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Von meiner Last befreit und mit neuen Informationen gefüttert, schlug ich den Weg zum Luca-Clan ein. Die Gang war eine einflussreiche Familie, die mit Schmuggelware ihr Geld machte und dabei so erfolgreich war, dass sie eine Menge Macht besaßen. Es reichte, um ein Viertel des Randviertels unter ihrer Kontrolle zu wissen. Bei dem Turnier waren mit Sicherheit mehrere von ihnen dabei.

Ich war sehr zufrieden mit mir, weil es normalerweise immer länger dauerte, an brauchbare Informationen zu kommen. Issac war, was das betraf ein echter Glücksgriff.

Mittlerweile hatte es begonnen, zu dämmern und der Nebel lichtete sich ein wenig. Doch hier, nahe der Fabrik würde er sich niemals vollständig auflösen.

Ich erreichte die große, hohe Mauer, die uns hier gefangen hielt und folgte ihr ein kleines Stück. Sie war mit Sicherheit über 20 Meter hoch und extrem gesichert. Neben Kameras waren überall Wachtürme und Sicherheitspersonal angebracht, die die Menschen keine Sekunde aus den Augen ließen. Für einen Normalsterblichen wie mich war ein Entkommen unmöglich. Die Mauer verlief auch unterirdisch, weshalb durchgraben kaum möglich war. Sensoren bemerkten jede Bewegung. Ich hatte schon verschiedene Geschichten über Leute gehört, die es versucht hatten und die man nie wieder gesehen hatte. Es waren jene Geschichten, die Kindern erzählt wurden, um ihnen Angst einzujagen. Etwas Wahres war aber bestimmt an ihnen dran.

Nach einer Weile bog ich wieder in die Häuserschluchten ein und verschmolz völlig mit der Dunkelheit. Noch wenige Minuten und ich hätte das Haus des Luca-Clans erreicht. Automatisch war ich vorsichtiger geworden und hatte auf Geräusche oder huschende Schatten geachtet. Fast hatte ich über mich selber lachen müssen, als ich erschreckt vor einer schwarz-weißen Katze zurücksprang. Das Tier fauchte auf und sprang davon. Fluchend verwünschte ich meine Schreckhaftigkeit und eilte weiter durch die dunklen, über riechenden Gassen aus Kopfsteinpflaster und Dreck. Die Vergangenheit war kein Lehrer gewesen, der mir Vertrauen beigebracht hatte.

Auch im Luca-Clan hatte ich einen Kontakt. Der Junge war ein Dienstbote der Luca-Söhne und daher mit vielen Details betraut. Wir waren etwa gleich alt und hatten uns vor einigen Jahren „zufällig" getroffen. Zumindest dachte er das. Ich hatte die Polizei auf ihn gehetzt und ihn dann gerettet. Klingt einfach, war aber sehr mühsam. Besonders, weil er nichts von der Finte merken durfte und es echt lange gedauert hatte, den Richtigen zu finden. Zudem hatte ich ewig den Richtigen Moment abpassen müssen, damit alles funktionierte. Mir war egal, ob das moralisch in Ordnung war, oder ob ich dafür in die Hölle kam, er stand jetzt in meiner Schuld und ab und an bekam ich Informationen von ihm. Wie hieß es doch so schön: „Anderen eine Grube zu graben ist anstrengend, doch es zahlt sich fast immer aus." So war es auch bei ihm.

Ich bog um eine Hausecke und stand auf einem kleinen Platz. Vor mir erstrahlte, in stolzes grünes Licht getunkt, ein altes, von Stuck und Fassadenkunst verziertes Haus. Es war groß, mindestens vier Stockwerke hoch und stach damit aus der Masse, der mickrigen kleinen Häuser drum herum, heraus. Seine Fassade war nicht dreckig Grau oder matschbraun, sondern erstrahlte in hellem Licht und verbreitete eine fast schon romantische Stimmung. Das grüne Licht spiegelte sich in den unzähligen Pfützen des Kopfsteinpflasters und der beleuchtete Nebel brachte etwas Geheimnisvolles mit sich. Jedes Mal beeindruckte mich der Kontrast, den dieses Haus zu seiner Umgebung darstellte. Der Luca-Clan demonstrierte mit allen Mitteln seine Macht und das nicht grade schlecht.

Das Haus war gut bewacht. Unzählige, gut trainierte Männer sicherten von allen Seiten das protzige Gebäude. Zum Glück musste ich nicht hinein. Mein Blick blieb an der noblen Kneipe links neben mir hängen. Sie lag genau gegenüber dem Eingangstor des Hauses und war extra für die Mitarbeiter des Luca-Clans eröffnet worden. Nur wer für ihn arbeitete kam da rein. Und ich, wenn auch nicht ganz legal. Die Kneipe schenkte das beste Bier des gesamten Randviertels aus, was sicher ein Grund war, weshalb so viele gerne für den Clan arbeiteten. Bier war für viele der einzige Luxus.

Zügigen Schrittes ging ich zum Eingang und zog kurz vor der Türe meine Kapuze runter. Ich durfte nicht wie jemand aussehen, der nichts Gutes im Schilde führte.

Vor dem Eingang standen zwei bullige Türsteher und prüften die „Ausweise". Es waren vielmehr kleine Pappkärtchen, auf denen Lorenzo Luca unterschrieben hatte. Wortlos zog ich die gefälschte Karte aus einer Tasche und reichte sie einem der Männer. Der betrachtete sie prüfend und winkte mich durch. Jetzt brauchte ich eine neue. Nur, wer sich den Besuch verdient hatte, bekam eine dieser begehrten Karten, durfte sie allerding nicht behalten, sondern musste sich eine neue verdienen. Sicher unterschrieb Lorenzo die nicht alle selber, sondern auch seine Kinder und ranghohe Mitarbeiter, aber die Kneipe war brechend voll. Es war laut und die Stimmung angeheizt. Der Geruch von Bier und hartem Alkohol erfüllte die Luft. Es wurde ausgelassen gefeiert und ein wenig getanzt.

Die vielen Leute machten mich nervös und ich fühlte mich ziemlich unwohl als ich mich durch die feiernden Menschen drückte. Besoffene Männer rempelte mich an und immer wieder fielen Gläser scheppernd zu Boden. Lautes Gebrüll erfüllte den Raum und unangenehme Musik machte normales Reden unmöglich. Ich hasste Partys. Was die wohl feierten? Egal. Mein Kontakt war fast jeden Tag hier und ich hatte eine gute Chance, ihn zu erwischen.

Wie erwartet saß er ganz hinten an der Wand an seinem Stammplatz und spielte mit Freunden ein Kartenspiel. Auf den ersten Blick erkannte ich, dass sie „Lügen" spielten, denn immer wieder verschwanden Karten unter dem Tisch, oder in irgendwelchen Ärmeln. Ich hätte es nicht anders gemacht, gestand ich mir ohne Reue ein. „Lügen" war mein Lieblingsspiel und ich beherrschte es perfekt. Unauffällig stellte ich mich in ihre Nähe und wartete darauf, dass er mich bemerkte.

Nach einiger Zeit fiel sein Blick endlich auf mich und er entschuldigte sich bei seinen Freunden, dass er auf die Toilette müsse. Ich folgte ihm einige Minuten später.

Die Toiletten waren leer, doch wie gewohnt benutzte ich den Hinterausgang der Kneipe. Wer wusste schon, wer uns alles zuhörte? Der Hinterhof war einer der Orte, an denen man Personen wie uns besser nicht alleine begegnete. Er war dunkle, unheimlich und dreckig. Riesige Müllberge türmten sich an der rissigen Betonwand auf und wenn man leise war, konnte man das tapsen von Rattenpfoten auf dem Boden wahrnehmen.

Mein Kontakt, dessen Namen ich an dieser Stelle nicht preisgeben werde, lehnte entspannt an einer Mülltonne und rauchte eine Zigarette. Lässig blies er die Rauchwolke in den Himmel und guckte ihr einen Moment durch das schummrige Licht hinterher. Ich folgte seinem Blick und guckte in den sternenlosen, bewölkten Himmel. Der Nebel vom Tag hing jetzt über uns. „Was gibst?", fragte er mich abwartend. Bevor ich ihm antwortete, stellte ich mich in den Schatten der Mauer und zog meine Kapuze über. Niemand durfte uns beide zusammen sehen. „Wer von deinen Leuten wird bei dem Billardturnier mitspielen?" Mein Kontakt fing an zu lachen. „Wegen so etwas holst du mich aus einer Feier?" Unbeeindruckt nickte ich und erklärte nüchtern: „Klar, wenn mein Auftraggeber so etwas wissen will. Das Turnier ist sehr begehrt." Mein Gegenüber überlegte einen Moment. „Damit hast du recht. Um auf deine Frage zurück zu kommen; Lorenzo selber wird spielen und sein jüngster Sohn, Pablo." „Wie gut sind die?", fragte ich weiter. „Lorenzo ist was das betrifft kaum zu schlagen, aber Pablo, naja, er gibt gerne mit seinem Nicht-können an." „Schwächen?" Mein Kontakt lachte erneut auf. „Alkohol, ganz klar. Einmal betrunken, treffen die keinen Ball mehr. Reicht dir das?" Ich nickte. Mein Kontakt merkte, dass ich fertig war und stellte nun selbst eine Frage: „Irgendetwas interessantes, was du mir preisgeben könntest?" Ich überlegte einen Moment. „Als ich die Eintrittskarte abholen sollte, wurde mir diese fast geklaut. Das Turnier ist wirklich sehr begehrt. Liegt wahrscheinlich an dem Ranghohen von Außerhalb." Mein Kontakt schien ein wenig enttäuscht, nicht mehr zu erfahren, gab sich aber zufrieden. „Vielleicht hast du nächstes Mal mehr für mich." Ich ging darauf nicht ein. Schließlich stand er in meiner Schuld. „Bis nächstes Mal" verabschiedete ich mich und verließ den Hinterhof. Mein Kontakt würde mir in wenigen Minuten folgen. Aber dann würde ich die Kneipe längst wieder verlassen haben.

Ungehindert verließ ich die Spelunke wieder, in der jetzt eine schlechte Life-Band die Lautstärke zu übertönen versuchte und machte mich auf den Heimweg. Es war kalt geworden und ich zog den warmen Umhang enger um meinen Körper. Er war gut gefüttert und warm. Eigentlich hatte ich den Weg nach Hause einschlagen wollen, doch dann zögerte ich einen Moment und schlug eine andere Richtung ein. Ich hatte auch Lust, mich nach meinen Vorstellungen zu vergnügen.

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