XI.

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XI.

                „Was ziehst du denn für ein langes Gesicht?" Fragt meine Kollegin Cosima mich, als sie sich beim Mittagessen zu mir an den Tisch setzt. Sie ist eine der wenigen Kollegen, mit denen ich regelmäßig spreche. Ich würde nicht sagen, dass wir beste Freunde sind. Aber sie ist die Person in meinem Leben, die einer Freundin am Nähesten kommt.

„Ich hatte ein scheiß Wochenende." Murmle ich, zwischen ein paar Bissen von meinem Salat.

„Wie das? Ich dachte, du hattest Urlaub. Wolltest du nicht irgendwohin fliegen, um dich mit einem alten Bekannten zu treffen?" Bei der Erwähnung des alten Bekannten wackelt sie grinsend etwas mit den Augenbrauen.

„Und warum schließen all diese Dinge ein scheiß Wochenende aus?" Frage ich und verziehe mein Gesicht zu einer Grimasse.

„Okay, okay Miesepeter. Ich bin eigentlich nicht hier, um mich von dir runterziehen zu lassen."

Fast will ich sie fragen, wieso sie dann überhaupt hier ist, aber ich weiß, dass Cosima es nur gut meint und versucht mich aufzuheitern. Daher gebe ich nur ein Seufzen von mir und esse still meinen Salat weiter.

So läuft es meistens zwischen Cos und mir. Wir reden ein paar Worte und essen dann still unser Mittagessen. Unsere Freundschaft besteht nicht aus endloslangen nichtssagenden Gesprächen. Trotzdem verstehen wir, was der jeweils andere uns sagen will.

Ich weiß nicht, wann der eigentliche Fehler anfing. Als ich erneut mit Oliver schlief? Als ich in den Flieger nach Washington stieg? Als ich zusagte, überhaupt nach Washington zu reisen? Oder vielleicht sogar schon als ich abnahm, als er mich an diesem Abend anrief?

Ich weiß nur, dass all das Teil eines riesengroßen Fehlers war. Und ich weiß auch, dass ich mir diesen Fehler selbst zuzuschreiben habe.

Trotzdem habe ich Oliver vor meiner Abreise all diese unschönen Dinge an den Kopf geworfen. Habe ihm praktisch gesagt, dass alles seine Schuld ist und habe ihn für das, was passiert ist, verantwortlich gemacht.

Daher erwarte ich auch keine Antwort auf meine Entschuldigungs-SMS, die ich ein paar Tage nach meiner überstürzten Abreise von Washington und meinem Gespräch mit Cosima, an ihn schreibe. Doch kaum eine halbe Stunde nach dem Absenden der Nachricht, erhalte ich seine Antwort; und die ist keineswegs beleidigt oder gar sauer, weil ich einfach so mir nichts dir nichts verschwunden bin.

Sie ist einfach so wie Oliver - erfrischend locker und absolut süß. Sie soll der Anfang vieler solcher SMS sein. Da Washington der letzte Stopp seiner Nordamerika Tour gewesen ist und er nun weiter nach Asien und danach Europa tourt, werden wir uns wohl eine ganze Weile nicht sehen können.

Doch die Worte in seinen SMS sind fast, als hätte ich trotzdem ein Stück von ihm immer bei mir.

Außerdem muss ich mir eingestehen, dass ich nach dem was in Washington passiert ist, auch ein kleines bisschen Angst, vor unserer nächsten Begegnung habe.

Doch so beängstigend und abschreckend der Vorfall in DC auch gewesen ist, er hat zumindest ein kleines Bisschen Gnade gehabt. Denn obwohl mindestens 500 Fotos dabei geschossen worden sind, sieht man auf keinem davon mein Gesicht. Zumindest auf keinem, das bis jetzt veröffentlicht wurde.

Dadurch, dass ich ein Stück hinter Oliver gestanden habe und er etwas größer ist als ich, verdeckt seine Schulter sämtliche markanten Punkte von mir, die verraten hätten, dass es sich um mich handelt.

So bin ich immerhin davon verschont geblieben, Opfer einer Twitter-Hassattacke oder der Gerüchteküche zu werden. Und Oliver hat sich dadurch bestimmt auch eine Menge Erklärungen, darüber wer ich bin und was das zwischen uns ist, erspart.

In seinen SMS schreibt Oliver mir meist Anekdoten aus seinem Tour-Leben. Wo er gerade ist. Wer ihn worüber interviewt hat. Wie viele Shows vor ihm liegen. Doch neben all diesen Dingen, die sich nach dem perfekten Rockstarleben anhören, kommen von Zeit zu Zeit auch andere Dinge zum Vorschein.

Meist kommen Nachrichten mit solchen Inhalten spät nachts beziehungsweise früh morgens. Wenn er nach dem dritten Abend hintereinander abgekämpft im Bett liegt und es trotz seiner totalen Erschöpfung, nicht schafft einzuschlafen. Wenn ihn die Gedanken quälen, während er verzweifelt versucht, wertvollen Schlaf zu finden. Zumindest vier Stunden die Augen zu schließen und die Welt für kurze Zeit vergessen zu können.

Dann werden seine Nachrichten anders. Dann spüre ich seine Ermüdung, seine Traurigkeit. Seine Einsamkeit. Sätze wie ‚Kennst du dieses Gefühl, wenn du in einem Raum voller Leute bist und dich trotzdem alleine fühlst?' machen es mir schwer, ihm andere Nachrichten, die davon schwärmen wie toll die Tour ist, abzukaufen. Lassen ihn mich unglaublich vermissen und lösen in mir das Verlagen aus, ihn in meiner Reichweite zu wissen.

So dass ich etwas gegen seine Einsamkeit unternehmen könnte. So dass ich ihn weniger vermissen würde.

Denn seine unterschwelligen Botschaften in seinen nächtlichen Nachrichten, lassen mich ihn unglaublich vermissen. Nicht den Sex mit ihm, nicht die Küsse oder das Händchen halten. Sondern ihn selbst - seine Nähe, sein Lachen, seine Art und Weise, mich zum Staunen zu bringen.

Ich bemerke einfach, dass ich bei ihm sein möchte.

Und ein kleines bisschen bemerke ich auch, dass er und seine SMS mir gegen meine eigene Einsamkeit helfen. Auch wenn ich versuche, dieses Wissen bestmöglich zu verdrängen. Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass ich mich oft allein fühle - und nicht so ein Allein, wie ich es gerne bin. Sondern ein Allein, das mir Angst macht, dass ich es vielleicht für den Rest meines Lebens bleiben werden muss. Und das ist kein schönes Gefühl.

a/n: da ich gerade von der muse geküsst wurde und sehr sehr weit vorgearbeitet habe, kommt hier ein dreifaches update! ich denke, dass ich die geschichte in naher zukunft - aber auf jedenfall noch dieses jahr - abschließen werde können. wuhu. meinungen eurerseits sind wie immer gern gesehen / gelesen :)

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