Kapitel 1: Regenbogenportale und Militärmäntel

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12. Dezember 2006, Deutschland um ungefähr 22:30:

Eigentlich begann alles ganz normal. Oder eher gesagt: nicht wirklich normal, aber als es geschah war ich einfach zu müde, um rational zu handeln. Man muss wissen, dass ich ein Mensch bin, der überaus viel Schlaf benötigt und das immer und zu jeder Zeit.       

Also war auch 22:30 Uhr eigentlich schon über meine Schmerzgrenze hinaus. Müde torkelte ich über den Hof meiner Familie und versuchte nicht allzu angreifbar zu wirken. Zwar lebte ich hier nun schon mein ganzes Leben jedoch war es mir immer noch nicht geheuer, über den langen Weg bis zum Holzhaufen zu laufen um Holz zu holen. Jedes mal aufs neue überfiel mich leichte Panik, sodass ich den Kopf zwischen den Schultern im hohem Tempo die Strecke hinter mich brachte. Eine in meinen Augen durchaus berechtigte Angst. Selbst mit fast 16 Jahren. Der Bollerwagen, den ich zum Holz holen mitgenommen hatte, ratterte unüberhörbar laut und die Taschenlampe in der Hand leuchtete nicht mehr als ein oder zwei Meter. In meinen Augen war ich nun leichtere Beute als ein dreimal überfahrener Mader. Und ausserdem war es kalt. Die provisorisch an meinen Füssen steckenden Crocs, der übergrosse Militärmantel, der wie ein nasser Sack an mit runterhing und der riesige knallrote Schal, den ich wie eine Boa Constrictor um meinen Hals gewickelt hatte, liessen mich mehr oder weniger wie eine Obdachlose aus sehen.

Leise fluchte ich vor mich hin und versuchte meinen Blick stur nach vorne zu richten und bloss nicht ausserhalb des spärlichen Lichtkegels. Im Schatten sah es aus, als ob wabernde Gestalten lang und stetig pulsierend mit mir Schritt hielten. "Daistnichtsdaistichtsdaistnichtsdaistnichts.", beschwörend ruhig atmend versuchte ich nicht durchzudrehen. Dunkelheit an sich war nicht schlimm.                                                                               Aber alleine über den Hof zu rennen wie eine Irre, weil die Heizung ausgefallen und sonst niemand Zuhause war, war nicht so optimal. Der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, war der, das selbst wenn ich nun vergewaltigt/getötet werden sollte, ich zumindest nicht irgendwo vergewaltigt/getötet werden würde. Was es auch nicht besser machte und auch ziemlich übertrieben war. Zwei Schritte bis zum Holzhaufen noch, als mich hinter mir ein ohrenbetäubender Knall zusammen zucken liess.

Scheisse. In Schock drehte ich mich langsam um und sah gerade noch, wie so etwas wie ein Regenbogenfarben glitzernder Lichtschweif auf den Boden traf, ein Zeichen in den Boden fräste, und sich dann langsam verflüchtigte. In den Himmel. Von wo es gekommen war.  Auf den immer noch glühenden Zeichen im Boden stand jemand. Nur zwei Meter von mit entfernt, das Gesicht nur leicht beleuchtet vom rotgoldenen Glühen unter ihm und zwei Hörnern auf dem Kopf.

Ein leichtes Keuchen entfuhr mir: "Heilige Scheisse, der Teufel!" Es war keine Frage, sondern eher eine Feststellung. Die Person vor mir lachte leicht. Beachtete mich jedoch nicht weiter, sondern drehte sich einmal im Kreis und schnippte mit den Fingern. Wie, als wären sie Streichhölzer, entfachten sich diese mit einem leisen fshum und standen in Flammen. Die davon ausgehende Druckwelle legte sich warm auf meine Haut und halb beängstigt, halb begeistert trat ich schnell zurück in Richtung Scheune. In Richtung Mistgabel genauer gesagt. Der vor mir stehende Mann drehte sich langsam um und blickte mich an. Und erneut blieb mir das Herz stehen. Er sah nicht mal schlecht aus. Schulterlange, schwarze Haare, hellgrüne, kalte Augen, die den Ausdruck verliehen er wäre über das Verhalten anderer belustigt und ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen. Nachdenklich berührte er sein Kinn mit den eleganten Fingern, die definitiv noch nie harte Arbeit betrieben hatten und starrte mich hochmütig an. Er war dem Anschein nach nur wenige Jahre älter als ich, vielleicht ein oder zwei, doch seine Aura strahlte etwas anderes aus. Etwas kaltes, eingebildetes und gleichzeitig uraltes. Meine Hand tastete nach der Mistgabel.

"Das würde ich tatsächlich lassen.", lächelte er und näherte sich auf einen Schritt.            
" Schliesslich... hat doch keiner von uns beiden schlechte Absichten." Ein katzenhaftes Lächeln huschte über sein Gesicht. Dann weitete er jedoch die Augen, und fuhr fort, als hätte er etwas vergessen:" Aber zuvor, darf ich meine Wenigkeit der bezaubernden Dame vorstellen: Loki, Sohn des Odin aus Asgard." Ich schluckte trocken, erwiderte jedoch nichts. Verzweifelt versuchte ich herauszufinden, was er von mir wollte. Einfach auf anderer Leute Hofe aufzutauchen (Wortwörtlich), gekleidet wie einer der gerade von einem LARP weggerannt war und dann wie ein geleckter Schosshund sich mit einem KNICKS vorzustellen! Der Typ war definitiv nicht ganz normal. Ein Kalter Schauer rannte meinen Rücken hinunter. OGott Loki war bestimmt nur ein Wahnsinniger Zirkusdarsteller auf der Suche nach seinem nächsten Opfer. Und das war ich. Und das war nicht der Plan des heutigen Abends gewesen. Mit der rechten Hand griff ich die Mistgabel noch ein bisschen fester und verbeugte mich krüppelig: "Sei gegrüsst Loki...Sohn von Odin aus Ahhhsgard? Ich bin Zoe, Tochter von Mark aus Deutschland?" Verunsichert lächelte ich ihn an. War das richtig? Bitte lass es mich nicht falsch gemacht haben, ich will nicht sterben!

Doch dieser sogenannte Loki zeigte keinerlei Regung ausser einem leichten Kopfnicken. "Du hältst mich für verrückt.", er nickte " Natürlich eine sehr sinnvolle Entscheidung. Auf Midgard hat man lange nichts mehr von uns gehört. Traurigerweise beten sie nun einen anderen an. Ich genoss dies damals sehr." Seine grünen Augen huschten zu mir.  Midgard? Anbeten? Er war total kokoloko und mit jedem aus seinem Mund kommenden Satz bestätigte sich meine Annahme. Scheisse.  Ich war nicht bereit zu sterben und auch nicht den vor mir stehenden Typen wie ein Brathähnchen aufzuspiessen, schon bei der blossen Vorstellung musste ich leicht würgen. Loki hatte keine Sekunde aufgehört zu reden, sondern erklärte mir nun, dass er ein Gott sei. Ein Asgardianer oder so. Aus Asgard. Und keinesfalls verrückt, weshalb ich mir also keine Sorgen zu machen brauchte.                                                                                                                                                                          Etwas an seiner Art zu reden und sich zu bewegen machte mir Gänsehaut.  Alles wirkte geplant, geschmeidig, zurechtgelegt. Als würde er mit mir spielen und sich über mich lustig machen. Eine Katze, die ihr unwürdiges Mittagessen verhöhnte bevor sie es ausbluten liess.

Aha. Ein leises Krächzen entfuhr mir, als er sich rapide umwand. Sein Umhang bauschte auf und er lief schnellen Schrittes den Weg entlang. Weg von mir. Gott sei Dank. Nach wenigen Sekunden war er soweit von mir entfernt, dass es um mich herum dunkel war. Natürlich, seine Flamme hatte er mitgenommen. Leicht hysterisch schaltete ich meine Taschenlampe an. Wahrscheinlich war das auch nur ein Trick. Genauso wie...die eingebrannten, nordischen Zeichen auf dem Boden und der riesige Lichtstrahl, der dies verursacht hatte? Mein Hirn brannte und müde rieb ich mir die Augen. Dafür gab es einfach keine rationale Erklärung! Wie zu Hölle sollte er-? Ich gab ein Geräusch von mir, das zwischen Lachen und verzweifeltem Keuchen lag und gab auf. Dann war er halt ein Gott. Und weg war er auch. Nicht mein Problem. Morgen würde ich es meinen Eltern erzählen und dann: Für immer vergessen. Dafür war ich einfach nicht schlau genug. Selbst die Oberstufe überforderte mich schon und sowas war zu viel. In Gedanken schmiss ich den Bollerwagen zur Seite, stapfte zurück zur Haustür und trat ein.

Gegen die Kälte draußen erschien es mir drinnen schon viel wärmer und urplötzlich wünschte ich, dass ich einfach drinnen geblieben wäre. Tränen wallten in mir auf, Müdigkeit und Verwirrung brachten einfach das kleine emotionale Kind in mir hervor, das ich nun einmal war. Was redete ich mir da ein. Das konnte ich nicht vergessen! Ein verdammtes...DINGENSPORTAL hatte einen beschissenen nordischen Gott vor meine Haustür gespuckt und ich sollte das meinen Eltern sagen? Oder verdrängen? Das hatte gerade eben meine Weltordnung durcheinander gebracht! Schluchzend tapste ich in die Küche und schmiss den Wasserkocher an. Eine Tasse Tee, eine Wärmflasche im Bett und ein Buch in der Hand würden mich zumindest die nächsten Stunden von den Gedanken an nordische Götter und Regenbogenportale ablenken. Immer noch leicht zitternd lausche ich dem Röcheln des knallroten Wasserkocher, der mich langsam in die Realität zurück holte. Alles war gut. Der Typ war weg. Der Gott war fort.

Mit Wärmflasche in der linken und Waldbeer Tee in der rechten Hand lief ich die Treppe hinauf. Kurz vor meinem Zimmer bleib ich stehen. Irgendetwas stimmte nicht. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich stiess mit der Zehenspitze die Tür auf. Dort stand Loki. Eine Hand in meinem Bücherregal zwischen Fantasy und Krimis blickte er mich an:" Beeindruckende Büchersammlung Tochter Marks."

Und ein Schwall kochender Tee ergoss sich über meine nackten Füsse, als ich die Tasse mit einem lauten Aufschrei fallen liess.

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