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Als ich die Kantine betrat, wartete Kally bereits auf mich. Zarina war noch nicht da.

"Hey V!", rief sie mir zu. Ich blickte sie überrascht an.

"V?", fragte ich nach.

Sie nickte und erklärte: "Wir haben gehört, wie Rachel dich Vara genannt hat. V hört sich doch cool an!"

Wenn ich ehrlich sein sollte, war mir ein Spitzname schon genug und ich sagte: "Nein, nenn mich Varvara oder meinetwegen auch Vara. Keine anderen Namen, Kally!" Überrascht und verletzt machte sie ein Schritt nach hinten.

"Wi-Wieso? Du nennst mich doch auch Kally", brachte sie heraus.

"Du hast gesagt ich soll dich so nennen, aber ich möchte nicht genannt werden, als wären wir Freundinnen!", antwortete ich aufgebracht.

Sie wurde blass: "Wir waren nie Freundinnen?"

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Freundinnen und wollte auch keine. Ich hätte erst gar nicht anfangen sollen, etwas mit den beiden zu machen. Kally stürmte aus der Kantine, gerade als Zarina hereinkam. Verwirrt schaute sie zu mir und ich zeigte ihr mit einer Geste, dass sie ihr nachlaufen soll. Einfach deswegen, weil ich sie jetzt nicht bei mir haben wollte.

"Woah, was war das denn gerade?", hörte ich eine bekannte, tiefe Mädchenstimme hören. Ich drehte mich um und sah die grinsende Rachel an. Rachel zu sehen war irgendwie entspannter. Sie nahm alles locker. Ich zuckte die Schultern und ging zum Kaffeeautomaten. Nach meinem zweiten schwarzem Kaffee stöhnte Rachel: "Jetzt nimm dir einfach noch zwei mit und geh zu eurem Treffen. Sonst kommst du zu spät!"

Ich nickte, nahm mir tatsächlich zwei mit und ging mit Rachel aus der Kantine. Vor einer Tür, einer ziemlich breiten und hohen Tür, mit dem Schild Versammlungsraum hielt sie an und verabschiedete sich. Die Uhr zeigte genau sieben Uhr. Ich machte keine Anstalten anzuklopfen, sondern trat einfach ein. Was sich als Fehler herausstellte. Der Saal war rießig und hatte rot-weiße Wände. Vorne stand eine aufgebaute Bühne und davor etliche von Stuhlreihen, auf denen fast alle Plätze schon belegt waren. Von Menschen. Die mich anstarrten. Ich starrte zurück. Auf der Bühne standen Herr Romanow, Ms Rade, Ms Vryght und einige Lehrerinnen, die ich nicht kannte.

Herr Romanow gab mir ein schnelles Handzeichen, dass ich mich setzten sollte. Ich befolgte die Anweisung und setzte mich in die hinterste Reihe. Nach wenigen Augenblicken verschob sich die Aufmerksamkeit wieder auf die Bühne. Auch wenn mir so etwas nicht peinlich war, ich wurde nie rot oder wurde schüchtern, es war mir trotzdem unangenehm. Ich hasste es im Rampenlicht zu stehen. Wenn alle einen ganz genau mustern und kein Detail unendeckt blieb. Dadurch habe ich mir die Angewohnheit zugelegt aufrecht zu stehen. Zuerst war es nur so in der Öffentlichkeit, aber jetzt stehe ich auch so, wenn ich alleine bin. Aufrecht stehen und Pokerface aufsetzen.

Ich seufzte. Der Gedanke, wie sich mein Leben so schnell verändert hatte. Ich vermisste meine Eltern. Ich vermisste David. Mir fiel wieder ein, dass er mir ein Brief schicken wollte und ich hoffte, er würde bald ankommen.

"Also.", eine bekannte, tiefe Stimme unterbrach meine Gedanken, "Fangen wir an. Als Erstes wollen wir allen sagen, dass ihr euch tapfer geschlagen habt. Andere besser, andere schlechter. Allerdings gibt es trotzdem eine Person, die uns sofort aufgefallen ist." Silvan ließ eine Pause. Die Anspannung war mit Händen zu greifen. Einige beugten sich vor, als hätten sie Angst den Namen zu überhören. Was schier unmöglich war, da es im Raum totstill war. Ich hielt die Luft an.

"Ms. Janovska" Ich realisierte diese Wörter nicht. Auch wenn es mein eigener Name war, musste ich jede Silbe im Kopf wiederholen, um zu verstehen was er gerade gesagt hatte. Als es schließlich Klick  machte und ich erschrocken hochschaute, starrten mich schon sämtliche Schülerinnen und Lehrkräfte an. Ein Raunen ging durch die Reihen. Warte, was? Ich würde von Silvan trainiert werden? Einige Mädchen musterten mich mit neidischen Blicken.

"Am Besten Sie kommen nach der Versammlung noch einmal zu mir und wir besprechen die Details. Hat irgendwer noch Frage?", fuhr er fort.

Natürlich meldete sich Lucinda und piepste: "Wird es eine Auswirkung auf ihre Note haben? Wird sie bevorzugt?"

Silvan schüttelte entschieden den Kopf und verneinte dann: "Keineswegs. Im Gegenteil: Ich erwarte von ihr mehr, da sie auch mehr Training hat."

Er schaute nochmal über die Menge und beendete relativ zügig das Treffen. Ich blieb sitzen, bis alle aufgestanden waren. Warum wurde ich gewählt? Ich war nicht gut gewesen. Das wusste ich! Nachdem die Lehrerinnen mit Silvan etwas besprochen haben, ging er zu mir und setzte sich neben mich.

"Unerwartet?", fragte er.

Ich nickte: "Sie können mir nicht weismachen, mein Einsatz wäre gut gewesen."

"War er auch nicht. Aber bei dir hat man mehr als Potenzial gesehen, bis zu deiner Starre. Sie lassen sich anscheinend leicht ablenken. Wenn man daran arbeitet, würden Sie legendenhaft werden. Ms. Zyrea, die Direktorin, hat entschieden: Jeden Tag vor und nach Ihrem Unterricht wird trainiert. Ich gebe Ihnen ein Zettel auf dem steht, wann Sie wo sein müssen."

Ich bedankte mich und fand einen schnellen Weg das Gespräch zu beenden und in mein Zimmer zu verschwinden. Nach einem Kaffee stand ich am Fenster und überlegte. Auf dem Zettel stand, dass das Training um fünf Uhr morgens begann, ich aber davor noch etwas essen durfte. Das erste Mal wollte er mich noch bei der Kantine abholen, damit wir den zukünftigen Treffpunkt besprechen konnten. Ich musste spätestens um halb fünf aufstehen, was ich schrecklich früh fand. Konnte man ja gleich einfach gar nicht schlafen. Bei dem Gedanken lachte ich kalt. Es war zu nah an der Realität. Da das Training Morgen anfangen würde, beschloss ich früher ins Bett zu gehen. Und nach endlosen Versuchen einzuschlafen, gelang es mir.

"Schatz, pass doch bitte auf! Es ist dunkel und du baust sonst noch ein Unfall."
"Entspann dich, ich habe alles unter Kontrolle, Liebling. Siehst du, ich kann dir das neue Lied zeigen und trotzdem auf die-"
Meine Mutter schrie. Rauch. Blut. Metall.
Zwei Leichen leblos auf der Straße. Neben dem verbogenem Auto. Das Blut, das sich pfützenähnlich ausbreitete.
"Sie sind gestorben", flüsterte David.
Seine Stimme, die brach. Seine Arme hielten mich. Seine Tränen. Meine Tränen. Unsere Eltern waren weg. Ich schrie.

Ich saß senkrecht und tränenüberströmt im Bett. Es ging nicht. Ich hielt es nicht aus. Diese Fantasien, wie es womöglich gewesen war, wie es gewesen wäre dabei zu sein. Ohne zu zögern oder zu überlegen schlüpfte ich in meine Schuhe und machte mich auf den Weg zur Wendeltreppe. Ich hatte in Jeans und T-shirt geschlafen, weswegen ich mich nicht umzog. Unten angekommen, entschied ich mich, durch die Bibiliothek zu gehen. Es war stockdunkel.

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Überarbeitet! Whooo :*

Endlich fängt das Training an!

BRXXKENGIRL

F O R E S T      A C A D E M YWo Geschichten leben. Entdecke jetzt