26

682 45 7
                                    

Als wir nebeneinander im Auto saßen ergriff er für einen kurzen Moment meine Hand, ließ sie aber auch schnell wieder los. Wahrscheinlich damit meine Mutter es nicht mit bekam und dafür war ich ihm unglaublich dankbar. Meine Mutter würde nichts dagegen haben, dass ihr einziger Sohn vielleicht auf Jungen stehen könnte, doch sie würde auf jeden Fall mit meinem Vater darüber reden und der würde alles andere als einverstanden sein.

»'Tschuldigt die doofe Frage, aber warum ist dieses Spiel so wichtig? Oder seid ihr bei allen Spielen so aufgeregt?«, meldete sich Sebastian nach kurzer Zeit des Schweigens zu Wort. »Na ja, ich denke das kann dir Felix am besten erklären«, lächelte meine Mutter mich durch den Rückspiegel an. »Na ja, auf der einen Seite hat der BVB die beste Mannschaft diese Saison. Ungeschlagener Platz eins. Und das Ziel ist es natürlich zu gewinnen und das wird wahrscheinlich nicht so leicht. Aber es gibt noch einen Punkt, der um einiges wichtiger ist. Ich denke du weißt, dass ich Fußballer werden möchte... « »Aber das bist du doch schon«, unterbrach Sebastian mich. »Na ja, schon, aber nicht so richtig. Mir ist eine Karriere noch nicht sicher. Es kann noch so viel passieren, was mir alles versaut. Und beim FC stehen die Chancen generell relativ schlecht in den richtigen Profi Sport rein zu kommen. Der 1. FC ist zwar gerade in der 1. Bundesliga, aber das kann sich auch ganz schnell wieder ändern. Aber, was einen Jungen, der jetzt beim FC spielt, von einem unterscheidet, der in einem relativ kleinen Dorfverein spielt ist, dass er größere Chancen hat eine Anfrage von einem richtig großen Verein zu bekommen. Das ist auch eigentlich schon der Grund, warum das Spiel so wichtig ist. Der BVB ist einfach der zweit größte Verein in Deutschland und, wenn ich dort spielen würde, hätte ich eine fast 100 prozentige Chance in ein paar Jahren im Fernsehen gegen Mannschaften wie Bayern und Schalke zu spielen. Deswegen muss ich heute besonders gut spielen, weil der Talentscout immer mit dabei ist«, erklärte ich ausführlich den Grund, warum ich und auch meine Mutter so aufgeregt waren. »Ziehst du dann weg, wenn der BVB dir eine Anfrage schickt?« Seine Stimme klang erstickt, so als hätte er Angst davor, dass ich wegziehen würde. Als würde er mich nicht verlieren wollen.
»Nein, der BVB kann mich, genauso wie der FC, mit dem Auto abholen und zum Training bringen. Ich würde die Schule nämlich gerne hier beenden, weil wir halt einfach auf eine der besten Schulen aus ganz Deutschland gehen. Und Außerdem habe ich viel zu gute Freunde in diesem Kaff gefunden, als dass ich freiwillig wegziehen würde.« Nach meinen Worten wirkte er erleichtert, so als hätte eine Last auf ihm gelegen und diese hätte ich ihm genommen.

»Wir sind da Jungs, geht schon mal vor, ich komme nach, wenn ich einen Parkplatz gefunden habe. Beeilt euch«, scheuchte meine Mutter uns aus dem Auto. Sie wirkte sogar noch aufgeregter als ich.
Sebastian hatte vor mir das Auto verlassen und stand jetzt mit meiner Tasche in der Hand vor dem Stadion. »Wo hin?«, erkundigte er sich lächelnd. »Nachdem du mir meine Tasche gegeben hast, zeige ich dir den Weg.« »Ne, die trag schön ich«, erwiderte der ältere Junge. »Aber wie sieht das denn aus?«, jammerte ich ihn weiter voll. Doch er zwinkerte mir nur zu: »Als ob du mir etwas bedeutest. Also, wo lang?« Ich stöhnte nur auf, doch seine Antwort hatte mir vollkommen gereicht. Ich bedeutete ihm etwas. Das hatte er sich zwar schon mehr Mals anmerken lassen, doch er hatte es noch nie so offensichtlich gesagt. Er machte mich gerade einfach nur glücklich.
Schnellen Schrittes ging ich den gewohnten Weg zu den Kabinen entlang. Wir waren die ersten und deswegen war es auch kein Problem, dass Sebastian mit in die Umkleide kam. Eigentlich mussten die Begleiter der Spieler immer direkt auf die Tribüne, damit sie die Privatsphäre der anderen nicht störten, doch da ich der erste war drückte der Trainer ein Auge zu. Deswegen standen wir jetzt beide in der Kabine und er schaute mir beim um ziehen zu.
»Felix, ich habe da mal eine Frage: Nach welchem Prinzip sucht man sich die Trikot Nummer aus? Ich meine, warum haben z.B. so viele die sieben?«, fragte er aus dem nichts. »Ich kann dir jetzt nicht alle Gründe nennen, aber ein paar bekomme sogar ich auf die Kette«, fing ich meine Erklärung an, »Also, sehr viele nehmen die Nummer ihres Lieblings Spielers. Deswegen ist die sieben auch so häufig zu sehen, weil einfach viele Leute Cristiano Ronaldo toll finden.« »Du auch?«, fragte er etwas überrascht. Ich fing an zu lachen: »Nein, ich habe die sieben aus den zwei anderen Gründen, die ich dir eigentlich noch nennen wollte. Erstens mir gefällt die Zahl, ich weiß nicht warum, aber ich mag die sieben. Und zweitens, hat jede Position eine Nummer, früher hatte jeder die Nummer von der Position auf der er spielte, deswegen haben z.B. auch die meisten Torwarte die eins. Na ja, ich spiele den linken Flügelstürmer und da ist die sieben vorgesehen.« Lachend erwiderte Sebastian: »Ich dachte schon du wärst einer von diesen Cristiano Ronaldo verrückten.« »Mach dir keine Sorge, ich kann den nicht leiden. Der wirkt so arrogant.«

»So Jungs«, begann mein Trainer seine Ansprache, »Heute geht es um die Wurst. Ich möchte, dass ihr alles gebt. Ich möchte euch heute gewinnen sehen. Wir können gewinnen, denn wir sind besser. Ihr könnt das schaffen. Wir spielen wieder, wie immer. Außer bei den Auswechselspielern, bei denen gucken wir, wen wir dringender brauchen. Also Jungs, ich gebe jetzt das Buch rum. Heute schreibt ihr, für wen ihr gewinnen wollt. Ihr sollt es nicht erklären, nur den Namen. Es soll einfach nur als Motivation dienen.«
Das Buch kam bei mir an und ich musste nicht lange überlegen. Schnell krakelte ich »Sebastian« auf die Seite, blätterte um und reichte es an Florian, einen neuen Spieler, der bis jetzt nur auf der Bank saß, weiter.

Bei diesem Spiel hatten wir sogar einen richtigen Kommentator. Ich betrat das Spielfeld, als der Mann unsere Mannschaft aufrief. Als Kapitän führte ich die Mannschaft an.
Es waren viel mehr Leute da als gewohnt und auch manche Fernsehsender und Zeitungen waren gekommen. Sie gingen davon aus, dass sie hier die Stars von morgen spielen sehen würden. Für sie war es sehr wichtig als aller erstes mit den neuen »Berühmtheiten« reden zu können. Doch vor dem Spiel würden sie kein Interview bekommen, erst in der Halbzeit und nach Abpfiff.

Die erste Hälfte des Spiels war ziemlich unspektakulär. Es fielen keine Tore und niemand wurde gefoult.
Ich war ziemlich genervt, weil ich eine sehr gute Chance versemmelt hatte. Ich hatte freie Bahn vor dem Torwart, kein Abseits, doch als ich schießen wollte traf ich den Ball nicht richtig und er ging um einen Zentimeter vorbei.

Meine Augen suchten Sebastian, ich wollte mit ihm reden. Mein Blick schweifte über die etlichen Besucher und dann erspähte ich ihn. Er saß in der ersten Reihe und auch seine Augen lagen auf mir. Schnell bewegte ich mich auf ihn zu. Ich konnte schon beinahe die Stimme meines Trainers hören, wie er mich zurechtwies, die Halbzeit sei dazu da uns zu entspannen und nicht, um zu unseren Familien und Freunden zu rennen. Das predigte er jedes Mal, doch gerade war mir das reichlich egal, ich wollte bloß zu Sebastian.
Als ich bei ihm ankam trennte uns bloß eine kleine Mauer und ein Gitterzaun. Er saß etwas höher als das Spielfeld war und so kletterte ich kurzer Hand auf das Metall, bis ich ihm gegenüber war und auf die Tribüne hätte steigen können. Der Platz neben Sebastian war frei, wahrscheinlich saß dort meine Mutter und war nur kurz auf Klo oder so.
»Hey, Kleiner«, begrüßte mich Sebastian leise. »Hey«, erwiderte ich in gleicher Lautstärke. »Du hast unfassbar gut gespielt«, lächelte er mich stolz an. »Na ja, bis jetzt kein Tor und die einzige Torchance verhauen«, jammerte ich leise und sah zu Boden. Zum zweiten Mal an diesem Tag fand sich seine Hand an meiner Wange wieder. Sein Daumen strich beruhigend über mein Gesicht. »Schau mich an, du wirst noch ein Tor schießen und der Talentscout liebt dich jetzt schon, wie könnte er auch anders? Du wirst das hier noch mehr rocken, als du es eh schon getan hast. Also Kopf hoch und kämpfen, Kleiner.« Ich sah ihn aus funkelnden Augen heraus an: »Hat dir schon mal jemand gesagt, wie toll du bist?« Hauchte ich so leise, dass nur er es hören konnte. Ein Lachen verließ seine Kehle. Wir waren uns so nah, ich müsste meinen Kopf nur ein klein wenig bewegen und ich würde ihn küssen. Doch ich wollte ihn nicht in diesem Stadion vor den Augen so vieler fremder Menschen das erste Mal küssen. Ich musterte ihn glücklich, dann wuschelte ich durch seine Haare und hauchte: »Ich gewinne das, für dich.« Dann sprang ich von dem kleinen Zaun und machte mich auf zu meinem Trainer. Hinter mir hörte ich noch eine Stimme laut rufen: »Das wäre übrigens deine Chance gewesen!« Ich musste grinsen. Wie sehr ich diesen jungen doch liebte.

Für immer? | RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt