„Ich kann nicht mehr!" Tränen fließen in Sturzbächen meine Wangen hinunter.
„Warte." Er versucht seine Hände auf meine Schultern zu legen, doch ich drehe mich um und flüchte zum Schrank.
Durch meine nassen Augen kann ich nur unscharf die Umgebung erkennen, doch wie durch ein Wunder finde ich das Fach mit meinen Klamotten und reiße sie heraus. Dann mache ich mich auf die Suche nach meinem Koffer. Dabei verliere ich ein paar der Kleidungsstücke aus meinen Armen, doch das ist mir gerade ziemlich egal. Verzweifelt versuche ich mich zu erinnern, wo ich den Koffer zuletzt hingepackt habe, doch ich bin zu keinem klaren Gedanken fähig.
„Wo ist mein Koffer?", schreie ich.
„Unter dem Bett." Seine Stimme klingt jetzt kühl und gefühllos.
Durch einen kurzen Blick zur Tür kann ich gerade so erkennen, dass er mit verschränkten Armen am Türrahmen lehnt und mich gleichgültig beobachtet. Wütend und verletzt lasse ich meine Klamotten fallen und lege mich neben dem Bett auf den Boden, um meinen Koffer darunter zu suchen. Nachdem ich das schwarze Teil endlich gefunden und hervorgezogen habe, sammle ich die verstreuten Kleidungsstücke ein und schmeiße sie hinein.
„Hilfst du mir mal?", will ich schreien, doch meine Stimme bricht und so kommt nur ein zitterndes Flüstern heraus. Doch er hat es trotzdem gehört.
„Wenn du schon gehst, dann werde ich dir dabei nicht helfen. Das ist ganz allein deine Entscheidung und ich unterstütze dich dabei nicht."
„Gut, gut." Ich lasse von dem klemmenden Reißverschluss meines Koffers ab und richte mich auf. Seine braunen Augen blitzen ganz kurz irritiert auf, ein Ausdruck von Unsicherheit macht sich auf seinem Gesicht breit. „Wenn du mir einen Grund gibst, warum ich nicht gehen sollte, dann bleibe ich. Aber der Grund muss überzeugend sein."
Meine Stimme ist jetzt erstaunlich ruhig und gelassen. Ich lasse nichts von meiner inneren Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit merken. Er soll nicht sehen, wie verletzlich ich im Moment bin. Er atmet tief durch, dann beginnt er zu reden. Seine Stimme klingt unsicher.
„Ok, es tut mir leid, aber ..."
„Was tut dir leid?", unterbreche ich ihn ruhig. Meine Tränen kullern nur noch in einzelnen, kleinen Tropfen. Ein winziger Hoffnungsschimmer keimt in mir auf. Doch seine Augen flackern leicht irritiert.
„Alles, alles tut mir ..." Ich lasse ihn wieder nicht ausreden.
„Was meinst du mit ‚alles'?" Meine Stimme hat einen leicht schrillen Ton angenommen und meine Hoffnung verschwindet wieder. Jetzt ist ihm die Irritation sichtbar ins Gesicht geschrieben.
„Na, alles, was halt passiert ist."
„WAS IST ALLES?" Mir ist der Geduldsfaden endgültig gerissen, ich kann nur noch kreischen.
Meine Tränenbäche schwellen wieder an, ich schluchze laut auf. Verzweifelt versuche ich den Reißverschluss des Koffers zu schließen, doch er hat sich komplett verhakt. Es ist aussichtslos.
Plötzlich spüre ich eine warme Hand neben meiner. Erschrocken blicke ich zur Seite. Er kniet mit ausdruckslosem Gesicht neben mir und versucht mit ruhigen Händen den Reißverschluss zu zu ziehen. Nach ein paar Versuchen, die ich schluchzend beobachte, hat er es endlich geschafft. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals. Emotionslos drückt er mir den Griff in die Hand, dann bedeutet er mir mit einer Handbewegung, dass ich gehen soll.
Völlig überrumpelt von seinem Sinneswandel stolpere ich in den Flur. Zögernd ziehe ich mir ein Paar Schuhe an und nehme meine Jacke von der Garderobe, obwohl es draußen viel zu warm dafür ist. Schnell stopfe ich noch Handy und Geldbörse in eine Jackentasche, dann öffne ich die Tür. Mit dem Koffer in der einen und der Jacke in der anderen Hand verlasse ich die Wohnung. Seine Wohnung.
Ich drehe mich noch ein letztes Mal um. Sein Blick ist voller Trauer, als er ein letztes Mal „Ich liebe dich" flüstert. Doch diese drei Worte geben mir den Rest. Wütend stampfe ich zur Treppe, dabei rutsche ich auf der ersten Stufe auf. Erschrocken lasse ich meinen Koffer los, der daraufhin nach vorne kippt und polternd die Treppe hinunter rutscht, während ich mich reflexartig an das Geländer klammere.
„Brauchst du Hilfe? Ist alles Ok?", erklingt panisch seine Stimme hinter mir.
„Lass mich in Ruhe!", schreie ich und stampfe die Treppe runter, diesmal vorsichtig auf jeden Schritt achtend.
Auf dem Absatz sammle ich meinen Koffer ein. Als ich unten bin, höre ich, wie die Wohnungstür mit einem lauten Knall ins Schloss fällt. Mit zügigen Schritten durchquere ich den langen Hausflur und öffne die Haustür.
Kühle Nachtluft schlägt mir entgegen, sie hat eine beruhigende Wirkung. Ich hole tief Luft. Meine Trauer fällt von mir ab und der Kloß in meinem Hals löst sich. Endlich Freiheit! Ich schließe die Augen und breite meine Arme aus. Ein plötzliches Gefühl von Glück überfällt mich.
Doch dann merke ich, dass ich keine Ahnung habe, wohin ich gehen soll.
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Die Musik der Nacht
FanfictionKirstie trennt sich von ihrem Freund. Als sie durch die Straßen zieht, begegnet sie dem Straßenmusiker Avi. Gemeinsam erkunden sie die nächtliche Stadt mit ihren unbekannten Klängen. Dabei lernen sie sich immer besser kennen. Doch die Nacht birgt ni...