Abschnitt 10

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Die nächsten Tage verbrachte ich damit, Kartons auszupacken, zusammen mit Ben Regale aufzubauen und Bilder aufzuhängen. Den Flur verwandelten wir in eine Art Hall of Fame, da wir die Auszeichnungen, die Ben bekommen hatte, aufhingen und den Echo, den er 2012 in der Kategorie „Hip Hop/Urban" gewonnen hatte, stellten wir auf ein Regalbrett. Zufrieden trat ich einen Schritt zurück und betrachtete unser Werk. „Du kannst wirklich stolz auf dich sein", meinte ich zu Ben, der mich angrinste und den Hammer zur Seite legte. „So langsam wird es wohnlich hier", sagte er schließlich, nachdem er sich im Wohnzimmer auf die Couch hatte fallen lassen, „ich kann es noch gar nicht richtig glauben, dass wir hier jetzt zusammen wohnen. Das ist irgendwie alles noch so... unwirklich. Aber schön, auf eine schöne Weise seltsam irgendwie..." Ich setzte mich zu ihm und legte meinen Kopf auf seine Schulter. „Ich find es auch sehr schön! Aber ich hab jetzt auch wirklich Hunger, soll ich uns was kochen oder bestellen wir was?" Ben überlegte kurz. „Ich hab Lust auf Lasagne! Ich möchte Lasagne! Können wir Lasagne essen?", wie ein kleines Kind stieß er mich von sich und sah mich mit funkelnden Augen an. „Ähm... ja, können wir machen. Dann lass mich noch eben einkaufen gehen und dann gibts Lasagne!" Ich zog mich an, schnappte mir meine Tasche und machte mich auf den Weg zum Supermarkt.

Irgendwie war ich gerade froh, mal ein paar Minuten für mich zu haben. Es war schön, jetzt mit Ben zusammen zu wohnen, aber irgendwie... wie er schon sagte, war es auch gleichzeitig seltsam. Wir saßen den ganzen Tag aufeinander und ich hatte noch ein paar Tage Urlaub. Ich betrat den Laden, schmiss ein paar Dinge in den Einkaufswagen, ein wenig Schokolade, einen Wein, am Ende hatte ich zwei große Tragetaschen voll, obwohl ich eigentlich nur für die Lasagne einkaufen wollte. Ich schleppte die Taschen die Treppen hoch und stockte schon, als ich die Tür aufschloss. Denn sie war verschlossen, dabei hatte ich sie doch nur zugezogen, als ich gegangen war. Ich stellte den Einkauf im Flur ab und ging durch die Wohnung, doch von Ben keine Spur. Ich checkte mein Handy, auch da hatte ich keine Nachricht. Naja, vielleicht war er selbst auch nochmal kurz los und wollte irgendwas besorgen. Ich ging in die Küche und räumte die Sachen aus. Da ich nicht wusste, wo Ben war und davon ausging, dass er bald zurückkommen würde, machte ich mich schon an die Lasagne, ehe ich ihm eine Nachricht schrieb. „Die Lasagne ist im Ofen, also sei bitte in 30 Minuten wieder hier, damit wir essen können :-*" Ich stellte einen Timer ein und ließ mich wieder aufs Sofa fallen.

Die Zeit verging, die Lasagne war schon längst kalt geworden, doch von Ben fehlte nach wie vor jede Spur. Meine Nachricht war zwar zugestellt worden, aber er hatte sie nicht gelesen. Mittlerweile war es kurz nach 22 Uhr und ich machte mir langsam Sorgen. Natürlich erreichte ich bei meinem Anruf nur seine Mailbox, sodass ich Timur anrief. Doch auch er wusste nicht, wo Ben stecken könnte. Ich schnappte mir also meine Jacke und lief die Treppen runter. Ich brauchte jetzt erstmal eine Zigarette und würde mir dann Gedanken machen, wo er sein könnte. Eigentlich verschwand er nicht ohne ein Wort, aber ich hatte in der Wohnung auch keinen Zettel von ihm gefunden, der mir einen Hinweis gab, wo er sein könnte. Gerade als ich mir die Zigarette angezündet hatte, sah ich Ben an der Kreuzung. Ich lief ihm entgegen. „Hey, wo warst du? Ich hab versucht dich zu erreichen, ich hatte nämlich schon Essen gemacht, aber du warst nicht erreichbar! Ich hab mir Sorgen gemacht!", sprudelte es aus mir raus. Er blickte zu Boden. „Tut mir leid... ich... ich musste mal kurz raus und frische Luft schnappen..." - „Vier Stunden lang? Ohne mir mal kurz Bescheid zu geben?", gab ich schnippisch zurück. „Ich hab es vergessen, okay? Stell dich nicht so an, ich bin ja jetzt wieder da." Mit diesen Worten ließ er mich stehen und verschwand ins Haus. War das gerade sein Ernst? Einfach verschwinden und mir dann noch einen Vorwurf machen, weil ich mir Gedanken gemacht hab? Irgendwas stimmte nicht. Ich drückte meine Zigarette aus und lief die Treppen hinauf. Die Wohnung war dunkel, auch die Lasagne war noch unangerührt. Nur ein kleiner Lichtstrahl drang aus dem Schlafzimmer, also ging ich direkt dorthin und drückte die Türklinke runter.

Ben lag im Bett und schien irgendwas auf seinem Handy zu lesen. Er blickte nur kurz auf, als ich das Zimmer betrat und widmete sich dann wieder dem hellen Bildschirm. Ich ging ums Bett herum und setzte mich auf die Bettkante neben ihn. „Ben, was ist los?", fragte ich leise und sah ihn eindringlich an. Er seufzte, legte sein Handy zur Seite und zog mich an sich. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht so anmachen... ich hab wirklich vergessen, mich bei dir zu melden... es ist nur... ich hab momentan so viel selbst gemachten Stress. Die Arbeit am neuen Song, das Texte schreiben. Die Leute warten, nicht nur die Fans, auch das Management, das Booking, die Plattenfirma. Alle. Niemand hat mir eine Deadline gesetzt, aber ich will das nicht noch ewig vor mir her schieben. Ich habe einen neuen Song versprochen, weil das letzte Album so gut angekommen ist und ich mir nicht wieder so viel Zeit lassen wollte. Nur... mein Kopf ist leer. Da ist einfach nichts... und wenn, dann ist es irgendwelcher Müll, der am Ende keinen Sinn ergibt oder mir nach dem zweiten Mal lesen nicht mehr gefällt. Ich wollte vorhin schreiben, als du einkaufen warst, aber wieder diese Blockade. Ich bin fast durchgedreht. Ich muss auch noch im Arbeitszimmer wieder aufräumen... aber... ich hab einfach keine Kraft dafür gerade... tut mir leid" Mit glasigen Augen sah er mich kurz an, ehe er auf seine Hände starrte. „Rutsch mal", sagte ich und setzte mich neben ihn ins Bett, ehe ich ihn an mich zog und ihm durch die Haare streichelte. „Das wird schon... ich weiß, das sagt man immer, wenn irgendwas nicht so leicht erscheint. Aber ich kenne dich und du wirst das schaffen. Du bist halt ein Perfektionist, dass ein Song nicht an einem Tag geschrieben wird, ist doch klar. Versuch dich nicht zu sehr unter Druck zu setzen... und bitte, verschwinde nicht nochmal, ohne Bescheid zu geben... es ist in Ordnung, wenn du Zeit für dich selbst brauchst, dann lass ich dich auch in Ruhe und bring dir nur ab und zu was zu essen und einen Kuss vorbei... apropos Essen, möchtest du jetzt noch ein wenig Lasagne?" Ben nickte und rappelte sich auf. „Ich mach dir was warm... und vergiss nicht: ich liebe dich!" Er lächelte leicht und gab mir einen festen Kuss.

Fotoalbum 2.0 (Arbeitstitel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt