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Schon bald bildet sich auf unserer Haut ein dünner Schweißfilm. Das Wasser in unserem heißen Atem kondensiert auf unseren Lippen. Immer wieder streife ich mit ihnen über seine Wangen, seinen Hals und seine Brust. Das Gefühl ihm überlegen zu sein ist überwältigend. Louis ist nun nicht mehr der dominierende, ältere, der nebenbei bemerkt Menschen getötet hat, sondern ein Mann, der kleiner ist als ich und das hier schon lange will.

Ich schiebe jeglichen Zweifel was ihn betrifft bei Seite und schließe die Augen, als mich jeder Stoß weiter hoch reiten lässt. Louis' Beine sind eng um meine Taille geschlossen, seine Arme ziehen mich runter, sodass ich gar nicht dazu komme Abstand zu nehmen. Die Hitze zwischen uns benebelt meinen Verstand.

"Oh Harry ...", wimmert er in mein Ohr, als ich in seine Ohrmuschel beiße. Mir ist nicht entgangen, dass er sich seit geraumer Zeit selbst befriedigt. Aber das kommt mir sehr gelegen.

"Sag mir Bescheid, bevor du kommst.", raune ich leise und schiebe meine Hände unter seine Schulterblätter, um ihn noch näher zu ziehen.

Wo ist meine Vernunft hin? Was ist nur los mit mir? Was hat mich geritten, das zu tun?

Noch in der selben Sekunde werde ich mir der Zweideutigkeit meines letzten Gedankens bewusst und verkneife mir ein lüsternes Grinsen.

"Ich komme ... jeden Moment ... Harry ..."

Seine Worte legen meinen Schalter um und in mir explodiert alles. Ich spanne alles an, halte Louis fest und lasse meine Bewegungen langsam ausklingen. Es ist merkwürdig, ich habe mich zuvor noch nicht so intensiv stöhnen gehört wie in diesem Moment.
Kurz darauf spüre ich sein heißes Sperma, dass sich zwischen unseren Bäuchen verteilt. Auch Louis ist außer Atem und erschlafft komplett. Ich rolle von ihm runter und lege mich neben ihn auf den Rücken, wobei mein Arm neben ihm noch immer unter seinem Rücken liegt. Ich spüre seinen Herzschlag.

Nach einer Weile drehen wir beinahe zeitgleich unsere Köpfe herum und sehen uns an. Er mustert mich, ich mustere ihn. Eine Schweißperle läuft seine Schläfe hinab.

"Du siehst mich an, als würdest du etwas sagen wollen.", flüstert Louis und beginnt mit seinen Fingern in meinen langen Haaren zu spielen.

"Ist das denn nötig?"

"Nein, ich denke nicht."

Ich nicke zustimmend und schenke ihm ein sanftes Lächeln.

•Hey, anscheinend sind Sie ganz schön beschäftigt ... ich wollte nur Bescheid geben, dass ich schon heute Abend wieder da bin. Ich hab aber meinen Schlüssel vergessen. Ich weiß nicht, ob Mrs. Lockwood zu Hause sein wird. Es wäre also schön, wenn Sie ab sechs da sein würden.•

•Es wird doch sieben Uhr. Allerdings ist es schon halb sieben und ich habe noch nichts von Ihnen gehört ...•

•Es ist halb acht und ich komme nicht in die Wohnung, wo zum Teufel sind Sie?!•

•Es ist kalt. Wo sind Sie denn bitte?•

•Ruf mich an, Harry!•

Ich zucke zusammen, als Niall die letzte Voicemail ins Handy brüllt. Verdammt, es ist schon kurz vor zehn ...

"Ich muss jetzt wirklich gehen.", stelle ich fest und stehe auf.

"Du hast noch gar nicht aufgegessen."

Louis erhebt sich ebenfalls und begleitet mich in den Flur.

"Das holen wir nach.", verspreche ich ihm und schlüpfe in den langen Mantel. Louis presst seine Lippen zu einer schmalen Linie und sieht zu Boden. Ich hebe sein Kinn an und sehe ihm fest in die Augen.

"Ich bereue nichts."

Er nimmt meine Hand von seinem Kinn und plaziert für ein paar Sekunden seine Lippen auf meinem Handrücken.

"John bringt dich nach Hause."

Ich sitze auf dem Rücksitz des großen, schwarzen Range Rovers und beobachte verträumt die vorbeiziehenden Lichter von London. Dann überqueren wir den breiten Fluss und fahren am Big Ben vorbei. Ich lächle. Schon witzig, dass nur die Wenigsten wissen, dass lediglich die Glocke im Turm so genannt wird.

"Haben Sie nicht eigentlich abends frei?", frage ich den Fahrer neugierig.

"Es ist unterschiedlich. Meistens ja. Seit Sie regelmäßig vorbei kommen, nein."

Prompt überkommt mich ein Gefühl der Schuld. Aber John wirft mir einen kurzen Blick durch den Rückspiegel zu.

"Das bekomme ich natürlich sehr gut bezahlt."

Ich grinse und er steigt mit ein.

"Wie erleben Sie ihn sonst so?"

Sein Griff um das Lenkrad verstärkt sich.

"Es tut mir leid, aber ich darf darüber nicht sprechen."

"Ich rede nicht von dem Tatverdacht. Sondern über ihn. Hat er Feinde?"

John lacht kurz und ich runzle die Stirn.

"Mr. Tomlinson hat mehr Feinde als Sie es sich vorstellen können. Wahrscheinlich mehr, als er es sich selber vorstellen kann."

Ich nicke langsam.

"Auch hier in London?"

"Gerade hier in London. In Doncaster ist die Lage etwas entspannter. Deshalb kehrt er auch regelmäßig dahin zurück."

Als ich darauf nichts antworte, fährt er fort.

"Jeder Tag könnte sein Letzter sein. Es gibt viele, die ihn tot sehen wollen."

Seine Worte überraschen mich. Warum erzählt er mir das?

"Aber warum? Was war so schlimm, dass -"

"Das ist eine lange Geschichte. Mr. Tomlinson hatte Geschäfte in Dubai, die nicht gut gelaufen sind. Er schuldet einem Scheich eine Menge Geld. Und ich weiß nicht, ob Sie schon mal mit einem Scheich zu tun gehabt haben, aber die sind da sehr empfindlich."

Ich nicke wieder nur und sehe aus dem Fenster. Wie es wohl ist jeden Morgen aufzuwachen und Angst haben zu müssen zu sterben. Das wäre eine, zugegeben psychologische Erklärung, weshalb Louis die Verbrechen vollbracht haben könnte. Er steht so kurz vor dem Abgrund, dass er willkürlich irgendwelche Menschen hinein wirft. Vielleicht fühlt er sich dadurch lebendig. Ein Beweis dafür, dass er immer noch da ist.

Und auf einmal tut er mir leid. Wie konnte ich ihm drohen, ihn zu verraten? Mein Herz zieht sich zusammen.


Ich steige aus, verabschiede mich und gehe zum Eingang des kleinen Häuschens. Niall sitzt, mit dem Rücken an der Tür gelehnt, davor und ist eingeschlafen. Er ist wirklich eingeschlafen. Ich betrachte ihn kurz. Mein kleiner, irischer Freund. Für nichts auf dieser Welt würde ich ihn hergeben. Er ist meine Familie. Aufeinmal schießen mir die Bilder unserer ersten Begegnung in den Kopf. Es war auf der Beerdigung meiner Eltern vor zehn Jahren. Seitdem ist er mir nicht mehr von der Seite gewichen.

Lächelnd schließe ich auf und trage ihn hoch. Er wird langsam wach, ist aber anscheinend zu müde zum sprechen. Ich lege mich mit ihm ins Bett und ziehe die Decke über uns. Er kuschelt sich seufzend ins Kissen und atmet dann regelmäßig ein und aus.

"Denken Sie nicht, dass Sie einfach so davon kommen. Morgen bekommen Sie Ärger.", murmelt er, lässt seine Augen jedoch geschlossen.

Ich grinse sanft und entferne einen Fussel von seiner Wange.

"Natürlich."

The Cold Case ➳ L.S. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt