Curse of Time

Kapitel 4

Den ganzen Weg über den Campus sprach Zayn kein Wort und Eve lief ebenfalls schweigend neben ihm her. Obwohl er seine Augen unentwegt hinter seiner Sonnenbrille verbarg, wusste Eve, dass er sie immer wieder aus dem Augenwinkel heraus beobachtete.
  Um das zu wissen musste sie es nicht sehen, sie konnte seinen Blick auf ihr spüren, der jedesmal einen kleinen
Schauer durch ihren Körper schickte. Inzwischen herrschte auf dem Campus wieder reges Treiben. Die Studenten hetzten über die Wiese von einem Gebäude zum anderen. Einige waren so in Eile, dass sie nur mit Mühe niemanden anrempelten und in letzter Sekunde ausweichen.

Vor dem Hörsaal, öffnete Zayn die schwere Tür und ließ Eve mit einem jungenhaften Grinsen den Vortritt.

  "Gleich hier links ist noch Platz", sagte er, wobei er auf zwei leere Plätze in der hintersten Reihe deutete.

Eve mochte es nicht gerne so abseits im Raum zu sitzen, behielt es aber für sich und schob sich an den beiden anderen Studenten in der Sitzreihe vorbei.
  Da betrat auch schon Professor Miller den Saal.
  Für einen Professor war er noch recht jung und als Dozent des Literaturkurs mit all den romantischen Inhalten besonders bei den Studentinnen sehr beliebt. Zwar war er durchaus attraktive, hatte in gewisser Weise Charme und Charisma, war für Eves Geschmack aber zu alt für hingebungsvolle Vorstellungen. Zu alle dem trug er einen goldenen Ring an der rechten Hand, was darauf schließen ließ, dass er bereits verheiratet war. Das hindert so manche jedoch nicht daran, bei jedem Wort, das er von sich gab, an seinen Lippen zu hängen.

  "Wir werden zu Beginn die Leseliste für dieses Semester gemeinsam durchgehen", hörte Eve die kräftige Stimme des Professors durch den Raum hallen und griff zu ihrem Stift.

  "Austen, Hardy, Brontë", diktierte er, "Aber zuerst werden wir uns mit Shakespeare beschäftigen."

Zayn stöhnte neben ihr genervt auf.

  "Du stehst wohl nicht so auf Shakespeares Tragödien", flüsterte Eve ihm zu.

Schwerfällig schüttelte Zayn den Kopf.

  "Nein, er war ein unkreativer Narzisst."

Bei seinen Worten lief es ihr eiskalt den Rücken herunter.
William Shakespeare gehörte zu ihren Lieblingsschriftstellern. Es gelang ihm wie kaum einem anderen sie in eine andere Welt und eine andere Zeit zu entführten, sie mit den Protagonisten weinen und lachen zu lassen und mit ihnen alle Höhen und Tiefen zu durchleben. Mit großen Augen schaute sie Zayn an, der nur mit den Achseln zuckte.

  "Es ist so. Er hatte keine Ahnung von was er da eigentlich geschrieben hat."

Eve wollte am liebsten eine heiße Diskussion beginnen, öffnete bereits den Mund, hielt dann aber doch inne. Sie sollte schließlich besser dem Dozent weiter folgen, als Shakespeare zu verteidigen.

Pünktlich wie gewohnt entließ Professor Miller die Studenten zum Ende der Stunde. Unachtsam warf Zayn seinen Block in den Rucksack, verabschiedete sich von Eve und war bereits verschwunden, bevor Eve ihre Unterlagen verstaut hatte.
Sie konnte immer noch nicht nachvollziehen was Zayn mit der harten Kritik an ihrem Lieblingsroman hatte sagen wollen. Wahrscheinlich war dieses Werk ganz einfach nur nicht sein Geschmack.
Ohne weiter darüber nachzudenken machte sie sich auf den Weg zu ihrem nächsten Kurs.

Die Sonne schien hell durch die Fenster und ließ den grauen Gang etwas weniger steril erscheinen.
  Auf halbem Weg die breite Treppe nach oben traf sie Nora, die in ihrem neongelben Shirt aus der Menge stach.

  "Hallo Liebes, ich muss mich beeilen", rief sie Eve mit einem genervten Augenrollen zu, »Aber wir sehen uns später."

Auch Eve fehlte die Zeit für ein ausgedehntes Gespräch. Sie wollte nicht noch einmal zu spät dran sein.