Kapitel 2

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Die Fahrt dauerte lange und zog sich durch einen Stau, wie Kaugummi. Ich verbrachte die meiste Zeit damit, aus dem Fenster zu sehen und mich durch Musik von der Außenwelt abzuschotten. Die vergangenen 5 Stunden hatte mein Dad neben ein paar Schwärmereien über die wunderschöne Landschaft South Carolinas und die gelegentliche Frage nach etwas essbarem aus meinem Korb nicht wirklich viel von sich gegeben, sodass wir uns bereits seit einer Stunde anschwiegen. Ich seufzte leicht. Wie sollte das erst werden, wenn wir bei Grace wohnten? Vielleicht würde er meine Existenz einfach vergessen... Ich starrte weiter aus dem Fenster, ehe ich ein leichtes Zupfen an meinem Ärmel wahrnahm. Ich nahm meine Kopfhörer aus den Ohren und sah meinen Dad fragend an. Er setzte zu etwas an, brach dann aber wieder ab und sah mich hilfesuchend an, ehe er die Stimme wieder anhob. Ich konnte schon ahnen, welches Thema er jetzt anschneiden würde...
„Hör zu Schätzchen...", begann er und sah mich an. Er hatte wieder diesen vorsichtigen Blick aufgesetzt, als hätte er Angst, dass ich im nächsten Moment zerbrechen würde. Ich kannte diesen Blick nur zu gut: Es ging entweder um meine Mom oder um Kieran, wobei ich hoffte, dass mir das letztere erspart blieb... ich wollte nicht auch noch an meine zerbrochene Familie erinnert werden, während ich in eine andere einzog... „Mir ist vollkommen klar, dass Grace und ihre Söhne Mom und Kieran nie ersetzen werden können, aber ich bitte dich, dem ganzen eine Chance zu geben..." Ich war überrascht. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. „ Grace ist nach deiner Mutter die 2. Frau, die ich als die Liebe meines Lebens bezeichnen kann und sie hat dich sehr gerne. Das Kieran und Mom nicht mehr da sind heißt aber nicht, dass wir beiden keine Familie haben dürfen. Ich möchte, dass du wenigstens versuchst, Grace als Mom...",begann er, doch ich schaltete ab. Ich mochte Grace wirklich, sie war eine der nettesten Frauen die ich kannte und wenn ihre Söhne auch nur annähernd nach ihr kamen, waren sie großartig, aber weder konnte sie meine Mom, noch ihre Söhne meinen Zwillingsbruder ersetzen. Es war zu viel passiert, um das alles einfach mit einer neuen Familie kompensieren zu wollen... Ich hörte meinem Dad nicht mehr zu und konzentrierte mich auf die Straße vor mir. Ich wünschte, mein Bruder wäre gerade bei mir...

Ich schreckte vom Zuschlagen einer Autotür auf und stieß mir den Kopf am Autodach. Verdammt... mein Vater musste auf eine Raststätte abgefahren sein... Da der Schlüssel noch steckte griff ich mit schmerzverzerrtem Gesicht danach und Wand mich der Autotür zu... Mein Dad war wirklich ein Schussel: Ein Wunder, dass ihm das Auto noch nicht geklaut worden war...Ich rieb mir meinen pochenden Schädel und stieg schließlich aus dem Wagen, stützte mich auf der Autotür ab und drückte meine Knie durch: Ich fühlte mich, wie ein Wackelpudding... Zudem machte sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen breit, als ich das Ausfahrtsschild der Autobahn las: „85 Meilen Charleston". 85 Meilen, bis in mein neues Leben... Ich löste mich von der Autotür und verschloss den Wagen. Da außer einem Fastfoodladen und einer weitläufigen Wiese nichts weiter an den riesigen Parkplatz angrenzte, ging ich wackligen Schrittes auf den Laden zu. Vermutlich befand sich mein Dad schon in der Warteschlange. Als ob die 6 Sandwiches und der Apfel aus meinem Korb nicht ausgereicht hätten... Ich öffnete die Schwere Tür und betrat den Laden: Ein Schwall fettiger Luft empfing mich im Einklang mit dem Piepen mehrerer Öfen und Fritösen. Dieses typische Fastfood- Gefühl machte sich in mir breit, als ich meinem Blick auf die Anzeigetafel des Essens hob. Pommes, Burger, Salate... Ich fädelte mich ebenfalls in die Schlange ein: Mein Magen protestierte beim Anblick des fettigen Essens, sodass ich mich schließlich für einen Salat entschied. Besser, als wenn ich meiner neuen Familie zur Begrüßung vor die Füße kotze... Ich bezahlte, schnappte mir mein Tablett und setzte mich an einen nahegelegenen Tisch. Von meinem Dad fehlte bisher jede Spur, vermutlich war er vorher auf die Toilette gegangen... Ich öffnete die Salatbox: Mir wurde augenblicklich schlecht... Was, wenn sie mich nicht akzeptieren und mein Dad mich vollends aus seinem Universum verband... „ Also bei dem Essen würde ich auch ein blödes Gesicht ziehen." Ich sah auf: Vor mir stand ein Junge, vielleicht 1 oder 2 Jahre älter als ich selbst und sah grinsend auf mein Tablett hinab. Sein schwarzes Haar fiel ihm leicht in die Stirn und sein gutgebauter Oberkörper wurde von einer Lederhacke verhüllt... Ich lächelte leicht zurück, zu mehr war ich momentan nicht im Stande. Eine leichte Falte grub sich in seine Stirn, ehe er sein Tablett auf dem Platz mir gegenüber abstellte und sich setzte. Er öffnete seine Box, worin ein Burger zum Vorschein kam und schlug hungrig seine Zähne hinein. Bei dem Anblick stieg die Übelkeit wieder in mir auf, sodass ich mein Tablett angewidert zur Seite schon und mir mit den Händen über's Gesicht fuhr. „ Muss ja echt übel sein, wenn dir selbst der Salat zu wider ist. Du siehst aus, als würdest du gleich kotzen...." Ich sah zu ihm auf: Er sah mich aus tief blauen Augen an und legte den Kopf leicht schief. „Lass mich raten: Du bist todtraurig, weil dein Freund dich mit deiner besten Freundin betrogen hat und jetzt mit ihr irgendwo in der Karibik abhängt. Deshalb hast du dich dazu entschlossen, wie in einem kitschigen Film lebensmüde am Straßenrand entlanglaufen und dein Leben bei einem ekelhaften Salat in einem geilen Restaurant zu verfluchen. Richtig?", fragte er und grinste mich an. Ich musste unwillkürlich die Lippen zu einem kleinen Lächeln verziehen. „Ich zieh mit meinem Dad von Florida nach Charleston zu meiner neuen Stief-Familie", antwortete ich auf seine indirekte Frage und sah ihn an. Das Wort „Familie" versetzte mir einen Stich... Seine ebenmäßig Stirn runzelte sich wieder.„ Muss ja echt ein echtes Stiefmonster sein, wenn dir selbst von Salat schlecht wird...", meinte er und biss wieder in seinen Burger. „Nein, Grace ist klasse, sie ist wirklich wundervoll..." Er zog eine Augenbraue hoch und sah mich fragend an. Ich begann nervös meine Finger zu kneten. „Naja, sie hat 6 Söhne...", murmelte ich weiter und sah vorsichtig wieder zu ihm auf. Er sah mich erst verständnislos an, ehe ihm ein Licht aufzugehen schien und er mich musterte. Ich zog meine Jacke automatisch enger um meinen Körper. Meine weiblichen Rundungen waren schon immer üppig, was mir schon oft aufdringliche Blicke eingebracht hatte... Seine Blicke waren allerdings eher besorgt, als würde er nach etwas suchen, einem Anhaltspunkt... Ich lockerte meinen Griff etwas und lächelte ihn an, die Anspannung schien langsam von mir zu weichen. „ Ich habe sie noch nicht einmal getroffen und bin ziemlich nervös. Ich meine, wer wäre es nicht, kommt ja nicht alle Tage vor, auf einen Schlag 6 neue Brüder zu bekommen und mein Dad wird alles andere, als eine Hilfe sein...", plapperte ich weiter, ein leiser und doch schriller Laut entwich meinen Lippen. Ein Lachen wollte in meiner Kehle aufsteigen. Gott, was zum Teufel war nur los mit mir...? „ Naja, zudem noch eine neue Schule, neue „Mom", neue Stadt, Gott ich war noch nicht einmal in South Carolina...", erzählte ich weiter und begann zu gestikulieren, ehe ich mich an die Stuhllehne sinken ließ und ausatmete. Ich sah zu ihm auf: Ein breites Grinsen zierte seine Lippen und er biss amüsiert wieder in seinen Burger. Gott, wie konnte er nur so entspannt sein und dieses Grinsen erst... Bei seinem Anblickte musste ich einfach losprusten und fuhr mir mit den Händen durchs Haar. Was war nur los mit mir? Ich erzählte einem Fremden meine halbe Lebensgeschichte, in einem Fastfoodladen während er seinen Burger mampfte. Ich wusste ja noch nicht einmal seinen Namen... „ Wie heißt du eigentlich?", fragte ich und sah ihn erwartend an. Er kaute seinen Burger und schluckte, ehe er mir antwortete. „ Ich bin Evan. Du?", antwortete er und sah mich wieder an. „Cat."

P.o.V. Evan

„Cat", antwortete sie und sah mich an. Einige Strähnen ihrer blonden Haare hatten sich aus ihrer improvisierten Hochsteckfrisur gelöst und umrahmten ihr elfengleiches Gesicht. Niedliche Sommersprossen unterstrichen das helle Blau ihrer Augen, aus denen sie mich unverwandt ansah... Ich spürte, wie ein Lächeln meine Mundwinkel verzog... „ Cat, von Katze? So KitteCat mäßig?", fragte ich und sah, wie etwas in ihren blauen Augen aufblitzte. KitteCat konnte also auch auf Krawall machen... Das Stand ihr auf jeden Fall besser, als der verschreckte Ausdruck, der eben ihre Augen geziert hatte... „Nenn mich nicht so", fauchte sie und sah mir in die Augen, ihr Blau schien noch einige Nuancen heller geworden zu sein. Meine Mundwinkel verzogen sich weiter zu einem breiten Grinsen, woraufhin sie ihre zierlichen Arme verschränkte und mir versuchte vernichtende Blicke zuzuwerfen, allerdings mit einem glockenhellen Lachen scheiterte... „ Na, da kann ja doch jemand lachen", schmunzelte ich und biss wieder in meinen Burger. Der ängstliche Ausdruck in ihren Augen war verblasst und machte nach und nach einem Leuchten Platz. Verdammt, war der Burger geil... „Weißt du, wie unglaublich störend dein ständiges Kauen ist? Es ruiniert mein ganzes Bild von dir", fuhr sie fort und zog einen gespielten Schmollmund. Wenn das schon ihr Bild von mir zerstörte, was würde sie dann erst denken, wenn sie in Charleston lebte. Die Kleine wirkte viel zu unschuldig für eine solche Stadt... „Und du? Was ist deine tragische Geschichte, dass du in diesem Restaurant gelandet bist?", fragte sie in einem dramatischen Tonfall und legte sich eine Hand auf's Herz. Die Kleine gefiel mir... „Da ich zu einem Familientreffen gezwungen wurde und mich dementsprechend daneben benommen habe, hielt mein Dad es für angebracht, dass ich frühzeitig nach Hause nach Charleston fahre... Zu meinem groooooßen Bedauern", endete ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme und wischte mir eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel, was mir ihrerseits ein Lachen einbrachte. Das ich vor den Augen meiner Großeltern gekifft und meiner Zickencousine eine Flasche Cola übergekippt hatte, überging ich fliesentlich. Sie musste nicht alle Details kennen... wir unterhielten uns noch einige Zeit über belanglose Dinge, ehe ein Mann zu uns an den Tisch trat, ihr Dad wie ich vermutete. Sein Blick lag hilfesuchend auf Cat, die ihrerseits den Stuhl neben sich nach hinten zog, sodass der Mann sich setzen konnte. „Dad, das ist Evan. Evan, das ist mein Vater, Darik", machte sie uns bekannt. Die beiden schienen von Grund auf verschieden zu sein: Während Cat einen mehr oder weniger gefassten Eindruck machte, wirkte ihr Dad wie das komplette Gegenteil, selbst äußerlich hätten die beiden unterschiedlicher nicht sein können. Wie zur Hölle konnten sie verwandt sein? „ Grace hat gerade angerufen. Der Umzugswagen ist sicher angekommen", meinte er und strahlte sie an. Aus Cats Augen wich allerdings das Strahlen und ihr Gesicht nahm wieder einen blassen Farbton an. „Ja, das ist toll", murmelte sie und schenkte ihrem Vater ein kleines Lächeln. Sah er nicht, wie unglücklich sie war...? „Ja, Evan, wir müssen dann auch wieder...", meinte sie und stand auf. Ich realisierte ihre Worte erst nicht, ehe ich nach einem Stift in der Innentasche meiner Jacke angelte und meine Handynummer auf eine Serviette schrieb. Falls sie mal Hilfe brauchen sollte... Ich holte sie ein und drückte ihr die Serviette mit einer schnellen Verabschiedung in die Hand, ehe ich den Landen verließ.

P.o.V. Cat

Ich sah von der Serviette in meiner Hand wieder in Richtung Ausgang, aus dem Evan eben verschwunden war und stellte kopfschüttelnd mein Tablett in den Geschirrwagen. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht schon mal ein bekanntes Gesicht zu haben... Ich drängte die Übelkeit, die urplötzlich wieder in mir aufstieg zurück und sah mich nach meinem Dad um, der das Restaurant allem Anschein nach schon wieder verlassen habe. So eine Scheiße... Ich ging genervt auf den Ausgang zu und verließ das Gebäude. Nicht nur, dass mir schon den ganzen Tag schlecht vor Angst war, jetzt musste mein Dad auch noch ständig davonlaufen... Auf dem Parkplatz konnte ich ihn tatsächlich an unserem Auto ausmachen. Tja, ohne Schlüssel kommt er nicht weit... Ich sah wieder mit einem kleinen Lächeln auf die Serviette. Huuupp! Ich sah erschrocken zu einem Motorrad vor mir auf, dessen Fahrer mir aufmunternd zuwinkte. Selbst unter dem verdunkelten Helm konnte ich Evans Grinsen ausmachen, ehe er mir noch ein letztes Mal zuwinkte und vom Parkplatz fuhr. Spinner... Ich betätigte im Gehen den Autoschlüssel und
setzte mich ins Auto, ehe ich meinem Dad den Schlüssel reichte. Auf fröhliche 85 Meilen...

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So, nur noch 85 Meilen, bis in ihr neues Leben

Was haltet ihr von Evan?🙃

Ich wünsch euch noch ein schönes Restwochenende und einen guten Schulstart 🌹

Moving to a new lifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt