. "Ich hol dich um 8 bei dir ab okay?"
Ich nickte lächelnd: "Okay" Bevor wir unser Gespräch weiterführen konnten, unterbrach uns die Klingel und wir mussten wieder in den Unterricht. Vor der vielen Aufregung über das Valentinsgeschenk hatte ich ganz vergessen, dass ich eigentlich einen Kaffee holen wollte. Als Lena mich mit der Rose und der Schachtel Pralinen sah, weiteten sich ihre Augen. "Woher hast du...?", sie sprach nicht zu Ende, denn ihr Blick fiel zu Tony, der sich ein paar Reihen hinter uns setzte und dann grinste Lena verschwörerisch. "Oh...wie süß!" Ich verdrehte gespielt genervt die Augen und setzte mich zu ihr. "Mann, hast du ein Glück", schwärmte sie weiter. Konnte es wirklich sein? War Tony der Richtige für mich? Fühlte es sich so an, wirklich verliebt zu sein? Es war alles so ungewohnt für mich, da ich das erste Mal in einer richtigen Beziehung war.

***

Am nächsten Tag war ich noch aufgeregter als zuvor. Hatte ich heute etwa wirklich mein erstes richtiges Date mit Tony? Es hörte sich alles so unwirklich an. Der Tag verging noch langsamer als zuvor und es war mühsam dem Unterricht zu folgen. Selbst als wir in der letzten Stunde Englisch mit Miss Rose hatten, war mir der Unterricht gleichgültig. Okay - Ich versuchte zumindest, es so zu empfinden. Ich musste lernen damit umzugehen, dass ich Miss Rose vergessen musste. "Okay, so you had to read something for today ", fing Miss Rose an und hielt eine englische Lektüre hoch. Ich hielt den Atem an. Verdammt, ich hatte völlig vergessen das zu lesen! Ihr Blick schweifte durch die Klasse und blieb an mir hängen. Mit ihren blauen Augen sah sie mich direkt an: "Jill?" Ihr Ton war sanft, aber bestimmt und ich fluchte innerlich. "Can you tell me why Mr Harper killed the cleaning woman Miss Niethen?"
"Uhm...", Röte schoss mir ins Gesicht und ich hatte das Gefühl, dass mich jeder Einzelne hier anstarrte. Gerade, als ich zugeben wollte, dass ich vergessen hatte, das Buch zu lesen, gab es plötzlich ein Krachen, das die Stille durchbrach. Sofort wandten sich alle Blicke zu Emma, die anscheinend einen Haufen Bücher unabsichtlich fallen gelassen hatte, doch darauf konnte ich mich nicht konzentrieren, da Lena näher gerückt war und mir etwas zuflüsterte. "Er hatte Angst, dass sie ihn verraten würde, weil sie ihn beim Stehlen von Juwelen der Lady erwischt hat"
"Von was?", flüsterte ich zurück, da ich es nicht verstanden hatte.
"Juwelen"
"Entschuldigung", murmelte einstweilen Emma und hob mit einer anderen Mitschülerin ihre Bücher auf. Nachdem sie fertig war und sich wieder hingesetzt hatte, war ich wieder im Mittelpunkt. "So?", Miss Rose sah mich mit hochgezogener Augenbraue abwartend an. Ich versuchte mich angestrengt zu erinnern, was Lena gesagt hatte. "Mr Harper thought she could tell anyone that she had seen him stealing the Lady's jewels" Hoffnungsvoll sah ich sie an und Miss Rose nickte schließlich tatsächlich: "Yes, good" Dann wandte sie sich zu jemandem anderen und fragte weiter. Ich dankte Lena und war erleichtert. Als die Stunde endete fing mich Miss Rose an meinem Tisch ab: "Kannst du noch kurz da bleiben?" Ich nickte, fluchte aber insgeheim im Stillen, da ich jetzt eigentlich Abstand von ihr suchte. Als nur noch wir im Raum übrig waren, lehnte sie sich an den Tisch gegenüber: "Hast du schon über einen Termin nachgedacht, wann ich dir mit Englisch helfen soll?" Warum musste sie so perfekt aussehen...? Ich wandte schnell die Gedanken davon ab und grübelte. "Hm...Naja, in nächster Zeit sieht es eher nicht so gut aus...", versuchte ich auszuweichen, " und in 2 Wochen fährt meine Klasse in die Berge Skifahren" Miss Rose überlegte und musterte mich gründlich: "Du bist aber auch einverstanden damit, dass ich dir helfe oder? Das hast du ja zumindest letztens gesagt" Eigentlich wollte ich sagen, dass ich das doch nicht mehr wollte, doch das brachte ich einfach nicht zusammen. Stattdessen nickte ich: "Ja"
"Okay, gut.", sie nickte, "Und geht es nach eurem Ausflug? Zum Beispiel am Mittwoch nach der letzten Stunde" Ich hatte keine Ausreden mehr parat, deshalb musste ich nicken: "Ja, ich denke schon..."
"Okay, dann wäre das geregelt ", Miss Rose ging wieder zum Lehrertisch und notierte sich den Termin auf einem Zettel. Ich saß mit einem unguten Gefühl immer noch auf meinem Platz "Das war's auch schon, du darfst gehen. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag", murmelte sie schließlich. Ich stand auf und ging wortlos zur Tür. An der Türschwelle verabschiedete ich mich noch rasch. "Oh, Jill?", rief mir Miss Rose völlig unerwartet noch hinterher. Ich blieb abrupt stehen, fragte mich, was sie jetzt noch wollte und blickte zurück in die Klasse, wo mich Miss Rose ganz plötzlich lächelnd ansah. "Das nächste Mal ließt du die Klassenlektüre wirklich und lässt dir nichts einflüstern, okay?"

Admiring her | girlxgirl Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt