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Irgendwann versiegten Arions Tränen. Seine Reserven waren aufgebraucht. Sein Kopf war schwer, die Augen geschwollen. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit er über Sammy zusammengebrochen war.

Vorsichtig rappelte er sich auf. Arion atmete zweimal tief durch. Noch immer lag ihm etwas schwer auf der Brust, das ihn am Atmen zu hindern schien. Mit den Händen fuhr er sich über die Augen, um sein Gesicht zu trocknen.

"Arion!", hörte er plötzlich seinen Namen. "Arion! Wo bist du? Geht es dir gut?!"

Die Stimme gehörte zu Ida, wie Arion feststellte. Er wollte antworten, doch seine Stimme war nicht mehr als ein klägliches Krächzen. Er musste hier raus, das wusste er. Sein Blick wanderte über die Trümmer, in deren Mitte er saß. Im ersten Moment sah es so aus, als würde er da nicht mehr herauskommen. Überall lagen Steine, Holzbalken, Dachziegel. Die Balken knarzten im leichten Wind. Stabil wirkte es nicht.

Arion räusperte sich und stand vorsichtig auf. Er musste aufpassen, an nichts zu stoßen, sonst würden die Trümmer nur über ihm zusammenstürzen. Obwohl, war es nicht das, was er verdient hatte?

Arion streckte seine Hand nach hinten aus und berührte ein letztes Mal Sammys Kopf. Er konnte sein Rentier nicht anschauen. Das wäre zu viel für ihn. Dann würde er tatsächlich für immer hier liegen bleiben. Das sonst so warme weiche Fell begann auszukühlen. Arion strich Sammy noch einmal über die Schnauze und Ohren. Da berührten seine Finger etwas Hartes. Es war Sammys rechtes Geweih, das abgebrochen war. Ohne lange nachzudenken schloss Arion seine Finger darum. Er wusste, er würde Sammy hier nie rausbekommen, um ihn anständig zu beerdigen, aber mit dem Geweih, wenigstens einem Teil von ihm, konnte er ein Grab für Sammy errichten.

"Reise gut nach Walhalla, mein Großer.", flüsterte Arion. Dann stand er auf und kletterte gebückt nach draußen. Das Tageslicht war der Nacht gewichen, ohne dass Arion es bewusst gemerkt hatte. Ida entdeckte ihn und eilte auf ihn zu.

"Arion, ich bin so froh, dich zu sehen. Geht es dir gut?"

Arion wollte nicken und ja sagen, doch plötzlich standen ihm wieder die Tränen in den Augen und er brach zusammen.

"Oh nein.", murmelte Ida, die sofort begriff und zog ihn in ihre Arme. Arion ließ es geschehen. Es fühlte sich gut an, sich an jemanden lehnen zu können, die Wärme und das Mitgefühl einer Person spüren zu können. Und dabei kannte Ida Arion eigentlich gar nicht.
Sie hielt ihn im Arm und streichelte ihm beruhigend über den Rücken. Arion gab sich größte Mühe, sich zusammenzureißen. Er hatte eigentlich gedacht, seine Tränen seien aufgebraucht. Er spürte seine Kopfwunde wieder pochen, die sich über den Flüssigkeitsmangel beschwerte.

Er löste sich wieder von Ida und wischte sich erneut die Augen trocken.

"Geht es wieder?", fragte sie und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. "Jarmil ist aufgewacht. Und er muss uns was erzählen. Er will, dass du es auch hörst."

>>>T<<<

Jarmil lag müde in dem kleinen Bett, in das Arion ihn zuvor gelegt hatte. Trotzdem wirkte das Bett groß und Jarmil viel kleiner. Er sah erschöpft aus. Sein Gesicht war schneeweiß und im dunklen Licht der kleinen Laterne sah es so aus, als hätte er Schlieren auf den Wangen. Arion versuchte, ihm ein klägliches Lächeln zu schenken.

"Wie geht es dir?", fragte Arion.

"Setzt euch.", sagte Jarmil knapp wie immer und ging nicht auf Arions Frage ein. Ida und Arion taten wie geheißen. Arion setzte sich auf seinen Schlitten, Ida ließ sich am Bettende nieder.

"Jarmil, erzähl Arion, was du sagen wolltest."

"Ich weiß, wo Hödur ist.", brachte Jarmil es ohne Umschweife auf den Punkt. Arion blinzelte verdutzt. Was sagte er da? War er vielleicht immer noch nicht ganz bei Besinnung?

Erwachen des FrühlingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt