Ich war gerade bei der unbeschreiblich schweren, wie trostlosen Aufgabe angekommen, dem Fischwesen, dessen hässliche Fratze ich in meinem Zeichenblock verewigen wollte, Leben einzuhauchen, als ein Schatten auf mich viel.
"Entschuldigung, aber sie stehen im Licht", sagte ich recht höflich, ohne jedoch aufzublicken. Dumm nur, dass der unliebsame Schattenspender anscheinend nicht der deutschen Sprache mächtig war. Ich seufzte ergeben, umschloss meinen Stift fester und wollte mich gerade dazu herablassen mich mit Händen und Füßen verständlich zu machen, als mir Schneewittchens Stimme den Atem raubte.
"Dass", sagte sie kühl, "Ist verdammt noch mal das hässlichste Bild, das ich je gesehen habe."
Wie erstarrt saß ich da und brauchte tatsächlich einen Moment, um mich wieder in den Griff zu bekommen, dann drehte ich mich, noch immer im Schneidesitz auf dem Boden hockend, zu ihr um und sah sie an.
Ihr Blick war auf meinen Zeichenblock gerichtet und ihr langes, schwarzes Haar viel ihr glatt und glänzend über die Schultern. Der Duft, der mir in die Nase stieg, war so verlockend, dass ich die größte Mühe hatte, mich nicht weiter vorzubeugen, um an ihnen zu schnuppern. Sie war mir so nah! Fast so nah, wie in der Kirche, doch berühren tat sie mich nicht. Auch nicht ansehen. Stattdessen verunglimpfte sie mein Bild.
"Du weißt schon, dass dieses Wesen, der griechischen Mythologie entspringt oder? Und das du gerade ein armes, wehrloses Geschöpf, dessen Leid schon beschlossen war, ehe du ihm seine Seele nahmst, verunglimpfst. Ja? Dieser Brunnen, ob du es nun glaubst oder nicht, wurde der Göttin Eurybia geweiht. Nur zur Info. Sie ist die Tochter des Meeresgottes Pontos und der Erdgöttin Gaia. Ihr Herz ist aus Stahl, weshalb sie auf all diesen putzigen Fischen herum trampelt", dozierte Schneewittchen kühl und richtete sich wieder auf. Sie setzte sich vor mich auf den Rand des Beckens und sah mit dunklen leeren Augen auf mich hinab.
Ihre schneeweiße Hand, fuhr durch ihr Haar, dann zog sie ihre Little Martin aus dem Gefahrenbereich des Spritzwassers, und legte sie sich aufs Knie.
Ich hatte ihr mit großen Augen zugehört und zugesehen, als ich gerade noch rechtzeitig aus meiner Starre erwachte, um ihre überaus interessante Einführung, in die Welt der Unsterblichen zu verfolgen.
"Ah, ja!", sagte ich perplex. Seltsamerweise fasste ich mich aber recht schnell wieder, so dass ich sogar noch mehr, und nicht allzu sinnloses Zeug von mir geben konnte. "Sehr interessant und welches davon ist dein erblicher Ursprung. Also nur mal so, damit ich weiß, als was ich mein nächstes Dasein fristen werde, wenn du mich in einen deiner Untertanen verwandelt hast."
Sie schien tatsächlich überrascht zu sein, doch reichte es nicht, ihr ein Lächeln zu entlocken. "Ich bin die Tochter der Urururururenkelin sechsten Grades von Eurybia, also solltest du besser aufpassen, was du mit den Untertanen meiner Urgroßmutter anstellst, wenn du nicht als ihr Frühstück enden willst", gab sie trocken wieder, warf ihr Ebenholzhaar über die Schulter und ließ dann einige Tropfen Wasser auf mich und mein schreckliches Kunstwerk hinunter tröpfeln. Ihre Fingerspitzen funkelten feucht vom Brunnenwasser in der Nachmittagssonne, doch ihr Blick war auch weiterhin ausdruckslos und verschlossen.
Dass sie allerding selbst ein Gespräch mit mir begonnen hatte, deutete ich jetzt mal als ein gutes Zeichen.
Ein einsamer Wassertropfen perlte über die Fratze auf meinem Blatt und ließ einen hauchfeinen Streifen zurück. Wenn es auch nur eines meiner anderen Bilder gewesen wäre, oder sie jemand anderes, wäre ich jetzt mit Sicherheit unter wüstem Geschimpfe aufgesprungen und hätte sie lautstark als geisteskrank bezeichnet, doch da mir dieses hässliche Etwas ohnehin nicht gefiel, und sie eben einfach sie war, klappte ich meinen Zeichenblock zu und sah belustigt zu ihr auf.
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✔Unter dem Regenbogen
RomantikIhre Seele so dunkel, wie die Hölle. Ihr Lachen so rein, wie das eines Engels. Ihre Geschichte so rot, wie das Blut der Toten, die auf dem Schlachtfeld vor den Toren Roms, zu Zeiten des Mittelalters, ihr Leben aushauchten. Ihr Name: Jessy. Ein Mädch...