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9. Kapitel

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Es war ein altes Pferd. Obwohl ich mich in dieser Hinsicht vor allem auf Gawains Aussage verlassen musste, der sich von den dreien offenbar am meisten mit Pferden auskannte. Mehr Wissen als ich hatte er alle Mal – für mich sahen alle unabhängig von ihrem Alter gleich aus – und so verließ ich mich darauf, dass er sich keinen Scherz mit mir erlauben würde. Während wir untätig vor dem Stall standen und darauf warteten, an die Reihe zu kommen, hatten William und John meine und ihre Sachen geholt und sich daran gemacht, ihre eigenen Pferde zu satteln. Ich hatte sie verstohlen beobachtet und mich insgeheim gefragt, ob William die Gelegenheit nutzte, John so weit ins Gewissen zu reden, dass er mich nicht mehr mit Blicken erdolchte.

Entweder hatte er es tatsächlich getan, oder John war von selbst auf die Idee gekommen, mich weitestgehend zu ignorieren. Seit wir unter dem Fallgitter am Eingangstor hindurchgeritten waren und Roxburgh Castle samt seiner englischen Soldaten den Rücken gekehrt hatten, hatte er mir nicht mehr als einen abschätzenden Blick geschenkt, bevor er sich an die Spitze unseres Zuges gesetzt hatte.

Ich musste dem Drang widerstehen, auf der Zugbrücke anzuhalten und umzukehren. Jeder weitere Schritt von der Festung weg bedeutete einen weiteren Schritt tiefer in das Landesinnere. Fort von der Grenze, meinem Zuhause und meiner Familie.

Mit einem Mal beruhigte mich der Gedanke, an die drei Tage unterwegs zu sein, gab es mir doch die Gelegenheit, mich innerlich auf die Ankunft vorzubereiten. Mögliche Szenen unterschiedlichster Art gingen mir durch den Kopf und ich lenkte mich damit ab, mir passende Reaktionen für jede erdenkliche Begrüßung zu überlegen. Im besten Fall eilte die Nachricht uns nicht voraus und es wusste niemand Genaueres über die Hochzeit; sie würden sich wundern, aber immerhin hätten sie dann keine Gelegenheit, im vornherein negative Gefühle zu schüren. Und falls doch, blieb mir nichts anderes übrig als es mit erhobenem Kopf über mich ergehen zu lassen und mein Bestes zu geben, dennoch gut mit allen auszukommen.

Ich hatte mir geschworen, mich mit dem Schicksal, das man mir zugedacht hatte, anzufreunden. Es würde nicht leicht werden, doch noch war ich optimistisch. So sehr konnte sich das Leben in Schottland nicht von meinem bisherigen unterscheiden, und damit, dass William mich nicht verabscheute, war der wichtigste Grundstein gelegt. Alles Weitere würde sich finden – falls man von mir erwarten würde, grundlegende Aufgaben im Haushalt zu übernehmen, würde ich auch das lernen. Es wäre leichter, mich darauf einzustellen, wenn ich inzwischen wüsste, in welchen Verhältnissen William lebte, doch bisher hatte sich keine passende Gelegenheit ergeben. Selbst wenn, hätte ich nicht gewusst, wie ich es formulieren sollte, ohne hochtrabend zu klingen. Dass er nicht dem höheren Adel angehörte, konnte ich mir mittlerweile selbst zusammenreimen. Andernfalls hätte man weder ihn mit Sir noch mich mit Madam angesprochen.

Doch auch das musste nichts bedeuten. Es war durchaus möglich, dass er in deutlich besseren Verhältnissen als meine Eltern lebte, und ich ertappte mich dabei, dafür zu beten. Es war schlimm genug, mein gesamtes Leben in dem zugigen Turm verbracht zu haben. Die Angst, auch in allen weiteren Jahren Sommer wie Winter frieren zu müssen, gar meinen Kindern dasselbe anzutun, hatte sich hartnäckig in meinem Herz eingenistet und ließ sich durch nichts vertreiben. Falls ich je Kinder haben würde.

Ich warf einen Blick auf William, der vor mir ritt und sich gelegentlich umdrehte, um sicherzugehen, dass ich noch da war. Es war mir noch immer ein Rätsel, was ich von gestern Nacht halten sollte. In diesem Moment war ich schlicht erleichtert gewesen, dass er vom Vollzug der Ehe absah, doch jetzt kreisten meine Gedanken unaufhörlich darum. Seine Zurückhaltung konnte verschiedene Gründe haben. Er konnte die Wahrheit gesagt und es nicht mit seinen Prinzipien in Einklang gebracht haben, mit mir zu schlafen, ohne mich näher zu kennen. Oder hatte er doch eine Geliebte und wollte sie nicht betrügen – was mir trotz allem lieber wäre als Variante drei und vier. Es würde zumindest bedeuten, dass er feste Moralvorstellungen hatte und nicht jede Gelegenheit ergriff, die sich bot. Drittens wäre die Möglichkeit, er hätte mich nicht genug begehrt, und viertens könnte er nicht in der Lage sein, die Ehe zu vollziehen. Cecilia hatte einmal etwas Ähnliches angedeutet, doch ihr Mann war auch gut vierzig Jahre älter als William.

Das Schloss im NebelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt