1. Kapitel

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Das Licht der untergehenden Abendsonne taucht die belebte Straße in einen rötlich-orangen Ton. Pärchen schlendern Hand in Hand und lachende Jugendliche spazieren in Gruppen an mir vorbei. Autos in allen Farben und Varianten fahren in beide Richtungen.

Nachdenklich schaue ich mich um. Wenn ich der Straße nach rechts folge, komme ich ins Stadtzentrum, nach links geht es zum Bahnhof. Doch ich weiß nicht, welche der Möglichkeiten ich wählen soll.

Einerseits will ich raus aus der Stadt, weg von ihm, nie mehr zurückkehren.

Andererseits ist dies meine Lieblingsstadt. Ich habe mein ganzes Leben davon geträumt, hier zu wohnen. Genauso wie er.

Bei dem Gedanken daran sammeln sich erneut Tränen in meinen Augen, aber ich wische sie weg. Ich darf jetzt nicht heulen, ich muss einen kühlen Kopf bewahren und nachdenken. Schließlich will ich ja nicht die ganze Nacht hier rumstehen.

Nach kurzem Zögern entscheide ich mich für das Zentrum. Der Gedanke, meine Traumstadt zu verlassen, schmerzt zu sehr. Meine Füße setzen sich fast von alleine in Bewegung und mit einem monotonen Rattern ziehe ich meinen Koffer hinter mir her. Der Fußweg ist leicht uneben, doch das stört mich nicht. Eigentlich mag ich die schiefen und rissigen Steinplatten sogar. Es ist, als könnten sie Geschichten aus vergangenen Zeiten erzählen.

Der Wind weht leicht durch die kühle Abendluft, doch es ist nicht unangenehm. Eher im Gegenteil. Die frische Luft befreit meinen Kopf, lässt mich meine Sorgen zumindest teilweise vergessen und angenehmere Gedanken zu. Doch mit ihnen taucht auch die Frage auf, was ich jetzt machen soll. Aus meiner Familie lebt niemand hier und Freunde habe ich auch noch keine gefunden.

Du bist allein", zuckt es mir durch den Kopf. „Niemand interessiert sich gerade für dich. Du bist allen egal", fährt meine innere Stimme fort.

Nein, nein, nein, das ist nicht wahr. Ich kann jederzeit meine Familie anrufen, sie ist immer für mich da", halte ich dagegen an.

„Aber das bringt dir gerade wenig, sie ist weit, weit weg."

Verärgert schüttele ich den Kopf und bringe damit den kleinen Teufel in mir zum Verstummen. Den kann ich gerade überhaupt nicht gebrauchen.

Ich könnte mir ein Hotelzimmer oder eine Pension suchen, überlege ich. Doch mir fällt auf die Schnelle keine nicht allzu teure Unterkunft ein. Also gehe ich weiter ziellos geradeaus, vielleicht entdecke ich ja zufällig eine.

Als ich ein paar hundert Meter zurückgelegt habe, trägt der Wind plötzlich eine Melodie an mein Ohr. Neugierig schaue ich mich um, doch ich kann den Ursprung der fröhlichen Gitarrenklänge nicht entdecken. Von Interesse getrieben, gehe ich in die Richtung, aus der die Klänge zu kommen scheinen.

Und tatsächlich wird die Musik lauter. Sie vermischt sich mit den gesungenen Worten einer warmen Stimme, allerdings verstehe ich den Text nicht genau. Ein Grund mehr die Quelle ausfindig zu machen. Nach ein paar Schritten biege ich um eine Ecke und endlich kann ich ihn sehen.

Mitten in der Fußgängerzone steht vor einem kleinen Grüppchen ein dunkel gekleideter Mann mit einer Gitarre. Mit einer sehr offensichtlichen Begeisterung spielt er ein fröhliches Lied. Ich kann sein Lächeln beinahe sogar aus seinem Gesang heraus hören.

Andächtig nähere ich mich den Passanten. Ich bleibe etwas abseits stehen, jedoch nah genug, um den Sänger genau beobachten zu können.

Als das Lied nach einer viel zu kurzen Zeit vorbei ist, ist es für einen Moment still, dann bricht ein tosender Applaus aus. Auch ich klatsche begeistert in meine Hände.

„Vielen Dank!" Der Sänger deutet eine leichte Verbeugung an.

„Wenn Sie mich unterstützen wollen, können Sie mir gerne einen kleinen Obolus spenden." Mit einem Lächeln zeigt er auf eine kleine Papierschale vor ihm. Ein paar Münzen landen mit einem leisen Klimpern darin und jedes Mal bedankt er sich freundlich dafür. Mit einem breiten Lächeln beobachte ich das Treiben.

Ich bemerke erst, dass ich als Letzte immer noch wie erstarrt dastehe, als er seinen Kopf hebt und mir direkt in die Augen schaut.

Die Musik der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt