8 Kirche einmal anders

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Als Kessy den ihr unbekannten Bankbesetzer erblickte, blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte ihn an. Auch ich starrte. Wie ein versteinerter Wasserspeier, auf meinen Fotoschreck! Was machte sie denn hier? Fragte ich mich mit klopfendem Herzen. Das laute Geraschel, die hallenden Schritte und vielfältigen Geräusche, der Kirchgänger, um uns herum schien an Intensität abzunehmen, dafür schien ihre Erscheinung an genau dieser zuzunehmen.

Ihre blasse Haut funkelte verwunschen im farbenfrohen Licht der Buntglasfenster, dessen jungfräuliche Frau ihr Neugeborenes im Arm hielt. Ihr Duft, der mir inzwischen schon so vertraut war, wie meine Kamera, die ich auch diesmal wieder dabei hatte, schlich sich an all den anderen Gerüchen vorbei, direkt in meinen Kopf und vernebelte meine Sinne. Im Grunde wurde alles Erdbeerrot und erdig Schwarz. Dazu dieser leichte Schimmer von schneeglöckchenhaftem Weiß. Einfach umwerfend. Genüsslich sog ich ihren Duft ein, brannte ihr Bild felsenfest in meine Netzhaut ein und hatte das überwältigende Bedürfnis ihr diese Strähne dunklen Haares aus der Stirn zu streichen, das mir die Sicht auf ihre zartroten Lippen verwehrte.

Alles in meinem Bauch kribbelte und mein Herz machte einen Satz, als die Stimme meiner Mutter sich durch den Nebel meiner Gedanken schraubte.

"Geh doch weiter, Noah. Do hältst den ganzen Verkehr auf."

Blinzend drehte ich mich zu ihr um, sah den Pulk an Gläubigen, die hinter uns in die Kirche drängten und bemerkte jetzt erst, das meine Schwester wie wild an meinem Arm herumzerrte.

"Unser Platz ist besetz. Wollen wir uns woanders...", setzte ich zu einer Erklärung an, aber Kessy unterbrach mich aufgebracht. "Nein! Ich will da sitzen!"

Sie deutete genau neben, sie. Neben das Mädchen, das noch nicht mal in irgendeine Richtung geschaut hatte. Sie saß einfach da. Allein, wie es schien und ohne den kleinsten Funken Neugier, sich im Raum umzusehen. Starrte stur vor sich hin und schien in einer Wolke aus lichtschluckender Dunkelheit zu ertrinken.

Noch immer strömten lärmend Leute in den Raum und füllten die Bänke hinter uns.

"Aber wir passen nicht alle da hin", versuchte ich Kessy zu erklären, doch blieb sie fest auf unsere Bank fixiert und zerrte mich in dessen Richtung.

"Dann musst du mit Mama allein dort sitzen. Oder mit Papa." Ich versuchte meine Hand aus ihren Klauen zu befreien. Immerhin hatte ich mir gestern noch geschworen, meine Gitarristin nicht mit meiner Aufmerksamkeit zu überfordern, doch hatte ich mal wieder die Rechnung ohne Kessy gemacht, die auf eine ganz andere Lösung kam.

"Mama und Papa können da sitzen." Sie deutete mit ihrem pummeligen Finger auf die andere Seite des Ganges und zog mich in genau die entgegengesetzte Richtung.

Ich seufzte. Warf meiner Mom einen ratlosen Blick zu und folgte Kessy dann in die Bankreihe, wo sie dem schwarzhaarigen Schönheit dann auch brühwarm verklickerte:

"Du sitzt auf unserem Platz."

Erst dachte ich, sie würde, wie schon bei mir nicht reagieren, doch wie durch ein Wunder drehte sie den Kopf. Ihre verschlossenen Augen sahen auf Kessy hinunter und, bildete ich es mir ein, oder war es Wirklichkeit, ein hauchfeines Lächeln schien auf ihre zarten Lippen zu treten.

"Tut mir leid, das wusste ich nicht", sagte sie mit Engelsstimme, die wie flüssige Schokolade durch meine Ohren floss. Sie war mit ihrer abweisenden, kalten Stimme von gestern Absolut nicht zu vergleichen und auch der Blick, den sie Kessy schenkte, lag voller Verständnis und wirkte irgendwie entspannter.

"Ich bin Kessy und das ist Blu." Erklärte sie ihr, während sie sich auf den freien Platz neben sie setzte, doch jetzt, wo meine Schwester sie auf mich aufmerksam gemacht hatte und ich in den Genuss ihres Blickes geriet, vollführte mein Herz mal wieder einen schwindelerregenden Salto rückwärts, der in einer Bruchlandung endete, als sich ihr freundlicher Blick wieder verschloss. Ihre dunklen Augen bohrten sich in meine und ich konnte ihn nur erwidern. Nicht dunkel, aber standhaft. Es war irgendwie, als würden mich ihre Augen anziehen. Als würden sie mir etwas sagen wollen. Sowas wie, sieh genau hin. Wenn du klug und aufmerksam bist, wirst du finden was du suchst. Ihre Worte jedoch drückten das genaue Gegenteil aus und ihre weich geschwungenen Lippen, die eben noch so entspannt und zart waren, verhärteten sich zu einer geraden Linie.

✔Unter dem RegenbogenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt