Abschnitt 11

19 1 0
                                    

Die nächsten Wochen wurden nicht einfacher und stellten unsere Beziehung trotz all meinem Verständnis auf eine harte Probe. Ich ging morgens zur Arbeit, traf mich danach noch mit Isi oder bummelte ein wenig durch die Stadt, damit Benjamin noch ein wenig mehr Zeit für sich hatte. Er saß bis spät in die Nacht im Arbeitszimmer, meistens kam er ins Bett, wenn ich schon wieder aufstehen musste, um zur Arbeit zu gehen. Er war abweisend zu mir, sehr in sich gekehrt, redete kaum und wenn, dann nur, um zu fragen, wie mein Tag war. Weniger aus Interesse, mehr aus Höflichkeit. Zumindest vermittelte er mir das Gefühl, da er sich nach spätestens 10 Minuten wieder zurückzog.

Als ich an diesem Abend die Tür zur Wohnung aufschloss, brannte jedoch das Licht in der Küche. Ich hing meine Jacke auf, zog meine Schuhe aus und folgte dem Licht. Als Benjamin mich sah, drehte er sich zu mir um, kam auf mich zu, zog mich an sich und küsste mich. Nicht flüchtig, sondern leidenschaftlich. Überrascht sah ich erst ihn und dann den Herd an. „Ja, ich koche. Ist gleich fertig. Es gibt Hähnchen und Spätzle. Ist jetzt nicht so cool wie Lasagne, aber immerhin kann man es essen, glaub ich...", grinste er. „Womit hab ich das denn verdient?", fragte ich, immer noch überrascht. „Ich dachte, wir sollten mal wieder Zeit zu zweit verbringen. Ich weiß, dass ich die letzten Wochen ziemlich blöd zu dir war... aber", er machte eine Pause, aber Spannung lag in seiner Stimme, „ich habe heute einen Song geschrieben, mit dem ich immer noch zufrieden bin!" - „Oh!", rief ich aus und umarmte ihn, „das freut mich so für dich! Sehr sehr schön!" Und trotzdem blieb, als ich Benjamin so betrachtete und über seine Worte nachdachte, ein dumpfes Gefühl zurück. Natürlich war ich stolz auf ihn, aber ich wollte meinen Freund auch mal wieder für mich haben. Und nicht dieses emotionale Wrack, dass er aktuell war. Gekleidet in Jogginghose und Shirt, die Haare nicht gewaschen... ich verließ die Küche und setzte mich an den Schreibtisch, in meiner Ecke des Arbeitszimmers. Ich hatte noch ein bisschen Arbeit mit nach Hause genommen und wollte schon mal anfangen, wenigstens grob zu skizzieren, was ich daraus machen wollte. Doch als ich mich umblickte, zu dem Bereich, den Ben für sich vereinnahmt hatte, blieb mir die Luft weg. Überall zerknülltes Papier, mehrere Tassen, Bücher, CDs, alles war ein einziges Chaos. Ich seufzte, schlug meine Mappe zu und sammelte die Tassen ein, in denen sich zum Teil noch ein Schluck abgestandener Kaffee befand. Als ich in die Küche kam, sah Ben mich an. „Was machst du?", fragte er und schaute auf die Tassen. „Dein Chaos aufräumen", gab ich knapp zurück und stellte die Tassen, nachdem ich alle geleert hatte, in den Geschirrspüler. „Lass das bitte", sagte Ben und ich dachte wirklich, dass ich mich verhört hatte. „Wie bitte? Ich muss da auch arbeiten und wenn überall Papierfetzen und Müll herumliegt, kann ich mich beim besten Willen nicht auf meine Arbeit konzentrieren. Ich akzeptiere schon, dass du dich gehen lässt und kaum Zeit für mich hast. Aber ich möchte wenigstens eine aufgeräumte und saubere Wohnung haben!", meine Stimme war lauter geworden, als ich beabsichtigt hatte, doch alles was ich sagte, war einfach die Wahrheit. Mir ging es mit dieser ganzen Situation nicht gut.

Ben sah mich einen kurzen Moment reglos an, ehe er sich an mir vorbeischob und aus der Küche verschwand. Ich ging davon aus, dass er jetzt selbst ein wenig Ordnung im Arbeitszimmer schaffen wollte, doch ein paar Augenblicke später kam er mir mit einer Tasche und seinem Macbook unter dem Arm wieder entgegen. „Wo willst du denn jetzt hin? Du kannst nicht immer einfach abhauen, wenn es schwierig wird. Vielleicht würde es helfen, wenn du mal versuchen würdest, mich zu verstehen!", rief ich ihm entgegen und stellte mich ihm in den Weg. „Dich verstehen? Ich dachte eigentlich auch, dass du mich mittlerweile gut genug kennst, dass du dich in meine Lage versetzen kannst. Wie es mir momentan geht. Aber scheinbar nicht, vielleicht willst du es auch nicht. Weil das nicht in deine Welt passt, weil du sowas nicht gewohnt bist und dich auch nicht daran gewöhnen willst. Vielleicht war das mit der gemeinsamen Wohnung doch ein Fehler!" Mit diesen Worten schob er sich an mir vorbei, zog sich Schuhe und Jacke an und knallte die Wohnungstür hinter sich zu. Ich blieb zurück, der letzte Satz hallte in Dauerschleife in meinem Ohr wieder und ließ mich mit einem Gefühl von Leere und Enttäuschung zurück, zu der sich nach wenigen Augenblicken auch Schmerz mischte. Wie konnte er so etwas sagen? Ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen und schaltete erst einmal den Herd aus, auf dem das Wasser überkochte, ehe ich mich im Schlafzimmer ins Bett fallen ließ.

- Sichtwechsel Ben -

Ich war so wütend. Auf sie, auf mich, auf alle. Ich saß in der Bahn, Kopfhörer auf und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Schon jetzt taten mir meine Worte leid, denn ich wollte sicherlich nicht, dass Milena sich jetzt schlecht fühlte. Ich wollte mit ihr zusammenwohnen, mit ihr mein Leben teilen, doch momentan lief bei mir einfach alles drunter und drüber. Da findet man den Menschen, mit dem man sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen kann und verhält sich dann wie der größte Vollidiot.

Fotoalbum 2.0 (Arbeitstitel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt