Chapter 1 - Emelie

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Ich blinzle einmal kurz. Danach schließe ich meine blauen Augen sofort wieder. Die Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase und ich muss niesen. Ich versuche meine Gedanken zu ordnen. Eben noch war ich dort draußen, zusammen mit ihm. Warum bin ich jetzt nicht dort? Wo bin ich überhaupt? Mein Kopf fühlt sich schwer an und ich bin völlig verwirrt. Ich setze mich aufrecht hin. Das war nur ein Traum. Aber wieso wirkte er dann so echt. Und wer war der Mann, der mich so fasziniert hatte. Solche braunen und gleichzeitig dunklen Augen hatte ich noch nie irgendwo gesehen. Und sein Lächeln. Bei der Erinnerung überkommt mich ein Gefühl von Liebe. Ich empfinde etwas für ihn. Aber das kann nicht sein. Ich muss mich irren. Ich kenne diesen Mann noch nicht einmal, wie sollte ich also Gefühle für ihn haben. Aus der Küche ertönt das lautes Klappern der Teller. Ich stehe auf und wanke, noch im Halbschlaf, zum Schrank. Kurz davor komme ich jedoch abrupt zum Stehen. Irgendetwas hatte sich unter meinen Füßen bewegt. Der Boden bebt und ich versuche mich noch an einem Stuhl festzuhalten. Ein Erdbeben. Sowas kam häufig vor. Der Schock ist kurz danach zwar immernoch da, aber ich beruhige mich und öffne meine Schranktüren. Heute ist es sehr warm, bestimmt 28 Grad. Ich hole eine Strumpfhose und mein dunkelblaues Kleid mit weißen Punkten heraus und ziehe mich schnell an. Ein Blick auf mein Handy macht mir bewusst, dass ich mich beeilen sollte, wenn ich nicht zu spät zur Schule kommen will. Ich greife meine Tasche und laufe in die Küche. Dort schnappe ich meine Brotdose und meine Thermoskanne. "Mmh, lecker Tee. Danke Mama!", sage ich fröhlich und drücke ihr einen Kuss auf ihre Backe. "Willst du nichts zum Frühstück essen, Emelie? Ich könnte dir noch schnell ein Käsebrot machen, wenn du willst?", fragt sie mich und reißt die Plastikfolie der Käseverpackung auf. "Nein danke Mama, ich bin jetzt schon viel zu spät dran." Lucy, meine 11-jährige Schwester, rührt lustlos in ihrer Cornflakesschüssel umher. Ich wuschle ihr durch ihre blonden Haare und drücke ihr einen dicken Kuss auf die Backe. “Iiiih, Em, das ist sowas von eklig!” Sie schüttelt sich und schaut mich danach vorwurfsvoll an. Ich lache und versuche ihr nochmal einen Schmatzer zu verpassen, aber sie dreht sich schnell weg. Ich knuffe sie noch kurz in ihre Seiten und kann sie somit zum Lachen bringen. Sie grinst bis über beide Backen und wie so oft bin ich verblüfft über ihre Ähnlichkeit zu meiner Mum. Mein Vater brummelt irgendetwas Unverständliches hinter seiner Zeitung und ich umarme ihn noch kurz. Meine Augen fliegen über die Schlagzeilen. Schon wieder Nuklearkatastrophe in Ukraine- wird die Menschheit jetzt aussterben?!, Verbraucher beklagen sich über die gestiegenen Benzinkosten oder Erdöl immer knapper- viele Fabriken pleite! Ich werfe mir meine Softshelljacke über die Schulter, steige in meine Lederstiefel und renne zur Bushaltestelle. Aus der Ferne tönt das laute Geräusch der nahgelegen Fabriken zu mir herüber. Der weiße Rauch steigt aus den Schornsteinen und ich muss husten. Als der Bus kommt, steige ich ein und setze mich neben ein kleines Mädchen. Ich lächle sie an, was sie aber nicht bemerkt, weil sie die ganze Zeit angestrengt auf ihr Handy guckt. Ihre quitschpinke Handyhülle verursacht mir solche Augenschmerzen, dass ich meine Blick von ihr abwende und aus dem Fenster starre. Ich sehe nichts als Fabriken. Meine Augen erfassen das Display meines Handys. Ein Bild von meinem Freund lächelt mich an und ich muss grinsen. Wenn ich mich recht erinnere, stammt das Foto von unserem ersten gemeinsamen Urlaub. Wir waren damals einfach mit seinem Motorrad losgefahren und haben nur das Nötigste mitgekommen. Die Sonnenuntergänge, in denen wir zu zweit auf einer Wiese lagen, waren einfach unendlich wunderschön. Der Bus hält an und die Türen öffnen sich quitschend. Ich springe auf und haste zur Tür. Zum Glück erreiche ich sie noch rechtzeitig und quetsche mich raus. Die Sonne wärmt meinen Rücken und ich vernehme das Gezwitscher der Vögel. Auf dem Spielplatz neben der Haltestelle spielen ein paar kleine Kinder Fangen, 2 Mädchen buddeln in der Sandkiste und eine Gruppe Jungen spielt Fußball. Das Licht durchbricht die Blätter des Ahornbaumes nur wenig, der ganze Baum erstrahlt in einem satten Grün. Mir kommen einige Jugendliche entgegen, die sich angeregt unterhalten und laut lachen. Jetzt ist wieder so ein Moment. Frieden. Glücksseligkeit. Freude. So ein Augenblick, den man am liebsten aufnehmen würde, damit man ihn sich immer wieder in Erinnerung rufen kann. Auch zu dem Zeitpunkt, wenn alles um einen herum den Bach runtergeht. Gerade dann.

The oil disasterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt