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"Er ist süß.", sagte das Mädchen, nachdem sie den am Boden liegenden Jungen von oben bis unten gemustert hatte. Sie stemmte eine Hand in die Hüfte, in ihrer anderen hielt sie lässig ihren Bogen.

"Ja, definitiv. Er ist wirklich schnuckelig."

"Das ist nicht hilfreich, Svea!" Ein zweites Mädchen stand neben ihr. Auch sie beobachtete den Jungen am Boden genau. Er war bewusstlos. Er hatte schwarze Haare, was sie nur sehen konnte, da seine Mütze verrutscht war. Am Kopf hatte er eine Platzwunde, Blut sickerte langsam heraus. Seine Haut war bleich, beinahe weiß. Die geschlossenen Augen waren blutunterlaufen. Was er wohl für eine Augenfarbe hatte?

Aber wichtiger war die Frage, was sie mit ihm jetzt anstellen sollten.

"Jetzt hab dich nicht so. Das ist das erste männliche Wesen seit Monaten! Da darf ich ihn mir doch wohl anschauen." Svea schob trotzig die Unterlippe vor und verschränkte die Arme vor der Brust. "Manchmal bist du wirklich eine Spielverderberin, Meena."

"Wir müssen überlegen, was wir mit ihm machen. Wir können ihn nicht mitnehmen."

"Was?! Natürlich können wir das!" Svea warf empört ihre blonden Haare zurück.

"Na, ob er jetzt zu Hause stirbt oder hier ist doch egal. Hier müssen wir uns wenigstens um nichts kümmern. Das Rudel der Wölfe ist groß." Meena zuckte die Achseln. Svea schaute sie ungläubig offenem Mund an. Ihre schwarz umrandeten Augen hatte sie weit aufgerissen.

"Wie kann man nur so... so... kalt sein?! Er lebt ja noch! Wir nehmen ihn mit!"

"Da oben liegt noch sein Rentier.", ertönte plötzlich eine weitere Stimme. Keine zwei Sekunden später sprang ein drittes Mädchen von einem Baum und landete fast geräuschlos im Schnee. Um ihre Schultern hingen ein Bogen und der dazugehörige Köcher. "Also ich weiß nicht, ob es wirklich seins ist, aber es hat Geschirr und Zaumzeug an, außerdem liegt da noch ein umgekippter Schlitten, also gehe ich mal davon aus, dass das alles dem hier gehört.", sagte sie und ging vor dem Kopf des Jungen in die Knie. "Hey, der ist ja süß."

Svea warf Meena einen zufriedenen Blick zu, aber die verschränkte stur ihre Arme. Die beiden starrten sich gegenseitig in die Augen, als ob sie den jeweils anderen nur mit Blicken überzeugen wollten.

"Also das Rentier atmet noch. Ein bisschen Pflege und es steht wieder.", unterbrach das dritte Mädchen den stillen Kampf ihrer beiden Freundinnen. "Und den hier kriegen wir auch wieder hin. Die Platzwunde ist nicht so groß." Mit einem Finger tippte sie vorsichtig auf die Stirn des Jungen. Etwas Blut sickerte aus der Wunde. Schnell zog sie den Finger wieder zurück.

"Na also. Wenn die Verletzung nicht so schwer ist, brauchen wir ihn ja nicht versorgen.", sagte Meena.

"Wir mussten ihn gerade vor Wölfen retten. Das waren wertvolle Pfeile. Alleine überlebt er hier draußen nicht.", widersprach das dritte Mädchen und erhob sich wieder.

"Ich stimme Solveigh zu. Wir können ihn nicht hier lassen.", sagte Svea mit Nachdruck und trat neben Solveigh.

"Ach, und warum können wir das nicht?!", fauchte Meena und ballte wütend die Fäuste.

Da tauchte ein viertes Mädchen aus dem Dickicht auf. Ihr blondes Haar, durchzogen von kleinen Zöpfchen, wehte ihr um den Kopf. Um ihre Schultern lag ein Fell.

Sie trat in den Kreis aus Mädchen und schaute auf den Jungen herunter. Sie lächelte.

"Weil ich ihn kenne."

>>>T<<<

Arion irrte durch seine wirren Träume. Die Dunkelheit war einer kargen Winterlandschaft gewichen. Schnee fiel in dicken Flocken vom Himmel. Die Atmosphäre wirkte bedrohlich. Arion lief und lief durch den Schnee. Mit seinen Augen fixierte der Kaltberg. Die Spitze des Berges war in Nebel gehüllt. Arion wusste, dass er dort hin musste. Aber er kam keinen Schritt voran. Je mehr Schritte er machte, desto mehr schien der Kaltberg in die Ferne zu rücken.

Erwachen des FrühlingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt