04. Oktober 2015
» Louis
Maya hielt meine Hand. Nein, sie zerquetschte meine Hand und ich wusste nicht, ob es gut war, dass die Durchblutung solange unterbrochen wurde. Ich bildete mir sogar schon ein, dass meine Finger blau anliefen. Sie würden bestimmt abfallen, wenn sie sich weiterhin so krampfhaft an mir festhielt. Ich atmete auf, als sich ihr Griff lockerte und sie wieder in die Kissen zurück sank. Mit meiner noch funktionstüchtigen Hand griff ich nach einem feuchten Tuch und strich ihr sanft über die Stirn.
"Ich hasse dich", stieß sie hervor und hechelte wieder, während die Hebamme zwischen ihren Beinen auftauchte. "Sehr gut", sprach sie in einer beruhigenden Stimme. "Es kommt bald."
Mayas Augen schlossen sich. "Du machst das gut", wisperte ich leise und konnte nicht anders als ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken.
In der Tat war es etwas ungewöhnlich, dass ich neben ihr am Bett hockte und ich konnte mir das fette Grinsen nicht verkneifen, wenn ich an die langen Gesichter von den Mädchen und ihren Kerlen dachte, die draußen auf dem Flur hockten. Maya wollte mich dabei haben, wenn unser Kinder auf die Welt kam. Mich und niemand anderen. Es machte mich stolz und auch ein bisschen schadenfroh, wobei ich es mittlerweile auch ein wenig bereute. Denn mit nur einer Hand war man sicherlich ziemlich eingeschränkt.
Die nächste Wehe durchzog den Körper der werdenden Mutter und die nächste Welle an Schmerzen durchfuhr meine Hand. Aber was tat man nicht alles?
Eine neue Welle von Beschimpfungen folgte und ich konnte nicht anders als amüsiert zu glucksen. Sie beschimpfte mich und beschuldigte sich mit jeder Wehe. Bezeichnete mich als Vollidot, Blödmann und Arschloch, was definitiv noch die harmlosesten Beschuldigungen waren. Aber wenn es ihr half...
Wie ich herkam? Eine gute Frage und ich wusste es selbst nicht so genau. Vielleicht war es purer Zufall, dass ich mit meiner Schwester - und ihrem Freund - gerade in Wien war, weil sie sich einen Städtetrip nach Europa gewünscht hatte und ein noch größerer Zufall war es, dass ich diesen genau in die Zeit gelegt hatte, in der es bei Maya in die heiße Phase ging.
Von Liam, meinem letzten verbliebenen Kompagnon, hatte ich erfahren, dass Maya auf dem Weg ins Krankenhaus war. So hatte ich meine Schwester in der Obhut von Tommy gelassen und war zu der Adresse gefahren, die Liam mir hatte zukommen lassen. Es hatte tödliche Blicke gehagelt als ich schließlich dort auftauchte und vor versammelter Mannschaft da stand. Weshalb plötzlich alle da waren, konnte ich mir nicht erklären. Wahrscheinlich wollte sie alle Händchen halten. Aber Maya hatte mich dazu auserkoren, als man sie an mir vorbei in den Kreißsaal schob.
Ich hatte es mir natürlich nicht nehmen lassen allen Anwesenden ein süffisantes Grinsen zu zuwerfen, ehe ich Maya begleitete und mir die Hand zerquetschen ließ. Ihr Stöhnen und Hecheln zog mich aus meinen Gedanken und riss mich zurück in Hier und Jetzt. Sie lehnte sich vor und unter dem ermutigenden Zureden der Hebamme presste sie.
Wie lange wir letztendlich in den Wehen lagen, konnte ich nicht sagen. Die Zeit verrann langsam, aber als schließlich ein jämmerliches Schreien durch den Raum drang, schienen die letzten Stunden sich auf ein Minimum zusammenzuziehen.
Ein kleines schrumpeliges Etwas wurde Maya auf die Brust gelegt. Ihr entwich ein erleichtertes Keuchen, ehe sich ihre Hand von meiner löste und sie sich ganz auf das Baby konzentrierte.
"Hallo", entwich es ihr leise mit sanfter Stimme. Sie strich dem kleinen Wesen mit dem Finger über die Nase, fuhr die Gesichtszüge nach und dabei trug sie ein sanftes Lächeln auf den Lippen. Für mich war sie in diesem Augenblick der wohl schönste Mensch auf der Erde - abgesehen von dem kleinen schrumpeligen Etwas. Ich wusste nicht, ob ich lieber sie oder das kleine Baby anstarren sollte, welches sich nur schwach regte und offenbar noch immer unter Schock stand, dass es nun tatsächlich auf die Erde geschafft hatte.
"Er ist so winzig", murmelte sie leise und ich nickte leicht. Ich lehnte mich zu ihr und konnte nicht anders als ihr erneut meine Lippen auf die Stirn zu drücken. "Wie heißt er?", fragte ich leise, da bislang niemand mir den Namen verraten hatte.
"Noah", flüsterte sie.
"Noah", wiederholte ich und nickte. "Ja. Das passt zu ihm", murmelte ich und hob die Hand um nun zum ersten Mal den kleinen Mann zu berühren. Seine Haut war warm und noch ein wenig feucht.
Wir genossen die ersten Minuten mit unserem Sohn und glaubt es mir oder nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass all die Probleme und Vorbehalte, die ich bislang hatte, mit einem Mal verpufften. Es gab nur noch Noah und Maya und ich würde alles tun, damit die Beiden glücklich würden.
Während Maya und auch Noah von der Ärztin untersucht wurde, trat ich mit einem leicht weggetretenen Blick raus auf den Flur um unseren Freunden davon zu berichten, dass wir um ein weiteres Mitglied in unserer chaotischen Familie reicher waren.
Die Freude war groß und zwei Stunden später war das Zimmer, in das Maya gebracht wurde, nahezu überfüllt. Ein wenig abgeschlagen, hockte ich in der Ecke und verfolgte das Geschehen eher als eine Art Zuschauer. Man wollte mich ganz offensichtlich nicht dabei haben. Einzig Liam klopfte mir einmal kurz auf die Schulter und beglückwünschte mich. Ich dankte es ihm mit einem kurzen Lächeln.
Erst am Abend gönnte man der Mutter meines Sohnes etwas Ruhe. Ich hockte nach wie vor in meiner Ecke, in der ich es mir mittlerweile häuslich eingerichtet hatte, und beobachtete sie. Erschöpft lag sie in ihrem Bett, konnte den Blick aber nicht von dem Säugling lösen, der neben ihr in einem Bettchen schlummerte. Ich lächelte schwach, denn mir ging es ähnlich.
"Louis." Sie klang so erschöpft wie sie aussah.
"Hm?"
"Kannst du zu mir kommen?", fragte sie leise. Ich nickte und tat ihr den Gefallen, indem ich mich zu ihr ans Bett setzte. "Wie geht es dir?", erkundigte ich mich.
"Ich bin müde."
"Dann solltest du etwas schlafen."
Sie betrachtete mich und schüttelte den Kopf.
"Warum nicht?"
"Ich habe Angst, dass du gehst."
Ich erstarrte für einige Sekunden, ehe ich sie schwach anlächelte. "Ich bleibe hier", versprach ich ihr leise. "Solange du mich hier haben möchtest."
"Versprochen?"
"Versprochen." Ich neigte mich leicht zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. "Schlaf jetzt. Du hast es verdient. Ich bleibe hier und passe auf euch auf." Das schien sie genug zu beruhigen, dass sie tiefer in ihre Laken rutschte. Ihre Augen fielen zu und wenige Sekunden später war sie eingeschlafen. Ich lauschte ihren gleichmäßigen Atemzügen, ehe ich mich erhob und mich zu meinem Sohn begab.
Er war so klein und sah so zerbrechlich aus. Seine kleinen Fingerchen zuckten im Schlaf und ich fragte mich, ob er von seinen ersten anstrengenden Stunden auf dieser Erde träumte. Von seiner Mutter und seinem Vater.
Maya regte sich und murmelte leise vor sich hin, was meine Aufmerksamkeit zu ihr lenkte. Ich lächelte schwach. "Schlaf weiter. Ich bin da", sprach ich leise und setzte mich zu ihr wieder ans Bett um weiterhin den Schlaf der beiden zu überwachen und sie vor allem zu schützen, was sie wecken könnte.
Tief in mir wusste ich, dass sich mit Noahs Geburt etwas gravierendes geändert hatte. Mein Leben würde sich auf den Kopf stellen, aber ich war bereit dazu. Hals über Kopf hatte ich mich in diesen kleinen Menschen verliebt und ich würde alles dafür geben, dass er nur das Beste erfuhr, was es im Leben gab.
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Baby Blues
FanfictionZwei kleine Streifen veränderten das Leben von Maya von grundauf. Ohne Mann, aber mit neuen Freunden sieht sie sich ihrem größten Abenteuer gegenüber. Entstanden ist diese Geschichte als Wichtelgeschenk für die liebe Michelle, daher wird es hier f...