Kapitel 18

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In diesen Moment bin ich mir sicher, dass sie das ohne Alkohol niemals gesagt hätte. Aber sie hat es gesagt, und ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Einerseits möchte ich sie trösten, sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass das so nicht stimmt. Aber andererseits stimmt es ja irgendwie großenteils... "Also... Wenn es dir schlecht geht, geht es dir halt schlecht. Ist doch okay..." sage ich letztendlich. Kelly nickt, schnieft und atmet ein paar mal tief ein und aus. Irgendwann meint sie: "Naja... kann man nichts ändern dran... Aber jetzt zu dir. Wieso glaubst du, dass du Bi bist?"
Sein könntest... Korrigiere ich sie in Gedanken, ehe ich antworte: "Naja... Der Kuss. Ich hab mit einem Mädchen, beziehungsweise dir, rumgemacht. Richtig rumgemacht, wenn ich Frodo glauben schenke. Und weil ich mich nicht mehr wirklich daran erinnere, kann ich auch nicht sagen, wie ich es fand. Oder finde, wie auch immer. Gibt es bei dir eigentlich einen Grund, wieso du auf Mädchen stehst? Also... irgendwas, was an Mädchen besser ist als an Jungen?" Auch ich merke in diesem Moment den Alkohol, sonst hätte ich das so zumindest nicht gesagt und gefragt.
"Also..." Kelly zögert, denkt einen Moment nach, um dann zu antworten:
"Also einmal... klar sucht man sich seine Sexualität nicht aus, aber es gibt schon einige Dinge die ich an Mädchen besser finde... beziehungsweise an Melina. Und dir, also halt alle Personen für die ich momentan 'Sprechen' kann..."
Ihre Finger malen kleine Anführungszeichen in die Luft, ich komme mir dabei irgendwie komisch vor. Sie redet über eine Erfahrung mit mir, an welche ich mich nicht einmal richtig erinnere...
"Also Mädchen küssen besser. Wirklich viel besser. Wenn du irgendwann für so was wie rummachen die Wahl zwischen Junge oder Mädchen hast, nimm letzteres. Ich weiß auch nicht woran das liegt, aber Ja... Du küsst übrigens echt gut."
Sie grinst etwas verlegen, meine Wangen laufen etwas rot an. "Äh... Danke? Ich würde jetzt ja gerne sagen, dass du auch gut küsst und so... Aber ja, du kennst das Problem." "Ja..." Kelly nickt, denkt für einen Moment nach, wobei sie wieder etwas trinkt. "Danke übrigens für den Vodka... alles ist besser als dieser billig Sangria den ich sonst immer trinke... Aber zurück zu deinem Problem. Würde es dir helfen, wenn ich dich hier jetzt küssen würde? Einfach so, dass du vielleicht weißt, was ich meine?"
Überrascht sehe ich meine Freundin an, diese drückt mir unterdessen die Flasche in die Hand und nickt auffordernd. Schnell trinke ich einige Schlucke, ehe ich unsicher antworte: "Würdest du das denn wirklich machen? Also... denn um ehrlich zu sein... Schaden würde es mir ja nicht, oder?" Nervös spiele ich mit meinem Armband und beginne damit, im fahlen Licht der Straßenlaterne, dass sehr interessante Etikett der Vodkaflasche zu lesen. Irgendwann nimmt Kelly mir die Flasche jedoch aus der Hand, ehe sie mich mit konzentrierter Miene ansieht. Sie scheint zu überlegen, streicht sich wieder eine Strähne aus dem Gesicht, bevor sie meint: "Okay. Also dann los. Bereit?" Nervös nicke ich. Was genau wird das hier noch mal? "Ey Vanne, alles ist gut. Vertraust du Mir?" Langsam nicke ich, leise sagt sie daraufhin: "Dann mach die Augen zu."

"Vertraust du mir?"
"Ja?"
"Okay. Dann... Mund auf Augen zu."

Eine Erinnerung blitzt irgendwo in meinem Gedächtnis auf, während ich meine Augen schließe und kurz darauf ihre Lippen auf meinen spüre.
Und wäre das hier jetzt eine Geschichte, ein Roman, oder ein Film würde dieser eine Kuss alles ändern. Vielleicht würde uns jemand erwischen und ab dann würden in die Schule bis zum Suizid gemobbt werden. Oder aber wir würden uns in einander verlieben, mit einander schlafen, was die in den ganzen Geschichten ja ständig machen... Jedenfalls, würde jetzt irgendwas passieren, wäre das hier eine Geschichte. Aber es ist real, die Realität, und darum passiert nichts.
Auch als wir uns irgendwann wieder von einander lösen, geschieht noch immer nichts. Sie greift nach der Vodkaflasche und trinkt etwas, ich trinke etwas, wir reden weiter.
Über nichts besonderes, nicht über den Kuss, nicht über Liebe, Sexualität, was auch immer. Aber ich muss an diesem Abend auch nicht über irgendwas besonderes mehr sprechen, das wichtige wurde gesagt und jetzt geht es uns eher darum, dass wir unsere Dämonen nicht alleine weg zu trinken.

"Ist dir kalt?"
Kelly neben mir hat zu zittern angefangen, jetzt, wo ich darüber nachdenke, spüre auch ich die eisige Kälte, welche schon tief in meinen Knochen zu stecken scheint. Schnell nickt Kelly und steht auf. "Wollen wir... zu mir gehen? Deine Eltern... haben doch was gegen Alkohol?" Lallt Sie, dabei hält sie sich an meiner Schulter fest, um nicht um zu kippen. Langsam nicke ich, dabei stehe ich auf. Allerdings muss ich mich sofort wieder an Kelly und der Bank abstützen, da sich im nächsten Augenblick alles um mich zu drehen scheint. Einen Moment bleibe ich so stehen, ehe ich meinen Rucksack und mein Board aufhebe. "Haben deine Eltern nichts dagegen?" Frage ich, Kelly schüttelt grinsend den Kopf. "Nö... Meine Eltern sind voll die Asis, aber cool... Und jetzt komm."
Mit diesen Worten nimmt sie meine freie Hand und zieht mich weg.

***

Der Wecker am nächsten Tag klingelt viel zu früh. Um 6:50, um genau zu sein.
Denn wir beide haben heute Schule, was wie gestern Abend gekonnt verdrängt haben.
Wunderbar.
"Morgen..." Grummelt Kelly neben mir, sie hat, genau wie ich, noch die selben Klamotten wie gestern an, ihr Make-up ist verschmiert und ihre Haare verstrubbelt. Aber vermutlich sehe ich genau so beschissen aus, also von daher...

***

Als ich den Raum meines ersten Kurses betrete, hat der Unterricht schon seit mehreren Minuten begonnen. Der Weg von Kelly zu mir Nachhause und von dort in die Schule hatte länger gedauert als gedacht. Aber da ich mich noch umziehen wollte und meine Schulsachen Zuhause geblieben sind war dies leider notwendig. Als ich dann auch noch meinen Bus verpasst hatte, wusste ich, das ich verkackt habe. Und die Tatsache, dass ich den Kater meines Lebens habe, erleichtert mir mein Leben auch nicht, als ich tot müde und außer Atem auf meinen Platz in der letzten Reihe zu stolpere.
"Na? Bisl zu lange Party gemacht?" Fragt Florian grinsend, ich werfe ihm einen wütenden Blick zu. "Nicht lustig." Formen meine Lippen stumm in seine Richtung, während ich Block und Stifte aus meiner Tasche ans Tageslicht befördere und damit beginne, mit zu schreiben.
Was ich jedoch bald wieder aufgebe, Kopfschmerzen, Übel und Müdigkeit... keine gute Kombination. "Ey... Flo? Hast du was zu trinken mit...? Ich hab meins Zuhause vergessen..." Er nickt und kurz darauf öffne ich mit bebenden Fingern seine Trinkflasche, um einige Schlucke aus dieser zu nehmen. Erwarteter Weise tritt  allerdings keine Besserung ein, leise stöhne ich auf und lege mich halb auf den Tisch.
Neben und vor mir höre ich Frodo und Florian lachen, zu dem 'Mir-geht-es-so-beschissen'-Gefühl gesellt sich nun auch etwas Scham, es ist mir peinlich, von all den Menschen hier in diesem 'Zustand' gesehen zu werden. Hätte ich gestern nur nicht so viel getrunken, verdammt...
"Ey... Vanessa..." Leise stöhnend hebe ich den Kopf und blicke mich suchend um,  bis ich irgendwann Melina entdecke, welche mit einer sichtlich kaputten Kelly an einem Tisch sitzt und wild mit einer Tablettenpackung quer durch die Luft wedelt. "Aspirin." Formen ihre Lippe, erleichtert nicke ich. Florian beugt sich vor und fängt die Packung auf, welche Melina wagemutig in unsere Richtung geworfen hat. Mit bebenden Fingern drücke ich eine Tablette aus der Packung und schlucke diese mit etwas Wasser aus Florians Flasche hinunter.
Dann beginne ich damit, mich zu sammeln und zu versuchen, mich auf den Unterricht zu konzentrieren, während ich auf die Wirkung der Tablette warte.

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Uuuuuund ich habe mir beim Handball die Hand verletzt. Schreiben ist also momentan nicht ganz so einfach xD
Mal schauen, ich hab ja vorgeschrieben :)

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