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"Monsieur Henson"

Die Bar ist dunkel, die Glasscheiben, gefärbt in blau, rot, grün und gelb, lassen das langsam am Horizont verschwindende Tageslicht nur beschränkt hinein. Eine Wand voller Rauch erwartet Harry, sobald er die schwere Tür aus dunklem Holz an der Messingklinke zu sich zieht und über die Schwelle tritt.

Der Griff um seinen Mantel lockert sich und wenig später streift er den einst dicken, wärmenden Stoff von seinen Schultern. Er hängt das Kleidungsstück an einen der wenigen freien Haken rechts neben dem Eingang, bevor das laute Gelächter von einigen Männern seine Aufmerksamkeit auf sich zieht und ihn seine Entscheidung, die trauten vier Wände für einen Abend zu verlassen, überdenken lässt.

„Sieht ganz danach aus, als müssten Sie Ihrem Weib noch einige Manieren beibringen", spottet ein hagerer, nobel gekleideter Herr, dessen Augen sich hinter dicken Gläsern verstecken. Beide seiner Hände sind um ein Glas voller dunkelroter Flüssigkeit geschlungen, als wäre diese sein Heiligtum und das schiefe Lehnen an der Bar Theke lässt den Maler vermuten, dass dies nicht sein erstes Getränk der Nacht ist. Das Ziel seiner Verhöhnung ist ein Mann, einen ganzen Kopf kleiner als Harry, der sich auf einem der hölzernen, für seine Kleidung zu schäbig wirkenden Barhocker befindet.

Er besitzt einen Bierbauch von den allwöchentlichen Exzessen in der Bar zwei Häuserblocks von seiner Villa entfernt. Gegensätzlich zu dem breiten, beinahe kugelrunden Oberkörper, tragen ihn zwei dünne, kurze Beine durch die noble Gegend Londons. Ebenfalls zart – abgesehen von der flatternden, überflüssigen Haut – sind seine Arme, an deren Enden jeweils eine Hand angewachsen ist. Dicke Finger, in denen sich scheinbar all das Fett seiner Beine angesammelt hat, umschlingen das Glas, in der eine klare, braune Flüssigkeit schwimmt.

Er führt das Getränk zu seinen schmalen Lippen, hinter denen sich leicht gelbliche Zähne befinden. Der Blick seiner kleinen, denen eines Fisches ähnelnden Augen bleibt stets auf die Umgebung vor sich gerichtet, selbst, als der Alkohol sich brennend seinen Weg durch die Speiseröhre innerhalb des kurzen Halses macht.

Passend, wie Harry empfindet, dringt eine raue und dennoch helle Stimme aus dem Mund des Mannes, die jegliche Aufmerksamkeit der Personen in seinem Umfeld auf sich zieht: „Eigentlich sollte ich Ihren Zynismus als Akt des Neides deuten, dennoch bin ich es, der Sie, Lord Edward bedauert, da Sie kein Weib besitzen."

Ruckartig lässt er die rechte Hand nach unten fallen, bis die Unterseite des von seinen Fingern umschlungenen Glases unsanft in Berührung mit der Theke, an der er sich, umgeben von Männern, an einer Hand abzählbar, befindet. Neben den vereinzelten Tropfen Whiskeys, die durch die Wucht aus dem Behälter geschleudert und in einigen Minuten zu unschönen Flecken auf dem polierten Holz werden, hallt ein lauter Knall, der sämtliche weitere Kunden aufsehen lässt, durch die Bar. Ein Rülpsen entflieht seinen Lippen, doch durch die vorgehaltene, linke Faust wird dessen Geräusch gedämpft und bevor jemand seine nicht seiner Kleidung sowie seinem Stand angemessenen Manieren kommentieren kann, ruft er: „Ein Hoch auf euch ewigen, männlichen Jungfrauen!"

„Was würde ich doch nur für eine Gattin wie Ihre geben", bemerkt der Jüngste seiner Zuhörer, niemand anderer wie Louis aus dem Malerei-Geschäft, wie Harry mit Entsetzen feststellen muss. Der kleine Verkäufer hat seinen linken Ellbogen auf der Theke aus dunklem Holz abgestützt, das Kinn in der Handfläche platziert. Beinahe schmachtend liegt sein Blick auf dem älteren, rundlichen Herrn.

„Glauben Sie mir, Tomlinson, dieses Weib ist nichts wert", kontert der Angesprochene, bevor er mit erhobenem Zeigefinger dem Kellner deutet, dass sein Glas aufgefüllt werden soll. „Ihr Körper lediglich wiegt ihre verrottete Persönlichkeit auf und macht sie in diesem Sinne begehrenswert."

French Girls / h.sWhere stories live. Discover now