Sie legte sich neben mich in die Schattengesprenkelte Sonne, ihre Gitarre dicht an ihrer Seite im Gras und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
"Hör mal, Fotograf", durchbrach sie nach einigen Momenten die Stille, in denen wir den Wolken beim Wandern zugesehen hatten, "Nicht das wir uns jetzt falsch verstehen, und so. Du und ich, das ist son Ding, von kurzer Dauer. Verstanden! Kann sein, dass ich morgen schon wieder weg bin. Vielleicht auch in einer Woche. Wer weiß das schon. Ich bleibe nie lange an einem Ort."
"Also ich hatte jetzt nicht vor, dir einen Heiratsantrag zu machen, falls du darauf spekuliert hast", erwiderte ich lässig. Das enttäuschte Gefühl, das mich durchzuckte schob ich beiseite. Zumal ich nicht genau wusste, was sie meinte mit 'Nie lange an einem Ort' Ob sie einen festen Freund meinte? Nur, war ich mir gar nicht sicher, ob ich das wirklich sein wollte. Ihr fester Freund. Aber ihr Freund wäre ich schon gerne gewesen. Zumindest für den Anfang.
"Vergiss das mal ganz schnell wieder! Im Grunde rede ich nicht mal mit solchen Idioten wie dir."
Ich warf ihr einen rätselhaften Blick zu, den sie mit gelassener Mine auffing. Für den Bruchteil einer Sekunde hafteten unsere Blicke aneinander, dann lösten wir die Verbindung.
"Idioten, wie mir? Was für ein Idiot bin ich denn?", hakte ich nach. Griff nach der Kamera, die neben mir im Gras lag und schoss ein Foto von den Blättern über uns, in denen ich einen kleinen Vogel entdeckt hatte.
"Ein Mann, der keiner ist. Ein Junge, der nur das eine will. Ein Typ, mit Kopf, muskelbepacktem Oberkörper, Beinen und einem Schwanz dazwischen. Solch ein Typ. Und solch einer, der einen Fotoapparat als Gesicht hat. So einem Idioten gehe ich prinzipiell aus dem Weg", zählte sie auf. Ich wusste nicht, ob sie einen Scherz machte, aber irgendwas in ihrer Stimme sagte mir, dass sie es ziemlich ernst meinte.
"Hm...", murmelte ich überlegend. Versuchte die Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme etwas herunterzuspielen. Ich Richtete die Kamera auf sie, drückte aber nicht ab. "Also ein Mann bin ich. Ein Junge, der nur darauf aus ist, dich kennenzulernen bin ich auch. Ich habe einen Kopf und Beine. Also, bis hier hin, trifft deine Beschreibung auf mich zu, nur der Rest ist mehr als zweifelhaft. Denn falls du mit Schwanz, so ein buschiges Teil am Hintern meinst, muss ich dich enttäuschen, aber da ist nichts. Und was die Muskeln angeht...ich weiß ja nicht, wo du deine Augen hast, aber...ich habe keine. Nur mit dem Kameragesicht, könntest du noch recht haben", scherzte ich locker.
Sie seufzte gereizt, doch hörte es sich fast belustigt an, als sie ihren Finger auf das Objektiv legte und meine Eos leicht nach unten drückte.
Was ich durch die Kamera schon gesehen hatte, sah ohne sie noch viel besser aus, jetzt, wo wir uns direkt ansahen. Nur wenige Zentimeter trennten uns. Sie hatte sich auf die Seite gerollt und sah mich aus verengten Augen an. Mein Herz geriet für einige Schläge aus dem Takt, bevor es wieder in seinen alten Rhythmus fand.
Irgendwie schien die Zeit stillzustehen. Und wenn ich es nicht besser wissen würde, würde ich sagen, dass eine Spur Rosa ihre helle Haut zum Strahlen brachte. Da sie unseren Blickkontakt jedoch mit einem blinzeln ihrer langen, dunklen Wimpern unterbrach, konnte ich diesem Eindruck nicht weiter auf den Grund gehen. Dabei war es vielleicht gar nicht schlecht dass sie sich wieder auf den Rücken rollte. Sich ihre Haare selbst aus dem Gesicht strich und wieder für eine Weile schwieg. Ich tat es ihr gleich. Legte die Kamera wieder neben mich und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Ich musste sie irgendwie fixieren, sonst hätte es leicht passieren können, das ich, natürlich nur durch Zufall, nach ihrer Hand gegriffen hätte.
"Ich wollte dich nur gewarnt haben. Falls ich also eines Tages einfach verschwunden bin, such nicht nach mir", sprach sie schließlich weiter.
"Keine bange. So unwiderstehlich bist du jetzt auch nicht. Wenn ich ganz ehrlich sein soll, weiß ich nicht mal, warum ich überhaupt noch hier bin. Du, also mal ganz ehrlich ja, du siehst jetzt nicht gerade zum anbeißen aus. Deine Zunge ist so spitz, das sich selbst eine schleimige Schnecke daran verletzten würde, mit deinen dunklen Augen, tötest du einen Mann mit nur einem Blick und deine Stimme...echt jetzt voll...uff!"
Ächzend entwich mir die Luft aus den Lungen und ich spürte einen undefinierbaren Schmerz durch meinen Bauch zucken, doch das zarte Kichern, das die Welt zum Stehenbleiben zwang, entschädigte mich für alles.
"Du bist der größte Lügner, den ich je getroffen habe Fotograf", sagte sie noch immer belustigt und legte sich wieder ins Gras zurück, diesmal jedoch auf die Ellenbogen, so dass sie mich besser ansehen konnte. Ich tat es ihr gleich, auch wenn ich mir mit der Rechten, über den Bauch rieb.
"So auffällig, ja?" Ich versuchte gar nicht erst es zu leugnen. Ich war sicher, dass sie mich durchschaute, aber diese Scharade war jeden Schmerz wert gewesen. Nicht zuletzt, weil ihre Augen noch immer zu leuchten schienen. Und dieses Leuchten, war für mich so gefährlich, wie Wasser für meine Kamera.
Wenn es stimmte, was sie sagte und sie schon bald wieder gehen würde, und das sie mich nicht belog, da war ich mir sicher, dann würde ich vermutlich am Ende des Jahres, ein Mann mit gebrochenem Herzen sein. Denn und auch da gab es keinen Zweifel, ich war schon jetzt über beide Ohren in sie verliebt. Ich hoffte, sie würde es nicht sehen, doch hoffte ich ebenso, dass sie mir eine Chance geben würde, diese kleine Flamme, die schon jetzt erschreckend hell in meiner Brust loderte zu nähren. Sie noch größer werden lassen, ehe sie sie zum verlöschen brachte.
Ich wollte, das sie der Grund war, warum ich lieber sterben, als leben wollte. Ich wollte, dass sie einen festen Platz in meinem Herzen fand. Und irgendwie war da dieser kleine Funken Hoffnung, der mir zuflüsterte, dass sie vielleicht gar nicht erst gehen würde, wenn ich ihrem Herzen eine neue Heimat geben konnte. Hier. Bei mir.
Noch lange lagen wir da. Starrten in den Himmel. Meistens schweigend. Manchmal redeten wir auch. Sie fragte mich nach der Schule, erzählte aber nicht, wo sie zur Schule ging. Fragte nach Kessy, blockte aber ab, als ich sie nach ihrer Familie fragte. Sie fragte nach meinen Bildern und erzählte, dass auch sie gerne malte. Wenigstens ein kleiner Erfolg, nach über vier Stunden, die wir jetzt schon hier lagen. Doch mit dieser Information, schien sie mir für heute wohl genug über sich erzählt zu haben.
"Ich muss jetzt", verkündete sie schließlich, kurz bevor die Sonne den Rand der Erde erreichte. Doch was mich erstaunte, war die Frage, die sie hinten dranhängte. "Bist du eigentlich jeden Tag hier?"
Sie klopfte sich das Gras und den Staub von der Hose und sah mich dann fragend an.
"Nein. Nicht jeden. Morgen ist wieder Schule und im Anschluss muss ich mit meinem Dad in den Schützenverein. Aber Dienstag bin ich für gewöhnlich hier. Warum?"
Ich richtete mich ebenso auf, wie sie. Steckte meine Eos in ihre Tasche und verstaute auch meinen Zeichenblock und die Wasserflasche in meinem Rucksack.
"Nur so. Dann weiß ich ja jetzt, dass ich Montag ungestört bin und am Dienstag besser wo anders hingehe", alberte sie und streckte mir die Zunge raus.
"Ja. Besser ist es. Sonst könnte es passieren, dass ich dich am Dienstag ausversehen doch noch fotografiere. An Dienstagen bin ich nämlich immer auf Entzug. Du verstehst schon." Ich tippte auf meine Tasche und hob bedeutsam eine Augenbraue, was sie schmunzeln ließ.
"Gut zu wissen. Man sieht sich Fotograf." Sie drehte sich einfach um und suchte sich ihren weg aus dem Dickicht heraus, doch musste ich es genau wissen.
"Schneewittchen!", rief ich ihr nach, "Wenn ich am Dienstag herkomme, wirst du da sein?"
"Wir werden sehen! Machst gut, Fotograf."
Und schon war sie meinen Blicken entschwunden. Zumindest, bis ich ihr zum Weg gefolgt war. Wieder tauchte sie hinter dem Brunnen ins hohe Unkraut ein und suchte sich ihren Weg. Einestages, würde ich ihr folgen. Soviel stand fest. Oder ich hatte das große Glück, und sie würde mich einfach zu sich nach Hause einladen.
Auf jeden Fall aber interessierte es mich sehr, wo sie wohnte. Wohin sie ging, mit wem und wie sie lebte.
Denn bisher wusste ich nichts von ihr. Nicht einmal, wie sie hieß. Und das fuchste mich ungemein. Ebenso, dass sie mich nicht beim Namen nannte, sondern immer Fotograf zu mir sagte.
Nur...irgendwie gefiel mir ihr Spitzname für mich, so wie mir das Schneewittchen gefiel.
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1400 Worte
03.09.27
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✔Unter dem Regenbogen
RomanceIhre Seele so dunkel, wie die Hölle. Ihr Lachen so rein, wie das eines Engels. Ihre Geschichte so rot, wie das Blut der Toten, die auf dem Schlachtfeld vor den Toren Roms, zu Zeiten des Mittelalters, ihr Leben aushauchten. Ihr Name: Jessy. Ein Mädch...