Ignoriert?!

93 9 6
                                    

Keiner beachtete mich. Meine Pflegeeltern sahen durch mich hindurch und sprachen nicht mit mir. Ich fand an dem Kühlschrank einen Zettel. Wer hat meine Tochter gesehen?

Ich war sprachlos. Ich stand direkt vor meiner Pflegemutter und dennoch nahm sie mich nicht wahr? Bei meinem Pflegevater genauso. Ich konnte Hampelmänner machen, in die Hände klatschen, doch es interessierte keinen.

„Das ist nicht lustig, Tati", sagte ich meiner Mutter direkt ins Gesicht. Tati war ihr Spitzname für Tatjana. Sie hatte es lieber wenn ich sie mit Mama ansprach, doch das war sie nun mal leider nicht. Meine Mutter war gestorben als ich noch ein kleines Kind war und mein Vater war nicht aufzufinden. „Ingo, jetzt sag doch mal was. Das ist nicht mehr fair.", bat ich meinen Pflegevater. Er hatte mich als seine Tochter nie wirklich akzeptiert, so schien es mir. Doch als Mitglied der Familie nahm er mich dennoch auf und kümmerte sich gut um mich. „Das kann doch nicht wahr sein!", schrie ich und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Versehentlich stieß ich dabei eine Kanne Milch vom Tisch.

„Warst du das?", fragte Tati ihren Mann. Er schüttelte den Kopf und sah zum Fenster. „Wahrscheinlich war es nur der Wind.", sprach er in beruhigenden Ton und schloss das Fenster. Tati wusch die vergossene Milch weg und vergaß dabei die Scherben. Eine streifte sie an der Handkante und ein Quell Blut floss auf der Wunde. Sie schmiss die Scherben in den Restmüll, wusch die Wunde unter fließendem Wasser und klebte sich ein Pflaster auf. „Das habt ihr nun davon, dass ihr mich für dumm verkaufen wollt.", sagte ich mit schlechten Gewissen. Doch selbst darauf reagierten sie nicht.

Wütend verließ ich das Haus und machte mich auf den Weg zu meiner besten Freundin. Vielleicht konnte sie mir etwas über dieses Schmiereintheater sagen. „Kann doch nicht wahr sein das die mich so ignorieren. Soll das eine Bestrafung sein für irgendwas? Und was sollte der Zettel am Kühlschrank.", murmelte ich vor mich hin.

Meine Freundin traf ich zuhause nicht an. Das nahm ich zumindest an, da niemand auf mein klingeln an der Tür reagierte.

Gefrustet setzte ich mich auf die Treppe vor ihrem Elternhaus. Ich starrte vor mich hin, als sich plötzlich die Tür hinter mir öffnete.

„... nicht gesehen. Eine Nachricht habe ich auch noch nicht bekommen.", sprach Lea in ihr Handy während sie die Tür abschloss. „Ja ich melde mich sobald ich etwas neues weiß, versprochen.", sie ging an mir vorbei Richtung Stadt.

„Ey Lea!", rief ich ihr hinterher, jedoch reagierte sie nicht. Ich stand auf und spurtete ihr hinterher. „Lea, was ist hier los? Warum suchen meine Eltern mich?", fragte ich sie und sah sie an. Doch sie reagierte nicht. Sah mich nicht, nahm mich gar nicht wahr.

Tränen schossen mir in die Augen. Egal was für ein fieses Spiel es war, lustig war es für mich überhaupt nicht.

Ich stieß einen Wutschrei aus und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Niemand nahm das wahr. Nicht Lea, noch einer der Passanten die um uns herum standen. Einigen musste ich sogar aus dem Weg gehen, da sie mich sonst um rempelten.

„Hör mal! Wie unverschämt ist das denn!", rief ich einem Mann hinterher der mich fast umstieß. Er ging weiter, als wäre nichts gewesen.

Ich sah ihm noch einige Sekunden hinterher und hielt dann Ausschau nach Lea. Doch sie war in der Menge verschwunden. Ich irrte noch einige Minuten durch die Stadt bis ich im Park ankam. Ich setzte mich auf die Lehne der Bank und sah den Enten beim schwimmen zu. Libellen flogen munter durch die Luft und Frösche quakten um die Wette. Der Wind säuselte durch die Blätter und die Wolken am Himmel verdeckten die heiß glühende Sonne. Ein Grashüpfer hopste auf mein Bein. Ich sah ihn missmutig an und schnipste ihn weg. Ich sah ihm eine Weile hinterher wie er von Grashalm zu Grashalm sprang und auf einem Schuh landete. Es war ein schwarzer Schuh. Edel, fast schon zu schick für einen Park wie diesen. Eher als würde man ein Vorstellungsgespräch haben oder ein Date. Oder vielleicht beides.
Ich lächelte und sah auf, zu wem dieser Schuh passte. Es war eine Frau, komisch ich hatte vermutet das dieses Paar Schuhe einem Mann gehörten. Sie trug eine graue Anzughose und ein edles graues Jackett. Die Taschen waren mit einem schwarzen Band angedeutet und ein schöner Stoffkopf rundete das schicke Outfit ab. Die Frau zu dem Outfit war eine schlanke große Person. Sie war Asiatischer Abstammung und hatte schöne glatte braune Haare die ihr bis zur Schulter reichten.

Ihre Augen waren dunkel Braun und strahlten förmlich. Doch das erstaunlichste an ihnen waren, dass sie geradewegs mich ansahen.

Das lies mich stutzen. Ich sah mich um, ob sie vielleicht doch jemanden um mich herum ansah, doch war kein Mensch weit und breit zu sehen.

Ich sah sie an und lächelte unsicher.

„Siehst du mich an?", fragte ich mich brüchiger Stimme. Was war denn mit meiner Stimme los?

„Wie wäre es mit einem Treffen im Kaffee. Morgen um neun.", sagte die Frau und setzte sich auf die Bank. „Meinen Sie mich?", fragte ich und sah sie an.

„Gut dann um Neun Uhr im Kaffee Verde.", sie nickte und kratze sich am Ohr. „Entschuldigung ich weiß nicht wo das Kaffee Verde ist.", sagte ich leicht verwirrt und starrte sie weiter an.

In Ihrer rechten Hand hielt sie etwas schwarzes, kleines. Es sah aus wie ein Kopfhörer. Da fiel es mir ein. „Wie konnte ich nur so dumm sein.", murmelte ich und schnipste mir mit meinem Finger gegen die Stirn. Sie hatte Telefoniert und gar nicht mit mir gesprochen. Wie konnte sie auch. Da mich niemand mehr zu sehen oder gar wahrzunehmen schien.

Ich seufzte. Wie war mir das nur passiert? Vor zwei Tagen noch schien alles in Ordnung zu sein. Ich verstand mich mit meinen Pflegeeltern bestens und Lea und ich wollten eigentlich heute zusammen in die Stadt gehen und shoppen. Darauf hatten wir uns schon die ganzen Wochen vorher gefreut. Leider war Lea in ihrem Job sehr beschäftigt und besaß wenig Freizeit, weswegen wir extra einen Tag ausgemacht hatten, der nur für uns sein sollte. Heute. Doch sie schien mich nicht mal wahrzunehmen, wollte es vielleicht auch gar nicht. Ich wusste es nicht. Ich war verwirrt, wütend und traurig. Nicht unbedingt die beste Gefühlskombination.

„Du scheinst neu zu sein. Ich habe dich hier noch nie gesehen.", sprach die Frau neben mir. Wieder ein Telefonat, dachte ich mir und beachtete sie nicht weiter. Es war Mittag und eigentlich hatte die Sonne geschienen, und doch schien ein blauer Schleier über dieser Stadt zu liegen. Erst jetzt fiel mir auf das dieser mich schon den ganzen Tag begleitete. Ich war zu sehr abgelenkt gewesen das mich keiner beachtete.

Ich sah hoch zu den Wolken, nach Regen sah es aber nicht aus.

„Joana, ich habe etwas über dich in Erfahrung gebracht.", langsam ging mir die Frau mit ihren Selbstgesprächen auf den Zeiger. Doch sofort stutze ich. Sie hatte meinen Namen genannt. War das Zufall oder meinte sie wirklich mich?

„Reden Sie mit mir?", ich sah sie an und war überrascht. Sie sah mich an. „Ich denke schon. Oder siehst du noch eine Joana hier?", antwortete sie und ihre Lippen zuckten. War das ein Lächeln?, fragte ich mich. Ich sah mich um, doch außer uns beiden konnte ich niemanden ausmachen.

„Wer sind Sie?", fragte ich sie und hoffte sie konnte mir erzählen warum mich keiner sah, keiner mich sehen wollte. „Ich bin dir zugeteilt worden.", antwortete sie und ihr Gesichtsausdruck wies Unzufriedenheit auf. „Für die nächste Zeit werde ich dich begleiten und werde dich lehren."

Ich sah sie verständnislos an. Sie war mir zugeteilt, sollte mich lehren? Worin denn? „Ahja.", mehr brachte ich im Moment nicht raus. War mir nicht sicher ob ich lachen sollte. „Wie lange bist du schon in dieser Gestalt?", fragte sie mich und begutachtete mich von oben bis unten. Man konnte ihrem Missmut quasi aus ihrem Gesicht entgegen springen sehen. Ich war halt nicht so schick angezogen wie sie. Ich hatte eine hellblaue, unten enger werdende Jeans an und einen Pulli von einem Freund. Also eher der Schlabberlook. Ach und meine Turnschuhe waren auch nicht die feinsten. Sie schrien aus allen Poren endlich erlöst werden zu wollen.

„Meine Sachen habe ich heute Morgen frisch angezogen.", antwortete ich leicht trotzig. Was viel dieser Frau eigentlich ein, mich so von oben herab beurteilen zu wollen. Ich kannte sie ja nicht mal. „Schön das du dich alleine anziehen kannst. Ich rede jedoch nicht von deinen Klamotten. Wie lange bist du schon in dieser Gestalt?", ihr Ton war nicht gerade freundlich. Aber was sie von mir wollte war mir immer noch nicht klar. 

„Deine Gestalt. Deine Geistergestalt.", sagte sie nunmehr genervt.

                                 *

GeisterWeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt