Ich sah dem Mann stirnrunzelnd nach und überlegte, worauf er mit diesem Satz anspielte. Dass er nicht wortwörtlich zu nehmen war, konnte ich mir denken, doch die tiefere Bedeutung dahinter wollte sich mir nicht erschließen. Eine verschleierte Beleidigung erschien mir dann doch etwas weit hergeholt. Williams finsteren Gesicht nach zu schließen, war ich die Einzige, die es nicht verstanden hatte.
„Wer war das?", fragte ich und setzte mich auf den Platz, den mir einer der Dienstboten zugewiesen hatte. Gott sei Dank an einer der Tischreihen am Rand – hier war die Luft erträglicher als in der Mitte der Halle. „Und was meinte er mit der zweifelhaften Ehrung?"
„Niemand, dessen Name Ihr Euch merken müsst." Er sah noch immer in die Richtung, in die der andere Mann verschwunden war, die Stirn in tiefe Falten gelegt, und signalisierte mir allein durch seinen Tonfall, dass er nicht gewillt war, mir besagten Namen zu nennen. Ich widersprach ihm im Stillen; wenn ich mir einen Namen merken müsste, dann offensichtlich diesen.
„Was Eure andere Frage angeht", fuhr er fort und ließ sich neben mir nieder, „hat er sich auf den Grund für unsere überstürzte Eheschließung bezogen."
Ich wartete, ob er eine Erklärung folgen lassen würde, und betrachtete währenddessen mit leisem Bedauern die aufgetischten Süßspeisen vor uns. Die Bediensteten hatten ganze Arbeit geleistet und die gröbsten Spuren des vorangegangenen Essens beseitigt, als alle in der Kapelle waren. Es wäre übertrieben, die Tische als sauber zu bezeichnen, doch ein Großteil der Flecken und heruntergefallenen Reste war entfernt worden – oder diejenigen, die vorher hier gesessen hatten, besaßen sehr gute Manieren. In jedem Fall war genug Platz geschaffen worden, um Kuchen, gefüllte Teigtaschen, Mus in kleinen Schälchen und kandierte Früchte in Massen aufzutragen. Zu einem anderen Zeitpunkt hätten mich allein bei diesem Anblick Glücksgefühle durchströmt, doch jetzt rief er nichts dergleichen hervor. Ich hatte weder Appetit noch Hunger.
Als William weiterhin schwieg, wandte ich mich von dem Lebkuchen rechts von mir ab und drehte mich zu ihm. „Der da wäre?"
„Was?"
„Der Grund für unsere überstürzte Eheschließung", wiederholte ich.
„Oh." Er warf mir einen Blick zu, der abschätzender nicht sein könnte. Seine gesamte Haltung veränderte sich, wurde mit einem Mal eine Spur misstrauischer. Oder war sie es schon, seit wir dem anderen Mann begegnet waren? Auf was auch immer er sich bezogen hatte, es hatte William dazu gebracht, seine vorige Offenheit mir gegenüber fallen zu lassen. „Der gute John of Brittany erhofft sich mit diesen Ehen offensichtlich, ein paar von uns auf Englands Seite zu ziehen. Oder zumindest zu verhindern, dass wir uns gegen Edward stellen."
Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich diesen Namen nie zuvor gehört hatte. Vielleicht einer der Berater des Königs, der sich auf friedlichem Weg mit Schottland einigen wollte. Mit Sicherheit jener ältere Mann, der vorhin die Rede gehalten hatte.
„Wird er damit Erfolg haben?", fragte ich vorsichtig. Dass in seiner Erklärung eine kaum hörbare Herausforderung mitschwang, ließ ich vorerst unkommentiert. Wenn er eindeutig für die Rebellen wäre, säße er nicht hier, sondern entweder in irgendeinem Gefängnis oder bei den Truppen der Schotten. Es hätte wenig Sinn für diesen John of Brittany, jemanden in seinen Plan einzubinden, von dem er wusste, dass er ihn nicht aufhalten, geschweige denn umstimmen konnte.
„Wir werden sehen", antwortete er, ohne mich anzusehen. „Unser Familiensinn ist groß, das spricht durchaus für ihn. Aber der Wunsch nach Freiheit hat das Potenzial, noch größer zu sein." Sein Blick wanderte über die übrigen Gäste, als würde er nach bekannten Gesichtern suchen und innerlich jeden einer Liste zuteilen: die einen, die dennoch kämpfen, und die anderen, die sich der Familie ihrer frisch angetrauten Frau verpflichtet fühlen würden. Zu welcher er sich selbst zählte, ließ er nicht erkennen. Ich bemerkte bestürzt, was ich bisher nicht bedacht hatte – dass er mich heiraten musste, sprach eher dafür, dass er mit den Aufständischen sympathisierte als für das Gegenteil. Nicht genug, um den englischen Truppen Beweise zu liefern, um ihn zu verhaften, aber eindeutig genug, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Mir war damit indirekt die Aufgabe zugefallen, ihn davon abzuhalten, sich vollständig gegen England zu wenden.
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Das Schloss im Nebel
Historical FictionSchottland, 1314 Das Land befindet sich seit achtzehn Jahren im Unabhängigkeitskrieg mit England. Nach wechselnden militärischen Erfolgen beider Seiten versucht Edward II sich die Unterstützung einiger Schotten auf dem friedlichen Weg zu sichern. Im...
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