Kapitel 2: Minztee

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Entsetzt starrte ich auf meine geschundenen Füsse. Von Blasen und Schnitten übersäht sahen sie eher aus wie seltsame Hämatome. Der Schmerz lenkte mich nicht ansatzweise von den vorherigen Geschehnissen ab, sondern wies mich nur darauf hin, dass alles ziemlich real war was gerade passierte. Mist. Meine hummerroten Füsse brannten und doch hielt mich das nicht davon ab entsetzt zu keuchen und zurück zu taumeln. Verwirrt wich ich ein paar schritte zurück und zuckte bei jedem einzelnen zusammen: „Wa-was?"

Loki blickte mich interessiert an, hob jedoch im selben Moment die Augenbrauen auf eine Art die nicht Gutes aussagte: „Anhand dieser Schriften würde ich sagen sind du nicht ganz so dumm bist wie du erscheinen mögest. Schliesslich kann dein theoretisch angeeigneter Wortschatz ja nicht allzu schlecht sein."

Verängstigt und leicht verstört huschte ich mit dem Rücken an der Wand entlang. Bei jedem Schritt schoss ein Schmerz durch meine Füße, ein Gefühl als ob die bloße Luft sie schälen würde. Nicht sehr angenehm.
Tränen rannen mein Gesicht hinunter. Ob dies von dem Schmerz oder der Verwirrung mit ein wenig Müdigkeit gepaart kam, wusste selbst ich nicht. Loki kam ein Stückchen näher und beugte sich vor: „So antworte mir: Welches Jahr schreiben wir auf Midgard?"
Ich antwortete stotternd: „Midgard? Was? 2006... denke ich."
Es war einfach ein wenig zu viel für mich und mein schmelzendes Gehirn.
„Das denkst du also. Nun denn: Tochter Marks, unter welchem Herrscher steht Midgard?"

Bitte was? Herrscher? Ich wusste nichts von Midgard und somit auch wirklich nichts vom Herrscher Midgards. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute ich ihn an wie ein Reh das gleich überfahren werden würde. Mit großen braunen Augen und einem blöden verängstigten Gesichtsausdruck in der Fresse. Super.

Loki hatte sich abgewandt und marschierte wieder zu meinem Bücherregal: „Wenn man mir nicht antwortet, so seid ihr mir nicht von nützen." Dann blieb er eine Weile stumm vor dem Regal stehen, runzelte die Stirn und bewegte sich nicht. „Welch seltsame Literatur..." Seine Stimme verstummte. Mit einer geschmeidigen Handbewegung fischte er mein Lieblingsbuch heraus, musterte es und warf es verachtend nach hinten.
Mit einem erschrockenen Fiepsen sprang ich nach vorne und fing es aus der Luft wieder auf. Dann knickten meine Knie in sich zusammen.
Mit einem leisen Bom traf mein Hintern auf den Boden. Das mag nun seltsam klingen, aber Bücher waren nun schon immer etwas besonderes für mich gewesen und dieses war nur einmal mein Lieblingsbuch. Und der Gedanke das es verknickt werden würde... rief wohl manche Reflexe hervor. Was mir im Nachhinein etwas peinlich war und mich ängstlich über meinem Buch zusammen sinken ließ. Das war jetzt weniger schlau gewesen.

In dieser Position verharrte ich nun. Meine restlichen Bücher wurden aus dem Regal geschmissen, trafen neben mir oder sogar auf mir auf. Wütendes Murmeln begleitete diese Prozedur. Bis alles verstummte und Lokis schwarze Stiefel sich in meinem Sichtfeld bewegten. Er setzte sich auf meinem Sessel und sackte erschöpft in sich zusammen.
"Was gedachte ich nur zu tun als ich mich entschloss über diese Welt zu herrschen," Ich blickte ihn verwirrt aus meinem Bücherhaufen an doch mir fiel keine Aufmunterung ein. "Diese Welt scheint mir größer als erwartet. Sag mir Tochter Marks, durch welche Hand werdet ihr geführt und wie kann ich diese brechen?"
Was? Diese Frage brachte mich noch ein bisschen mehr aus meinem nicht vorhandenen Konzept.
„Durch niemanden. Wir sind alle irgendwie...frei." , stockend fand ich endlich die Energie wieder ein paar Worte  hervorzuquetschen. Er beugte sich zu mir herunter bis sein Gesicht nur wenige Millimeter von meinem entfernt war. Ungefähr. Ich hielt die Luft an und lief rot an. Er sah echt wahnsinnig gut aus, aber trotzdem hatte ich tierische Angst.
Hat er wirklich vor die Menschheit zu regieren? Wieso musste sowas mir passieren! Hätte nicht irgendwer anderes den grössenwahnsinnigen Gott abbekommen können? Bitte?

Loki starrte mich immer noch an: „Du sagst tatsächlich die Wahrheit...das macht die ganze Sache etwas...komplizierter. Aber natürlich immer noch kein Problem!"
Wieder einmal richtete er sich gerade auf und schenkte mir bei den letzten Worten ein charismatisches Lächeln.
Was zur Hölle.
Er war nicht nur gutaussehend, böse, arrogant, größenwahnsinnig und zu alldem auch noch manisch und depressiv. Super.
Das schweigen zog sich mittlerweile schon über zehn Minuten hin in denen Loki auf meinem knallbunten Sessel saß und ich auf dem Boden hockte, das Buch immer noch an die Brust gedrückt und versuchte nicht zu laut zu atmen. Er dagegen murmelte vor sich hin, beachtete mich nicht und sank schließlich wieder in den Sessel zurück:" Bring mir etwas zu trinken!" Ich schreckte auf: „Was?!" Er seufzte: „Egal was, Hauptsache etwas erquickliches." Darauf war mein Was zwar nicht bezogen gewesen aber nun gut. Wacklig stand ich auf und ging aus dem Schlachtfeld das wenige Minuten zuvor noch mein Zimmer gewesen war.
„ Etwas erquickliches? Was zur Hölle denkt der was erquicklich ist?", flüsterte ich panisch. Das einzige was wir noch hatten war abgelaufener Apfelsaft, geronnene Milch und eben Tee. Und auf Tee hatte ich jetzt nicht so Lust, aber mir blieb schlussendlich keine andere Wahl. Einem Gott Tee zu bringen war nun einmal besser als irgendwas abgelaufenes.
Sonst würde ich noch so enden wie meine Bücher. Tot und zerfleddert auf dem Boden. Geil.

Unter normalen Umständen würde ich wahrscheinlich niemandem Tee machen der mich so behandelt, eine Frau hat schließlich ihre Würde und sei sie noch so klein, aber das hier war nun mal wirklich nicht normal.
Und das würde mir zum wiederholten Male klar als ich mit einer Tasse heißem Minztee vor meinem Zimmer stand und bemerkte, dass mein eigenes Zimmer, der letzte Ort war an dem ich nun sein wollte.

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