Der Vortrag

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"Was arbeitest du eigentlich?  Warum liest du immer diese ganzen Bücher?" fragte Luna eines Tages, als sie sich wieder zu den Hausaufgaben hinsetzten.
"Eigentlich muss ich gar nicht mehr arbeiten", meinte Professor Krombach. "Ich habe als Professor an der Uni Vorlesungen für Studenten gehalten. Jetzt bin ich eigentlich in Rente, aber ich halte noch wenige Vorlesungen,  weil es mir Spaß macht. Morgen halte ich zum Beispiel eine Vorlesung über Glück."
"Deshalb kann ich mittwochs auch nie für die Hausaufgaben kommen? Weil du da immer an der Uni bist?"
"Genau so ist es. Hält man eine Vorlesung, macht man das jede Woche, bis das Semester vorbei ist."
"Kannst du mich da mal mitnehmen? Ich interessiere mich auch für Glück!"
Professor Krombach lachte: "Du hast Recht. Wer interessiert sich dafür nicht? Gut ich nehme dich morgen mal mit. Ich bin gespannt, wie es dir gefällt."

"Was verstehen Sie unter Glück?" fragte Professor Krombach zu Beginn der Vorlesung in die Runde.
"Wenn ich im Lotto gewinne." ......... "Wenn ich den Mann meines Lebens treffe." ..........  "Wenn ich ohne zu schauen über die Straße laufe und nicht überfahren werde." ......... "Wenn ich einen Ausflug plane und es nicht regnet." ....... Da kamen einige Äußerungen.  Jeder konnte einen Vorschlag beitragen, was unter Glück zu verstehen ist.

"Glück gibt es doch gar nicht!" meldete sich jemand aus einer hinteren Reihe. Ein Raunen ging durch die Menge. "Das haben die Menschen nur erfunden, damit es ihnen besser geht." 
Professor Krombach lächelte. Er wusste, wer das gesagt hatte. Das andauernde Gemurmel im Saal zeigte, dass diese These heiß diskutiert wurde und bei einigen doch auf Unverständnis stieß.
"Vielleicht können Sie uns ihre Gedanken laut mitteilen.", meinte Professor Krombach. "So können wir dann gemeinsam überlegen.

"Man sollte das nicht so negativ sehen. Glück ist doch ein angenehmes Gefühl. Man ist überrascht über einen Erfolg, der nicht unbedingt wahrscheinlich war," kam dann eine erste Äußerung.
"Und man denkt, dass der Einfluss auf das Ergebnis gering ist, oder die Anstrengung nicht unbedingt erfolgversprechend," war eine andere Meinung.
"Somit ist Glück die Freude darüber, dass der nicht unbedingt wahrscheinliche Erfolg eingetreten ist", kam eine dritte Meinung.

Es entstand eine angeregte Diskussion. Alle waren sich schließlich einig darüber, dass Glück etwas Angenehmes war, was alle herbeisehnten, wenn sie ein Vorhaben hatten. Auch der überraschende Moment stieß auf keinen Widerspruch. Fast keinen.

"Da ist nichts überraschendes an Glück" meldete sich die Stimme von vorhin wieder zu Wort. "Wenn ihr Erfolg haben wollt, müsst ihr euch anstrengen. Wenn eure Anstrengung gut genug ist, seid ihr erfolgreich. Wenn nicht, dann nicht."
Professor Krombach schmunzelte. Luna forderte die Studenten mit ihrer scheinbar pessimistischen Sichtweise ganz schön. Das Gemurmel nahm wieder zu.
"Es gibt sicher Umstände, die man nicht beeinflussen kann. Manche Dinge geschehen ohne unser Zutun. Aber vielleicht geht es auch nicht darum, alles beeinflussen zu wollen, sondern mit Misserfolgen zu leben," warf Professor Krombach in die Runde. "Es gibt zum Beispiel Glücksspiele, bei denen man aufgrund der geringen Gewinnchancen von Glück spricht, wenn man etwas gewinnt. Aber es ist einerseits klar, dass es einen Gewinner gibt, der durch Zufall ausgewählt wird und andererseits ist klar, dass die Chance auf den Gewinn recht klein ist. Wer auf sein Geld achtet, spielt deshalb besser keine Glücksspiele. Vielleicht hat man ja in diesem Fall Glück, wenn man nicht gerne Glücksspiele spielt. Das würde wiederum bedeuten, dass man auch hier Einfluss auf sein Glück hat. Glück ist vielleicht ein Gefühl, welches die Freude über den Erfolg beschreibt. Sicher lebt auch jemand glücklicher, der diese Erfolge sich selbst zuschreiben kann, weil es das Selbstwertgefühl steigert. Diese Person ist zuversichtlicher, glaubt an den Einfluss der eigenen Anstrengung auf den Erfolg und ist damit erfolgreicher. Jeder ist seines eigenes Glückes Schmied, wie es so schön heißt. Jetzt schauen wir uns mal unsere Beispiele von vorhin an. Gibt es hier Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben?"

Im Saal ging das Gemurmel wieder los und alle diskutierten die vielen Beispiele, die vorhin genannt wurden.
"Mir ist noch ein Beispiel eingefallen." meldete sich dann wieder jemand zu Wort. "Wenn ich zum Beispiel eine Einschränkung habe, z.B eine Leseschwäche. Ich kann mich anstrengen so viel ich will, aber ich werde niemals erfolgreich alle Informationen entnehmen können, die ich brauche. In der Schule wird mich das immer belasten, im Beruf, beim Führerschein..... "
"Da haben sie sicherlich recht", meinte Professor Krombach. "Daran kann man nicht rütteln. Manche Dinge bleiben dann unerreichbar. Denken Sie, dass Menschen mit einer Leseschwäche unglücklich sind?" Es dauert ein wenig, bis eine Antwort auf diese Frage kam.
"Nicht alle wahrscheinlich", meinte eine Studentin. "Wer unbedingt den Führerschein machen will und aufgrund seiner Leseschwäche die Fragen nicht beantworten kann oder vielleicht nicht versteht, der wird unglücklich sein. Wer aber mit diesem Thema abgeschlossen hat und sich eine Alternative sucht, der kann sehr wohl glücklich sein. Man muss seine Ziele so setzen, dass die Chancen, sie zu erreichen, gut sind."
"Das wäre doch eine korrekt formulierte Aufgabe im Sinne davon, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Alles was passiert hat einen Grund und nicht immer können wir verhindern, dass uns etwas geschieht, das uns traurig macht oder das wir als Misserfolg erleben. Wenn wir das einbeziehen, müssen wir auch nicht von Unglück reden, wenn wir negative Erfahrungen machen. In diesem Sinne wäre Glück ein Ziel, das wir selbst erreichen wollen und können, sozusagen eine überaus positive Gesamtbilanz. Wahrscheinlich würden wir nun auch auf andere Dinge kommen, wenn wir nochmals überlegen würden, was für uns Glück bedeutet. Das können Sie ja bis nächste Woche vielleicht tun. Ich danke ihnen für ihre Aufmerksamkeit."

Die Studenten verließen nach und nach den Saal. Luna wartete noch, bis sich der Saal fast geleert hatte und kam dann nach vorne.
"Haben meine Bemerkungen sehr gestört?" , fragte sie.
"Gar nicht. Du hast heute teilgenommen und durftest deine Meinung zum Thema genauso äußern wie die Anderen. Außerdem hast du sie ganz schön zum Nachdenken angeregt. Ich weiß nicht, ob sie alle gemerkt haben, dass sie von einer 11-jährigen auf die richtige Spur gebracht wurden. Aber ich war sehr überrascht von deiner Äußerung, muss ich sagen. Ich musste sofort an etwas Bestimmtes denken."
Luna grinste: "Ja ich weiß. Ich muss auch ein bisschen mehr Schmied werden. Habe ich verstanden. Ich werde mich bemühen. Aber manchmal ist es nicht leicht und man wünschte sich dann, das Glück wäre doch eine zusätzliche Option, wenn man zu faul ist. Klappt aber nicht und eigentlich weiß man auch, warum das nicht klappt. Hast du noch mehr Vorlesungen?"
"Nein, ich bin doch in Rente. Ich mache nur noch ganz wenige Vorlesungen. Ich bringe dich jetzt nach Hause, okay?"

Der Professor und das Mädchen ..... Nein!   Das Mädchen und der ProfessorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt