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„Kerzenschein"

Mit einer einzigen Berührung befindet Harry sich wieder in der Dunkelheit und Kälte Londons, weit entfernt von der Wärme und der Unbeschwertheit Paris'. Perplex blinzelt er mehrere Male, als müsste er sich an die Lichtverhältnisse gewöhnen. Kein kindliches Gesicht befindet sich mehr direkt vor ihm, die Augen grau, nicht grün. Die Haare nicht brünett, sondern dunkelrot.

„Mister Styles, geht es Ihnen gut? Ich habe mir Sorgen um Sie gemacht", spricht Carolina und lässt die linke Hand, die ihn zuvor mit einem sanften Stoß auf die Schulter in die Realität zurückgeholt hat, langsam sinken, bis sie schlaff an ihrer Seit herabhängt.

Der Maler greift sich an die Stirn, hinter der sich ein dumpfer Schmerz ausbreitet und schüttelt den Kopf, um die vernebelten Gedanken zu sortieren. Schnell wird ihm seine stumme, verneinende Antwort bewusst, weshalb er der Frau schnell versichert: „Mir geht es bestens, ich war lediglich in Erinnerungen vertieft."

„Ziemlich schöne, Ihrem breiten Lächeln, das Sie den Rest des Weges auf Ihren Lippen trugen, nach zu urteilen", stellt sie fest.

„Dies ist unwichtig", wehrt Harry ab, erst jetzt bemerkt er die Haustür seines Ateliers direkt hinter Carolinas Rücken.

Er deutet dieser mit einer Handbewegung, als würde er über einen unsichtbaren Gegenstand wischen, zu Seite zu gehen. Nachdem sie dem wortlosen Befehl befolgt hat, zieht der Mann den einzelnen, silbern glänzenden Schlüssel aus seiner rechten Manteltasche. Wie jedes einzelne Mal rüttelt er an der Türklinke, während er das Schloss öffnet. Mit all seinem Gewicht stemmt er sich gegen das Holzbrett, bis dieses nachgibt und das Atelier zugänglich macht.

Lediglich das gegenüberliegende Fenster lässt das Mondlicht einfallen und spendiert ein wenig Licht. Harry, gefolgt von der Frau, tritt über die Türschwelle und streift sich währenddessen den Mantel ab. Achtlos wirft er diesen zu seiner Linken auf den Boden, in die Nähe der Treppen.

„Sie sollten sich hier bereits auskennen, steigen Sie doch bitte auf das Podium", weist der Maler Carolina an. Zusätzlich deutet er auf die Erhebung im Boden, ohne diesem jedoch weitere Beachtung zu schenken.

Stattdessen wühlt er in der Unordnung, die in dem Atelier herrscht und von zahlreichen losen Papieren geprägt ist, herum, seine Finger ertasten sich exakt zwei dicke, hellbeige Kerzen. Nach einer weiteren, dieses Mal kürzeren Suche, entdeckt er eine kleine Verpackung, in der sich nur mehr ein einziges Streichholz befindet.

Mit Hilfe einer flinken Handbewegung zündet Harry dieses an, die plötzliche Hitze steigt ihm in das Gesicht, das durch die kleine Flamme erhellt wird. Nachdem er eine der Beleuchtungen neben seiner Staffel platziert hat, macht er sich auf den Weg zum Podium und somit auch zu Carolina. Deren Arme sind fest um ihren Oberkörper geschlungen, erst jetzt bemerkt er ihren starren Blick, der auf ihn gerichtet ist.

„Seit wann beobachten Sie mich so unverschämt?", fordert der Mann sie heraus, während er die zweite Kerze auf dem kleinen Tisch, rechts neben der Chaiselongue platziert und somit die Sitzgelegenheit in warmen Licht erstrahlen lässt.

Noch rechtzeitig wendet Harry sich wieder der Frau zu, sodass er ihr halbherziges Schulterzucken mitansehen kann. Carolina macht einen Schritt auf ihn zu und gibt zu: „Mich fesselt die Neugierde. Erzählen Sie mir doch bitte, weshalb Sie so unbeschwert lächeln konnten."

„Damit Sie ebenfalls aus der düsteren Realität fliehen können?", hinterfragt Harry und mit einem Schlag senkt sich ihr Blick, weicht seinem aus. „Sagen Sie mir, kennen Sie das Gefühl von junger Liebe?"

„Einem Mädchen des gesellschaftlichen Stadtkerns Londons wird jegliche emotionale, romantische Bindung zu einem Mann verwehrt, außer dieser wird diese bis an sein oder ihr Lebensende aufrechterhalten in Form einer Ehe", erklärt sein Gegenüber beschämt, selbst in der spärlichen Beleuchtung kann er die zarte rosa Färbung ihrer Wangen erkennen.

French Girls / h.sWhere stories live. Discover now