Chapter 4 - Claire

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Gedankenverloren schiebe ich den Einkaufswagen klappernd durch die langen Gänge des Einkaufszentrums. Äpfel, Brot, Käse, Milch… Nach und nach füllt sich der leere Korb und obwohl ich meinen Einkaufszettel vergessen habe, habe ich nach einer guten halben Stunde hoffentlich alles zusammen und irre auf der Suche nach Kassen umher. Endlich kann ich die farbigen Kunststoffschilder mit der Aufschrift „Kassen“ erkennen und kneife meine Augen konzentriert zusammen, um die lange Schlange davor zu überblicken. Mein Handy vibriert in meiner Jackentasche und umständlich versuche ich, es herauszuzerren. Ich balanciere das Gerät auf meiner Handfläche und versuche gleichzeitig den grünen Hörer mit dem Zeigefinger derselben Hand zu erreichen. „Claire?“, tönt es mir aus dem kleinen Lautsprecher entgegen. „Hi Dad“, meine Stimme klingt dumpf im Nachhall. „Claire, sag mal bist du noch im Einkaufszentrum? Kannst du noch eine Portion Spaghetti mitbringen, ich möchte euch heute Abend etwas kochen!“ Ich seufze: „Dad, du kannst nicht kochen, gibt's was zu feiern?“ Er räuspert sich und gespannt warte ich auf eine Antwort. „Ich…denke das bereden wir später..“ Mit einem Mal klingt er abgelenkt und vergessen zu haben, dass er mit seiner Tochter telefoniert. Ich stehe stocksteif zwischen Chips und Gummibärchen und presse das Handy gegen mein Ohr. Durch den Lautsprecher höre ich im Büro meines Vaters laute Gespräche „Mr. Walker, irgendwas stimmt mit dem Ölabbau nicht! Es muss einen Fehler geben.“ Dann legt mein Dad den Telefonhörer auf seinen Schreibtisch und ich höre sich entfernende Schritte. Kurz darauf spricht mein Dad mit der Stimme: „Ich… was ist los? Wieso wird kein Erdöl mehr abgebaut?“ Ich drücke das Telefon noch fester an meine Ohrmuschel um mehr zu verstehen und konzentriere mich ganz auf die Geräusche. „Ich muss auflegen, geh sofort nach Hause Claire, irgendwas stimmt hier nicht.“ Ein Klacken ertönt und ich höre nur noch das obligatorische Piep, das mir signalisiert, dass mein Vater einfach aufgelegt hat. Ich lasse einige Piep's vergehen um zu realisieren, was passiert war. Dann nehme ich das Handy langsam vom Ohr. Meine Gehirnwindungen geraten in Bewegung. Ich habe früh gelernt, mich auf das Gefühl meines Dads zu verlassen, also scheint mein nächstes Ziel zu sein, nach Hause zu laufen. Ein beunruhigendes Fiepen verbleibt in meinem Ohr, als ich den Einkaufswagen wieder in Bewegung setze und zu den Kassen hetze. Das lange Anstehen erscheint mir heute unerträglich. Meine Fingerkuppen klopfen unermüdlich auf den Werberand des Wagens: „Probleme mit gestiegenen Ölpreisen? Eon-edis: So billig wie noch nie! STEIGEN SIE JETZT UM!“ Ohne Vorsicht hieve ich die schweren Sachen auf das Band und krame in meiner Tasche nach meinem Portemonnaie. Mit zittrigen Händen reiche ich der Kassiererin einen 50$-Schein und warte, bis das Klingeln der sich öffnenden Kasse ertönt. Spitze pinke Fingernägel schieben mir einen Schein, die Quittung und einige Centstücke hinüber. Meiner unruhigen Hand entgleiten auf dem Weg hinaus einige Münzen und sie schlagen laut auf den Fliesen auf. Gehetzt fahren meine Finger über den schmutzigen Boden und bekommen einige zu fassen. Ich suche nicht weiter, sondern mache mich mit hochrotem Kopf schnellstmöglich aus dem Staub. In meinem Kopf bildet sich ein stechender Schmerz. Die Rollen des Einkaufswagens scheppern laut bei jeder Rille zwischen den Fliesen und nicht nur einmal stoße ich gegen irgendwelche Leute. Endlich öffnen sich die großen Glastüren und ich schnappe erleichtert nach frischer Luft. Meine Kopfschmerzen verschwinden schlagartig und ich kann wieder klar denken. Ich packe die Einkäufe in die Plastiktüten, die mir die Kassiererin gereicht hatte und versuche, irgendwie allen Kram geschleppt zu bekommen. Meine Arme fühlen sich schon nach wenigen Metern abgeschnürt an und die Plastikhenkel schneiden in meine Haut. Ich quetsche mich durch eine Gruppe angetrunkener Jugendlicher und erreiche die Parkinson Street, als mir ein komischer Geruch in die Nase steigt. Mit einem Mal habe ich ein seltsames Gefühl und in mir breitet sich eine angstvolle Kälte aus. Ein Schauer läuft mir über den Rücken.

Dann geht alles ganz schnell.

Direkt hinter meiner Schulter hustet ein alter Mann und stützt sich auf seinen Krückstock. Dann fällt er um. Bevor ich bei ihm bin husten alle Menschen um mich herum. Ein nasser Fleck breitet sich auf meinem T-Shirt aus. Äpfel und Birnen rollen zu Boden. Ich stolpere über einen Apfel und falle auf den Boden. Mit vor Schreck geweiteten Augen sehe ich, wie alle Menschen das Husten überkommt und sie umfallen. Auf mich, neben mich. Meine Einkäufe liegen ebenfalls unter mir und neben mir verteilt. Ich bin am ganzen Körper nass und meine Wasserflaschen, die ich auf dem Arm getragen hatte, sind verschwunden. Die Tüten sind verschwunden. Die Autos auf der 2-spurigen Straße stehen und bewegen sich nicht. Direkt neben mir liegt ein kleiner Junge. Seine Augen sind starr geöffnet. Tot. Niemand sagt etwas. Keiner rührt sich. Die Welt setzt einen Schlag aus. Und dann überkommt mich das Grauen. Um mich herum zerfällt alles zu Staub. Alles. Der Boden unter mir bröckelt und zerfällt schließlich ganz. Ich liege auf Erde. Mein Gesicht schmerzt von dem unsanften Sturz und als ich meine Finger an die Wange hebe, spüre ich eine warme Flüssigkeit. Meine Klamotten verschwinden. Meine nackten Füße schmerzen auf dem rauen Boden. Mein Handy zerfällt in seine Einzelteile und einige verschwinden. Mein Körper verlässt mich langsam und zieht mich unbarmherzig in die Bewusstlosigkeit. Bevor meine Augen zu fallen, sehe ich einen Mann, der mit einer Gasmaske auf mich zukommt. Dann verschwimmt das Bild vor meinen Augen und alles um mich herum wird schwarz.

The oil disasterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt