Sturm

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Kapitel 8: Sturm

Nein. Das konnte einfach nicht sein. So war es nicht richtig.

Um Anna herum hasteten die Zwerge in Aktion. Thorin brüllte etwas, doch alles was zu ihr durchdrang war das Rauschen der reißenden Flut, den Anblick, den sie nicht aus ihrem Kopf verbannen konnte. War diese Abweichung allein ihre Schuld? Konnte sie überhaupt für eine Flut verantwortlich sein? Sie hatte doch nichts falsch gemacht? Wie hätte sie das verhindern können? Oder was, wenn es nie ihre Aufgabe war, die Prinzen zu retten? Anna konnte bei all diesen Gedanken nicht mehr atmen, einzig als der blonde Haarschopf aus den Wassermassen auftauchte, holte sie wieder Luft. Fíli versuchte nach allem zu greifen, das im strömenden Fluss Halt gab. Schließlich bekam er einen tief hängenden Ast zu fassen, das weiteres Fortspülen für den Moment stoppte. Aber wo war Kíli? Sie konnte Kíli nicht sehen!

Thorin stieß die Menschenfrau grob zur Seite, sodass diese den Weg an der Spitze der Erhöhung freigab. Er erspähte seinen Thronerben rasch, doch von seinem anderen war keine Spur. „Kíli?!", rief er laut nach seinem Neffen in den finsteren Wald hinein, in der Hoffnung eine Antwort aus den Schatten heraus zu erhalten. „Wir werden ihn finden." Thorin blinzelte zu seiner Seite und blickte in das entschlossene Gesicht Dwalins, der ihm ein Seil gegen die Brust drückte, jenes er sogleich fest mit seinen Händen ergriff. „Zu erst Fíli.", verließ es seinen fähigsten Krieger, der einen klaren Kopf bewies. Thorin nickte. Im Augenblick musste er all seine Sinne auf die Rettung Fílis fixieren, drängte somit erst einmal den Gedanken an Kíli zurück. Mit kurzem Abschätzen seiner in der Dunkelheit angepassten Augen, warf er seinem Neffen das rettende Seil zu. Es verfehlte sein Ziel, sowie weitere Seile seiner Mithelfer. Schnell holte er es wieder ein, nur einen weiteren Versuch zu starten, während er weiterhin Ausschau hielt. Und er atmete erleichtert auf als eines der Seile Fíli erreichte. Jener packte es, welches sofort von Dori und Nori eingeholt wurde. Plötzlich schnürte es Thorin die Kehle zu als hinter seinem blonden Neffen aus dem Wasser der Kopf von Kíli auftauchte. Doch er bewegte sich nicht, es war allein Fíli, der seinen Bruder mit sich zog. „Kíli!", verließ es diesmal lauter seine Kehle, aber es folgte keine Reaktion. Sein Neffe rührte sich nicht. Selbst als er mit Fíli aus dem Wasser auf die Anhöhe gezogen wurde, wachte er nicht auf. Er lag auf dem nassen Boden, sein Gesicht größtenteils durch seine Haare verklebt und reglos. Nein, bei Mahal, das konnte nicht sein! Direkt fiel er neben seinem Neffen auf die Knie, die Luft anhaltend als er seine Hand zögerlich auf die Brust legte, um zu fühlen ob noch Leben in ihm wohnte. Doch alles war still. Es bewegte sich nichts. Kíli atmete nicht. „Kii?" Es war die leise Stimme Fílis, die zittrig nach seinem Bruder fragte als er sich über Kíli beugte, ihm behutsam die Haare aus dem Gesicht strich. Thorin schloss für einen Augenblick seine Augen. Was hatte er getan, das Mahal ihn so bestrafte? Er hatte versagt. Sich, Fíli und auch seine Schwester enttäuscht. Er war ein Narr gewesen, seinen Neffen zu erlauben mit auf die Reise zu gehen! Was hatte er sich nur dabei gedacht?! Das war es, was er für seine Torheit bitter bezahlte. Mit dem Leben seines Neffen, der ihm wie ein eigener Sohn war.

Um ihn herum war alles in schwerem Schweigen gehüllt. Niemand seiner Gefolgsleute sagte etwas. Nicht einmal sein alter Freund Balin fand dazu Worte. „K-Kii? Kannst du mich hören?" Thorin nahm seine Hand von der leblosen Form seines Neffen und legte sie stattdessen Fíli auf die Schulter, die er leicht drückte. Fíli schüttelte sie ab, griff an den Schultern seines Bruders, die er begann sachte zu rütteln. „Nein! Kíli! Wach auf!" Das Rütteln wurde stärker. „Fíli.", versuchte es Thorin sanft, doch er hörte nicht. Plötzlich trat Óin heran, nickte ihm zu und er machte für den Heiler platz. Fíli hielt inne, bedachte Óin mit einem flehenden, Tränen verklärten Blick. „Bitte! Er ist nur bewusstlos. Gebt ihm etwas, womit er wieder aufwacht." Der alte Zwerg legte seine Hörtrompete an die Brust Kílis, Momente vergingen und Thorin spürte, wie noch ein Rest Hoffnung aufkeimte. Vielleicht war sein Urteil zu schnell gefällt worden. Doch schon kurz darauf ließ der Heiler ab und Thorin erkannte in dessen Gesicht, das all die Hoffnung umsonst war. Alles was er dann zur Antwort gab war ein vernichtendes Schütteln seines Kopfes. Fílis Gesicht wandelte sich, verlor jeglichen Ausdruck als er begann zu verstehen, dass sein Bruder nie mehr die Augen aufschlug. Nie mehr würde man seine Stimme hören, nie mehr sein Lachen. All das war nur noch eine Erinnerung, die mit den Jahren verblasste. Dann zerriss Fílis Schluchzen die Stille, brach allen nur mehr das Herz und die Kompanie ließ die Köpfe hängen, wissend, sie hatten soeben ihren Prinzen und auch Freund verloren.

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