Loyalität

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Als Anna beim Gehen erneut Dwalin einen unsicheren Seitenblick zuwarf, schluckte sie nervös. Der Krieger war die Ruhe selbst, weshalb sie in seinem Gesicht keinen Anhaltspunkt finden konnte, warum genau Thorin sie sprechen wollte. Hatte sie etwas falsch gemacht? Das musste so sein, anders konnte sie es sich nicht erklären. Denn es war nicht so als würde der griesgrämige Zwergenkönig aus reiner Freundlichkeit mit ihr plaudern wollen. Aber welchen Fehler hatte sie gemacht? Ihr fiel nicht ein einziger Grund ein, weshalb er reden wollte. Oder vielleicht doch. Gestern noch konnte sie Kíli erfolgreich wiederbeleben als Thorin schon dachte, er hätte ihn verloren. Ja,vielleicht wollte er ihr danken. Anna schüttelte kaum merklich ihren Kopf. Nein. Selbst wenn die Welt dabei war unterzugehen, würde er ihr dafür nicht danken. Weil er ein starrsinniger, mies gelaunter, sexistischer und rassistischer Zwerg war, der nicht über seinen Tellerrand schaute, selbst wenn das die Rettung von ihm und seinen Neffen bedeutete. Oder es lag ganz einfachan ihr selbst. Bilbo würde später für seinen mutigen Einsatz mit dem Respekt und der Freundschaft von Thorin belohnt, doch sie erhielt am gestrigen Abend nichts von ihm. Sie wusste nicht warum Thorin sie so wenig leiden konnte, aber er hatte ganz eindeutig eine gewaltige Abneigung ihr gegenüber. Seufzend ließ sie ihre Schultern hängen und verlangsamte ihre Schritte, sodass sie auf die riesigen Äxte starren konnte, welche gekreuzt an dem breiten Rücken des Kriegers hingen. Wenn Thorin wüsste, warum sie hier war, würde es seine Meinung von ihr ändern? Das würde immerhin für den stolzen Zwerg bedeuten, sich auf eine dürre, kleine Menschenfrau zu verlassen, wofür eines unabdingbar nötig war: Vertrauen. Und das setzte er sicher nicht in sie. Er würde versuchen es selbst zu regeln, oder sie einfach als eine Verrückte abstempeln und zurücklassen, was am Wahrscheinlichsten war. Viel zu viel würde auf dem Spiel stehen, wenn sie Thorin einweihte, oder es auch nur versuchte. Nach wie vor war es also am Besten, wenn sie dem Rat Gandalfs folgte und den Mund hielt. Aber dennoch konnte sie den Gedanken mittlerweile nicht ganz abschütteln und sich doch zu fragen, wie es wohl wäre alles zu erzählen. Den Druck loszuwerden, der inzwischen immer mehr auf ihrem Gewissen lastete. Es war kein Buch mehr, das man gemütlich Zuhause im Bett oder auf der Couch las – es war die Realität, in denen jeder der Figuren atmete. Lebte. Und nicht zuletzt wirklich zu Freunden wurden, die nichts als die ganze Wahrheit verdienten.

Somit begann Anna allmählich diesesGeheimnis zu hassen, doch blieb ihr nichts anderes übrig als weiter die Unwissende zu spielen. Es hingen Leben davon ab. Vielleicht sogar das Leben aller in Mittelerde. Und auch wenn sie versuchte sich damitetwas vorzumachen - es war grundsätzlich kein schlechtes Geheimnis. Es schadete niemandem, wenn sie es für sich behielt. Andersherum jedoch konnte es alles zerstören. Wo zog sich die feine Linie zwischen dem richtigen und dem falschen Tun? Niemand nahm sie bei der Hand und zeigte ihr den Weg. Diesen musste sie ganz allein finden und letztendlich bestimmen. Eine Verantwortung, die mit jedem Tag schwerer wurde. Und egal was der Zwergenkönig jetzt von ihr wollte, es endete sicher unschön, weshalb sie zögerlich hinter Dwalin aus dem Wald ins Lager trat. Das Erste, was sie sah, war ein Nori, der seinem Bruder Ori mit dem Ellbogen unsanft in die Seite stieß als er sie bemerkte. Jener schreckte hoch, alarmierte damit jeden anderen. All die Gespräche stoppten und die Blicke sämtlicher Zwerge hefteten sich an ihr, folgten ihren Schritten wie die Motte das Licht. Die meisten Gesichter bekundeten offene Sorge, die nur ihr mulmiges Gefühl weiter verstärkte. Anscheinend waren alle im Bilde, nur sie nicht. Obwohl auch Kíli außen vor gelassen wurde. Denn er hätte sicher etwas gesagt, wenn er davon gewusst hätte, oder? Irgendetwas ging vor sich und unter all den Gesichtern fiel ihr auf, dass drei fehlten.

Beinahe lief sie gegen den ausgestreckten Arm Dwalins, der sie deutlich am Weitergehen hinderte und sie drehte ihren Kopf verblüfft nach vorn. Sie entdeckte einige Meter weiter die drei Gesichter, die im Lager fehlten. Fíli, Balinund Gandalf, welche offensichtlich mit Thorin eine Diskussion führten, jener mit den Armen vor der Brust einen sehr defensivenEindruck machte. Wenn sie die Szene richtig deutete, sah es so aus als verteidigten Gandalf und Fíli sie gegen Thorins Worte, zu denen Balin eher wie ein Schlichter wirkte, der genau zwischen den Parteien stand. „Warte hier, Mädchen." Mit diesen Worten ließ Dwalin sie zurück und gesellte sich ebenfalls dazu. Ihr Magen verdrehte sich weiter, sodass ihr übel wurde.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 22, 2018 ⏰

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