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Frustriert lief ich durch die Straßen zurück. Die Menschen um mich herum ignorierte ich und lief ab und an in jemanden hinein. Ihre lautstarken Beschwerden nahm ich gar nicht wahr und rannte einfach weiter. Innerlich waren meine Gedanken stehen geblieben. Ich wusste einfach grade nicht weiter. Für mich stand fest, dass ich auf gar keinen Fall an diesem Test teilnehmen würde! Notfalls musste ich halt Untertauchen und mir irgendwie anders eine neue Identität besorgen. Ich schlug nicht wie normal den Weg nach Hause ein, zu groß war meine Enttäuschung. Ich ließ mich irgendwo an einer Wand hinuntergleiten und wickelte mich in meinen Umhang ein. Selbstmitleid überkam mich und endlich war ich nicht mehr so wütend. Eher traurig. Resigniert schloss ich die Augen und schlief ein.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich Rückenschmerzen und mir war kalt. Es war eine tolle Idee gewesen, einfach so draußen zu schlafen. Ich quälte mich hoch und bemerkte, dass ich vielleicht 50 Meter von der Bäckerei geschlafen hatte. Das half meiner schlechten Laune auch nicht grade und verdrossen ging ich die letzten Meter bis nach Hause. Sun schien besorgt als ich in die Wohnung kam, aber er war so nett, nichts zu sagen. Schweigend verschwand ich im Badezimmer, stellte die Dusche an und duschte solange, bis kein warmes Wasser mehr aus der Leitung kam. Wie ein seltsamer Schleier hing die Erinnerung von letzter Nacht vor. Er schien als wabernder Nebel durch das winzige Badezimmer zu ziehen. Fast schien ich die dunkle Gasse und Lives gruselige Augen in den Schwaden erkennen zu können. Ich schüttelte ihn und seine unheimliche Erscheinung aus meinem Kopf und stellte das Fenster auf Kipp, damit der Nebel abzog. Kälte drang zu mir herein und zog ich mich schnell wieder an. Müde trottete ich in mein Zimmer und fiel so wie ich war auf mein Bett. Wenige Minuten später war ich eingeschlafen.

Plötzlich rüttelte jemand heftig an meiner Schulter. Ich schlug mürrisch die Augen auf und fuhr überrascht hoch. Vor mir stand Nebel. Wie kam die hier rein? Ich schaute an ihr vorbei und sah Sun, der sehr besorgt wirkte. Ich betrachtete Nebel genauer und bemerkte ihre geröteten Wangen, den schnellen Atem und die schreckhaften Augen. Sie musste gerannt sein. Lange und schnell. Ihre Panikgeweiteten Augen ließen nichts Gutes verheißen. Misstrauisch fragte ich: „Was ist passiert?" Nebel schnappte nach Luft. „Ice, bitte, du musst mitkommen, es ist etwas Schreckliches mit Liam passiert!"

Einige Stunden zuvor:


Liams Sicht

Maik und Eick hatten eine Idee gehabt. Zugegeben, im Nachhinein betrachtet war sie schlecht gewesen. Wirklich schlecht.

Nach dem leckeren Frühstück, ich wollte gerade meine Bleibe hinter mir lassen, meinte Eick: „Ich kenne da jemanden, der jemanden kennt, der hat einen Freund und dessen Schwester hat eine Cousine dritten Grades, die mit einem Mann liiert ist, dessen Neffe dir vielleicht helfen könnte." Spätestens da hätte mir klar sein müssen, dass das ganze kein gutes Ende nehmen würde. Stattdessen antwortete ich mir leuchtenden Augen: „Und wo ist das?"

Zweifelnd klopfte ich wenig später mit klammen Fingern gegen die mit Eisen verstärkte Holztür. Sie wirkte so massiv, wie eine drei Meter dicke Betonmauer. Erste Zweifel kamen in mir auf. Die Gegend war ziemlich heruntergekommen und düster und die große Mauer warf einen großen, dunklen Schatten auf die modrigen Steinhäuser. Laut des zerknitterten Plans in meiner anderen Hand, befanden wir uns im Gebiet des Luca Clans und das war ein echt düsterer Ort. Hier war der Nebel stärker und die Gassen schmutziger als in der Nähe des Tors. Ich fühlte mich unwohl und zuckte regelrecht zusammen als vor mir die Türe aufgerissen wurde. Ein bulliger mürrisch dreinblickender Mann schnauzte mit auf mich gerichteter Waffe: „Was willst du?" Kleinlaut piepste ich: „Ich suche den Freund, der eine Schwester hat, die eine Cousine dritten Grades mit einem Freund hat und dessen Neffe...." Der Mann unterbrach mich und hielt mir die Pistole an die Stirn. „Hör zu Kleiner, wenn du nicht in zwei Sekunden weg bist, blas ich dir eine Kugel in dein jämmerliches Gehirn." Ich schluckte und starrte den Mann mit meinen himmelblauen Augen durchdringend an. Einen Moment lang war Irritation in seinem Blick zu sehen, dann Verwirrung und schließlich kämpfte sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen. „Tut mir leid, dass ich so gemein war, darf ich dich herein bitten?" Er senkte die Waffe und steckte sie schließlich weg. „Gerne", antwortete ich und erwiderte sein Lächeln. Mit einer einladenden Bewegung ließ er mich eintreten und wir gingen gemeinsam in eine Küche, die den Namen Küche kaum verdient hatte. Deshalb verzichte ich auf eine Beschreibung. Der fremde Mann setzte Teewasser auf und schweigend hörten wir dem Pfeifen des Topfes zu, während das Wasser warm wurde. Schließlich nahm er zwei Tassen aus einem Schrank und schenkte ein. Es war merkwürdig, alle Leute luden mich auf einen Tee ein, sobald ich sie durch meine Gabe manipuliert hatte. Ob das wohl zu meiner Fähigkeit dazu gehörte? Wohl eher nicht. Gemeinsam tranken wir ein bisschen Tee und irgendwann beschloss ich, die Stille zu unterbrechen. Heute hatte er Geburtstag. Ich musste ihn finden, bevor er zu dem Test gehen würde. Vielleicht machte ich mir auch unnötig Sorgen, doch, wenn ich Fähigkeiten hatte, warum nicht auch er?

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