1. Scarlett

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Das Smartphone in meiner Hand blinkte erneut. Eine Benachrichtigung von Snapchat ploppte auf, die ich ignorierte. Ich biss mir auf die Lippe, ließ den Finger über dem Button Konto deaktivieren schweben. Er zitterte leicht, als ich nacheinander Facebook, Twitter, Instagram und Snapchat öffnete und, ohne einen Gedanken zu verschwenden, auf den Button klickte. Mein Herz setzte aus, als die Bestätigung aufleuchtete und mir mitgeteilt wurde, dass man bedauere, dass ich meinen Account deaktiviert hatte.

Dann fing es an in meiner Brust zu pochen. Ich hatte es getan. Wie würden die Tausende von Followern auf mein unvorhergesehenes Aussteigen reagieren? Täglich hatte ich sie mit Informationen versorgt und jeden meiner Schritte veröffentlicht.

Ob sie überhaupt bemerken würden, dass ich die Accounts gelöscht hatte?

Der Bus bremste ab und die Sporttasche an meinen Füßen machte einen Satz nach vorne. Ich streckte den Arm aus und stützte mich an dem Sitz vor mir ab, während auf der Anzeigetafel die Haltestelle aufleuchtete, vor der ich mich fürchtete. Doch eine andere Wahl hatte ich nicht. Ich atmete tief durch, schulterte die Tasche und krallte mich daran fest, während ich durch den schmalen Gang des Busses lief. Die Türen glitten auf und eine angenehme Kühle empfing mich. Ich blieb auf dem Bürgersteig stehen, ließ den Blick über die umliegenden Häuser gleiten. Statt Rasensprengern schallte Musik durch die Nacht, die von der leichten Brise, die vom Meer kam, übertönt wurde. Ein sternenklarer Nachthimmel stand über mir und ein paar Leute rannten lachend durch die Straßen. Wahrscheinlich war es normal für eine Mittwochnacht in dieser Gegend, doch das Gefühl des Unbekannten übermannte mich. Traurigkeit stieg langsam in mir auf.

Ich kramte den kleinen zerknüllten und mittlerweile vergilbten Zettel aus der Tasche meiner Lederjacke und schaute mir erneut die Adresse an. Eigentlich war es unnötig, denn ich hatte in jeder freien Minute der letzten drei Wochen dieses Stück Papier angestarrt, wenn niemand hingeschaut hatte. Die Gedanken, die sich dabei in meinem Kopf festgesetzt hatten, hatte ich immer wieder verworfen. Trotzdem stand ich jetzt an dieser Bushaltestelle, irgendwo in San Diego.

Ich wusste nicht mal, ob diese dämliche Adresse noch aktuell war. Schließlich war der Zettel schon drei Jahre alt. Sollte gleich niemand öffnen oder jemand Unbekanntes, war ich ehrlich gesagt ziemlich am Arsch. Statt einer harten Couch oder einer Luftmatratze würde mir dann nur die Parkbank bleiben, die ich mir bestimmt teilen musste. Kein sehr angenehmer Gedanke, wenn ich ehrlich war.

Obwohl es dunkel war, kannte ich den Weg. Zu oft hatte ich ihn bei Google eingegeben, um sicherzugehen, dass ich mich nicht verirren würde.

Mit jedem Schritt, den ich machte, schien mein Herzschlag sich zu beschleunigen. Die Hände wurden feucht. Ein Schweißfilm bildete sich auf meiner Stirn, von dem ich nicht sagen konnte, ob er durch Angst oder Anstrengung hervorgerufen wurde.

Und ehe ich mich versah, tauchte das Haus vor meinen Augen auf. Es stand eingeklemmt zwischen zwei dunkelgrauen Gebäuden, die ihm jedoch nur bis knapp zur halben Höhe reichten. Ein wenig erweckte es den Eindruck, als hätte man es links und rechts so zusammengedrückt, dass es länger wurde. Die Fassade war weiß gestrichen und an einzelnen Ecken blätterte Putz ab. An der Seite in einer schmalen Gasse hing eine Feuerleiter, die bereits Rostspuren hatte. Ich betrachtete die erleuchteten Fenster, die mich erst aufatmen ließen, ehe sich ein gigantischer Kloß in meinem Hals bildete.

Meine Handflächen hatten sich mittlerweile in eine Art See verwandelt und in meinen Augen stand bestimmt die pure Panik. Irgendwie musste ich es trotzdem hinbekommen gleich nicht in Tränen auszubrechen und mich auf den Boden zu werfen.

Eine kleine Gruppe an Menschen verließ das Gebäude, als ich eintreten wollte. Sie bemerkten nicht einmal, dass ich danebenstand und die Tür aufhielt. Drei Leute hingen sich jaulend in den Armen und zwei weitere kicherten wie wild. Einen Moment schaute ich dem Grüppchen hinterher, das so glücklich und sorglos schien. Wie gern würde ich auch so lachen können.

Never Felt Like This BeforeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt