Denn genau so verhielt ich mich gerade. Ich wusste nicht einmal, wo ich hinwollte, wo ich hin sollte. Es war dumm gewesen, Milena einfach so stehen zu lassen und schon wieder die Flucht zu ergreifen. An der nächsten Haltestelle stieg ich aus, wechselte das Gleis und wartete auf die Bahn zurück. Ich schaute auf mein Handy, doch natürlich hatte sie mir dieses Mal nicht geschrieben. Plötzlich sah ich jemanden auf mich zukommen. Oh nein, nicht sie jetzt auch noch. „Hey Ben! Was machst du denn hier?", sie kam noch einen Schritt näher auf mich zu und umarmte mich. „Nancy, hey. Ach, ich war gerade unterwegs und hab die Station verpasst..." - „Stress mit deiner Freundin?", fragte sie und sah mich neugierig an. Ich hatte doch gar nichts gesagt? Ich seufzte. „Also ja. Willst du darüber reden? Oder einfach generell reden?" Ich überlegte kurz. Doch sicherlich war sie nicht die beste Gesprächspartnerin für dieses Thema. „Nee, lass mal. Passt schon", gab ich zurück, doch sie ließ nicht locker. „Jetzt sei doch nicht so. Ich will dir doch nur helfen und ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht! Erzähl mir, was los ist und danach gehst du zu ihr und biegst das wieder gerade!" Also erzählte ich ihr die Geschichte, kurz und knapp. „Ihr wohnt jetzt zusammen? Krass!", war ihre erste Reaktion, „naja, also ich wäre an ihrer Stelle auch echt sauer und traurig, wenn du mir sowas an den Kopf geworfen hättest... aber wenn du dich entschuldigst und dich in nächster Zeit wieder mehr um sie kümmerst, wird sie dir das sicher verzeihen. Du musst ihr jetzt eben zeigen, dass es nicht die falsche Entscheidung war, zusammenzuziehen und dass du sie liebst und froh bist, dass es sie in deinem Leben gibt." - „Danke...", antwortete ich und sie zog mich zu sich, legte ihre Arme um mich und streichelte mir über den Rücken. „Manchmal fehlst du mir, Ben", flüsterte sie und drückte sich noch ein wenig fester an mich. Es wäre falsch gewesen, darauf in irgendeiner Form zu antworten, deshalb schwieg ich einfach. Schließlich kam meine Bahn und ich löste mich von Nancy. „Danke fürs Zuhören", sagte ich und wandte mich zum Gehen. „Warte, was meinst du warum ich hier bin? Ich hab dich nicht gestalkt, ich muss auch mit der Bahn fahren", sagte Nancy und gemeinsam stiegen wir in die Bahn. Sie setzte sich neben mich, vielleicht hätte ich schneller reagieren und meine Tasche auf den Sitz stellen sollen, und legte ihren Kopf an meine Schulter. Ich sagte nichts und schaute aus dem Fenster, wobei es durch die Dunkelheit nicht sehr viel zu sehen gab.
Noch nie hatte sich eine Bahnfahrt so lang gezogen, wie diese. Es kam mir einfach so falsch vor, hier mit Nancy zu sitzen, meiner... was war sie eigentlich? Ex-Affäre? Exfreundin? Doch ich sollte mir gerade über andere Dinge Gedanken machen. Als endlich meine Haltestelle durchgesagt wurde, schnappte ich mir meine Tasche und stand auf. „Danke nochmal fürs Zuhören", sagte ich und zwang mir ein leichtes Lächeln ab. „Dafür nicht. Meld dich doch mal wieder, vielleicht können wir mal was unternehmen, wenn du Lust auf Abwechslung hast", sie warf mir diesen Blick zu, der die Bedeutung ihrer Aussage nochmals unterstrich und mich mit einem seltsamen Gefühl die Bahn verlassen ließ. Auf dem Weg nach Hause legte ich mir im Kopf ein paar Sätze zurecht, mit denen ich mich bei Milena entschuldigen wollte. Doch eigentlich machte keiner davon das wieder gut, was ich ihr an den Kopf geworfen hatte. Ich schloss die Wohnungstür auf , legte meine Sachen im Flur ab und schlich durch die Wohnung. Weder in der Küche, im Wohn- noch im Arbeitszimmer brannte Licht. Als ich die Tür zum Schlafzimmer öffnete, brannte die kleine Nachttischlampe und Milena lag zusammengerollt unter der Decke. Sie schniefte und schien mich noch nicht bemerkt zu haben. Ich schloss leise die Tür hinter mir und ging aufs Bett zu. All meine zurechtgelegten Sätze waren aus meinem Kopf verschwunden und mein Herz klopfte viel zu schnell. Ich legte mich zu ihr ins Bett, legte vorsichtig meinen Arm um sie, zog sie an mich und vergrub meine Nase in ihren Haaren. Mein Lieblingsgeruch. „Es tut mir so leid... was ich gesagt habe... und dass ich dich hab stehen lassen und mal wieder feige abgehauen bin, statt mich dem Problem zu stellen. Ich bin momentan so durcheinander, stehe total unter Strom... ich weiß, dass ich das alles schon gesagt habe und das auch keine Entschuldigung ist...", fing ich an, „ich liebe dich und ich kann mir wirklich nichts schöneres vorstellen, als mit dir zusammenzuwohnen... denn dann kann ich dich immer um mich haben, in deiner Nähe sein... das bedeutet mir alles. Ich möchte es wieder gut machen... denn ich bin wirklich der größte Idiot, ich hab dich behandelt wie eine Selbstverständlichkeit, aber das bist du nicht."
Sie löste sich aus meinem Griff und drehte sich zu mir um. Sie musste wirklich viel geweint haben, denn ihre Augen waren rot und geschwollen. „Du bist ein Arsch", war das erste, was sie sagte und damit hatte sie recht, „aber du bist mein Arsch. Ich hab mich dir gegenüber auch nicht fair verhalten, ich weiß, wie viel dir die Musik bedeutet und dass du endlich was abliefern willst... tut mir leid, dass ich deine Geste nicht zu schätzen wusste..." Vorsichtig strich ich ihr eine Träne von der Wange und beugte mich dann vor, um ihr einen sanften Kuss auf die Lippen zu drücken.
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Fotoalbum 2.0 (Arbeitstitel)
FanfictionDie Fortsetzung meiner Fanfiktion "Fotoalbum"