Kapitel 9

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Als Montag morgen ihr Wecker klingelte, fühlte sich Eve wie erschlagen. Die halbe Nacht war sie erneut wach gelegen, schaute aus dem Fenster in den dunklen Nachthimmel und machte sich Gedanken.
Sie wünschte sich eine Erklärung für die seltsamen Vorkommnisse und hatte sich kurz vor dem Einschlafen fest vorgenommen, heute mit Zayn darüber zu sprechen.

Rosaline schlief noch tief und fest.
Entschlossen nahm Eve ihren Kosmetikbeutel sowie ein Handtuch und schlich sich leise aus dem Raum, um duschen zu gehen.
Sobald das heiße Wasser ihren Körper überspülte, wurde sie allmählich wacher, versuchte ihren Kopf zu sortieren und Mut zu fassen.
Schnell trocknete sie sich ab, kämmte ihre langen Haare zu einem straffen Zopf und trug etwas Rouge und Mascara auf.

Als sie die Holztüre zu ihrem Zimmer öffnete, war Rosaline inzwischen auch wach und kramte in ihrem Schrank. 

  "Guten Morgen, Süße. Ich beeile mich, dann können wir zusammen los", verkündete sie schlaftrunken, wobei sie ein Shirt und eine Jeans aus dem Chaos ihres Schrankes wühlte.

  "Keine Eile. Ich muss mir auch noch meine Klamotten suchen und meine Unterlagen einpacken."

Auch Eve öffnete ihren Schrank, griff das rosa Top und ihre hellgraue Hose, in die sie dann schlüpfte.
Während Rosaline im Bad war, packte Eve ihre Bücher in die große Ledertasche und wartete mit ihrem Ordner auf dem Schoß im Schneidersitz auf ihrem Bett kauernd, bis sie endlich gehen konnten.

Zunehmend stiegen Nervosität und Unsicherheit in Eve auf. Sie hatte Angst vor der Antwort, die Zayn ihr geben könnte. Sie wollte nicht hören, dass sie sich zukünftig besser nicht mehr sehen sollten oder noch schlimmer einen Grund hören, der sie vielleicht tatsächlich abschrecken würde, ihn weiter zu treffen.
Zudem würde sie jetzt gleich im Italienischkurs auf Mercury treffen. Ihm gegenüber wusste sie überhaupt nicht wie sie sich jetzt verhalten sollte. Vor ihrem inneren Auge sah Eve seinen zornerfüllten Blick und diese Erinnerung ließ sie erschaudern.

  "Was ist denn los mit dir?", fragte Rosaline, "Du bist so abwesend."

Es war Eve nicht klar, dass ihr Verhalten heute früh so auffällig war.

  "Alles okay, ich habe nur schlecht geschlafen."

Prüfend musterte Rosaline Eves Gesicht, bevor sie schließlich lächelte und sie zum Abschied kurz umarmte.

  "Dann sehen wir uns später zum Essen", verabschiedete ihre Mitbewohnerin sich von Eve und huschte in den Hörsaal für ihr Politikseminar.

So ging Eve den Rest bis zu ihrem Hörsaal alleine weiter.
Auf den Fluren und vor den Räumen tummelten sich die Studenten. Einige standen in Gruppen vor ihren Zimmern und unterhielten sich. Andere hetzten gestresst durch die Gänge.
Forschend schaute Eve sich in der Menge nach Zayns Gesicht um aber er war allem Anschein nach nicht dabei. Leider wusste sie auch gar nicht welche Kurse Zayn sonst noch belegt hatte.
Also betrat sie zielstrebig, wenn auch mit einem flauen Gefühl im Magen, den Seminarraum für Italienisch.
Etwas eingeschüchtert sah sie sich nach Mercury um, er war noch nicht da, und auch als Dezent Marino den Raum betrat, fehlte von ihm noch jede Spur.

Eve kamen seine Worte wieder in den Sinn. Sie wollten abhauen. Ein kalter Schauer lief über ihren Körper, wenn sie nur daran dachte, dass er und Zayn vielleicht wirklich nicht wieder kommen würden.
Aber so einfach könnten die beiden ihr Studium doch nicht hinschmeißen und mitten im Semester wäre es fast unmöglich zu wechseln, erst recht nicht so schnell.
Diese Erkenntnis beruhigte sie. Doch was hatte Zayn und Mercury veranlasst überhaupt gehen zu wollen?
In ihrem Kopf spielten sich tausende, verrückte Szenarien ab. Vielleicht waren sie vor irgendetwas auf der Flucht oder waren sogar in etwas Illegales verstrickt. 

Auch später traf Eve auf dem Campusgelände weder auf Mercury noch auf Zayn und ihr Verdacht, dass sie sich tatsächlich in einer Nacht und Nebelaktion aus dem Staub gemacht haben könnten festigte sich in ihr. 
Der Unterricht zog sich unendlich monoton vor sich hin.
Es war Eve nicht möglich sich auf die Vorträge zu konzentrieren. Zu sehr schweiften ihre Gedanken immer wieder ab, nur um sich dann im nichts zu verlieren.
Die Stimmen der Dozenten und ihrer Mitstudenten schafften es kaum durch den dicken Nebel in ihren Kopf zu dringen und schienen im Raum zu verhallen.

Zur Mittagspause traf sich Eve mit Rosaline wie verabredet in der Kantine.
Obwohl sie seit zwei Tagen kaum etwas aß, hatte Eve keinen Appetit.

  "Ich nehme auf jeden Fall den Salat", verkündete Rosaline entschlossen, "Ich glaube, dass ich in letzter Zeit ganz schön zugenommen habe."

Eve verkniff sich ein  etwas spöttisches Kommentar dazu nur schwer, da Rosaline schon seit sie sich kannten gertenschlank war.

  "Ich nehme auch den Salat. Ich habe nicht viel Hunger."

Die Freundinnen holten ihre Tabletts und stellten sich in der langen Schlange der Essensausgabe an.
Wie immer waren die Plätze fast allesamt besetzt, sodass Eve und Rosaline ziemlich weit im hinteren Bereich sitzen mussten.

  "Diese Woche muss ich ganz schön ran. Ich habe jetzt schon zwei Referate aufs Auge gedrückt bekommen", erzählte Rosaline, "und am Wochenende will ich ganz bestimmt nicht im Wohnheim sitzen."

  "Glaube ich dir", antwortete Eve halbherzig, da sie nicht wirklich zugehört hatte.

Sie suchte die Mensa nach den beiden Männern ab, von denen sie sich inzwischen mehr wie sehnlichst einige Erklärungen wünschte.

  "Sag' mal, hast du Mercury heute schon gesehen?", fragte Eve schließlich.

  "Nein, wieso? Warte mal, da hinten sind sie ja."

Ruckartig drehte sich Eve um. Zayn und Mercury gingen durch die Reihe ganz hinten an der Wand. Beide sahen sehr müde aus, hatten leicht dunkle Schatten unter den Augen und ihr  Teint wirkte matter als sonst.
Kurz trafen sich die Blicke von Eve und Zayn.
Seinen Augen fehlte dieses gewisse Glänzen, das Eve schon seit ihrer ersten Begegnung so faszinierte. Sie erhoffte sich eine Reaktion, doch er wandte sich schnell ab und die beiden Männer setzten sich an den freien Tisch in der Ecke neben den Mitgliedern des Debattierclubs ohne Eve weiter zu beachten.

Ein Stechen zog durch Eves Brust, der sie entmutigte auch nur ein einziges Wort mit Zayn zu sprechen. Sie konnte nicht verstehen warum er sie mit Gleichgültigkeit strafte nach allem was Eve zwischen ihnen gefühlt hatte. Und dieses abweisende Verhalten wollte sich auch die nächsten Tage nicht ändern.

Curse of TimeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt