Kapitel 8

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Ich bog in die Einfahrt unseres Hauses ab und lief den Kiesweg bis zur Haustür. Die Temperatur war deutlich gestiegen, sodass ich mich jetzt wieder auf das akklimatisierte Haus freute... Ich erklomm in einer fließenden Bewegung die Stufe zur Eingangstür, als diese direkt vor mir auch schon geöffnet wurde. Ich war völlig perplex: Der blonde Junge, der Evan und mich vorhin beobachtet hatte stand vor mir im Türrahmen und sah aus hellbraunen Augen zu mir herab. Er sah mich noch einen Moment an, ehe er sich an mir vorbei aus dem Haus schob. Er ging schnellen Schrittes die Einfahrt hinunter und war schon hinter dem Einfahrtstor verschwunden. Ich sah noch einige Sekunden auf die leere Einfahrt, ehe ich mich umwand und das Haus betrat: Es hieß mich mit seiner angenehmen Kühle willkommen, ein Ventilator an der Decke wehte meine Haare leicht auf. Ich schloss seufzend die Haustür und kühlte einen meiner Arme an dem kalten Metall der Haustür: Ich hatte gar nicht bemerkt, wie heiß meine Haut unter dem dünnen Stoff meiner Jacke geworden war. Die Hitze war ein Faktor, weshalb helle Kleidung im Sommer präferierte... Ich löste mich von der Tür und lief die Treppe hoch in mein Zimmer. Der blonde Junge wollte mir dabei einfach nicht aus dem Kopf gehen: War es nur Zufall gewesen oder hatte er mich wirklich beobachtet? Vielleicht halluzinierte ich nur, aber seinen Blicken zu urteilen hatte er mich auch nicht das erste mal gesehen. Ich kannte ja noch nicht einmal seinen Namen... Die Tatsache, dass er aus unserem Haus gekommen war warf noch einmal ein ganz anderes Licht auf die Sache: War er etwa eingebrochen?! Genau Cat, um dann am heiligten Tage durch die Haustür zu verschwinden... Ich gab mir gedanklich eine Facepalm. Ich schien mir draußen einen Hitzschlag geholt zu haben... Ich lief kopfschüttelnd über mich selbst den Flur zu meinem Zimmer hinab und dachte weiter nach... Vielleicht war er ja auch einfach mit einem der Jungs befreundet... Dusch! Zu meiner Rechten wurde eine Zimmertür aufgerissen und ein verdatterter Alex sah mich aus großen Augen an. „Cat, warst du nicht eigentlich noch unterwegs...?", fragte er und sah sich suchend um. Was sollte das denn? „Ja, war ich auch, aber mir ist es irgendwann zu warm draußen geworden...", antwortete ich und lächelte ihn leicht an. Alex hingegen sah sich weiter im Flur um und zog mich nach kurzen Zögern am Arm in sein Zimmer. Ich war darauf nicht vorbereitet gewesen und ließ mich ohne Widerstand mitziehen. Er schloss die Tür hinter uns, hielte einen Moment inne, um nach eventuellen Geräuschen aus dem Flur zu lauschen und zog mich schließlich weiter in sein Zimmer. Ich sah mich um: Das Zimmer hatte in etwa die selbe Größe wie mein eigenes und war ähnlich modern gehalten, allerdings sehr viel maskuliner. Eine offene Sporttasche mit mehreren Pullis und Boxhandschuhen lag auf seinem Schreibtischstuhl und sah aus, als würde sie jeden Moment gen Boden fallen... Alex ließ sich mich kurz umsehen, ehe er mich weiter zu seinem Bett zog und schließlich an den Schultern darauf niederdrückte. Er zog seine Hände zurück und fuhr sich mehrmals durch die Haare, während er mir immer wieder Seitenblicke zuwarf. Ich blieb sitzen und beobachtete ihn aufmerksam: Er schien gestresst, sein dunkles Haar war durch das viele hindurchfahren leicht verstrubbelt und seine Augen fuhren unruhig durch den Raum. Langsam begann ich auch unruhig auf seinem Bett hin und her zu rutschen und sah ihn fragend an. Ich begann mit meinem Handy und der Postkarte in meiner Hand zu spielen und legte diese schließlich auf die Bettdecke. Nicht, dass die Karte schon aufgeweicht ist, bevor ich sie überhaupt abschicke... „Hat dich außer mir noch jemand gesehen?", fragte er nach einer gefühlten Ewigkeit in gedämpftem Tonfall. „Nein, ich glaube nicht...", antwortete ich, woraufhin er erleichtert seine Hände sinken ließ und sich rechts neben mir auf das Bett setzte. Seine marineblauen Augen fokussierten die meinen, doch nicht auf die stechende Art und Weise von Zayn: In seinen Augen lag eine Sanftheit, die Zayns Augen vermutlich niemals annehmen würden und noch etwas anderes... Besorgnis? Langsam begann ich wirklich nervös zu werden. Sein Verhalten machte mir Angst... „Alex, was genau mache ich hier und warum verhältst du dich so seltsam?", fragte ich vorsichtig, was es mit einer panischen Handbewegung und einem „ssschhttt" kommentierte. Ich flüsterte ein leises „tschuldigung" und sah ihn weiter fragend an. Er horchte einige Sekunden auf, entspannte sich aber wieder als alles ruhig blieb und wand sich mir zu. „Woher kennst du Baker?", fragte er mich. Ich sah ihn verständnislos an. Wer sollte denn bitte Baker sein und warum sollte ich ihn kennen? Ich wohnte doch erst seit gestern hier... Sein Blick lag weiter auf mir, allerdings forschender als versuche er herauszufinden, ob ich ihn täuschte oder nicht... „Evan Baker, ca. 1,80m, brauen Haare, braune Augen..." Ich lachte ungläubig auf und spürte, wie sich meine Mundwinkel unweigerlich zu einem Grinsen verzogen. „Du ziehst mich in dein Zimmer und verhältst dich als ginge es um Leben und Tod, weil ich Evan kenne?", fragte ich ungläubig und musste ein weiteres Lachen unterdrücken. Evan war doch kein Schwerverbrecher... Alex Stirn runzelte sich leicht und er sah mich ernst an. „Du hast meine Frage nicht beantwortet...", stellte er in ernstem Tonfall fest. Ich zog meine rechte Augenbraue ein Stückchen hoch, ehe ich begann zu erzählen: „Ich habe Evan gestern auf einer Raststätte, etwa 85 Meilen von Charleston entfern in einem Fastfoodrestaurante kennengelernt. Er hatte mitbekommen, dass es mir nicht so gut ging und hat sich zu mir gesetzt. Ich habe ihn heute durch Zufall wiedergetroffen, weil ich von einer Ente angegriffen wurde und sein Hund..." Ich hielt inne. Woher zum Teufel wusste er von Evan und mir? Mir ging plötzlich ein Licht auf... „Hat der blonde Junge uns also wirklich beobachtet? Ich dachte, ich hätte mir das eingebildet...", fuhr ich fort und sah ihn aus meinem hellblauen Augen geschockt an. „Hast du ihm gesagt, dass du zu uns ziehst?", fragte er weiter. Sein Tonfall war ungewohnt ernst und bohrend, sodass mir ein Schauer die Wirbelsäule herunterglitt... „Nein, habe ich nicht. Ich habe nur gemeint, dass ich nach Charleston ziehe...", antwortet ich auf seine Frage und sah ihn aufmerksam an. Er fokussierte mich noch einige Sekunden, schätzte ab ob ich lügte oder nicht und wand schließlich den Blick von mir ab. Auch ich drehte meinen Kopf zur Seite. Auch, wenn es völlig absurd war spürte ich, wie meine Augen verräterisch begannen zu glitzern: Ich hatte nichts verbotenes getan und fühlte mich doch irgendwie ertappt... Ich hörte, wie Evan neben mir Luft aus seinen Lungen strömen ließ und spürte, wie er eine Hand an meine Wange legte und sanft meinen Kopf zu sich drehte. Im Gegensatz zu eben war alles harte aus seinem Blick gewichen und er sah jetzt unglaublich sanft zu mir hinunter, während ich meine Tränen zurückdrängte... „Der blonde Junge, den du gesehen hast heißt Ajax. Er ist gewissermaßen der beste Freund von Zayn..." Ich sah ihn verblüfft an, das hätte ich nicht erwartet. Das erklärte auf alle Fälle auch sein kaltes Verhalten mir gegenüber. Wenn ich genauer darüber nachdachte, passte die beiden mit ihrer ruppigen, egonomanen Art aber prima zusammen... Ich hörte Alex neben mir Luft einziehen, als wappne er sich damit für das was jetzt kommt. „Ich kann dir nicht sagen wieso und das wird jetzt ziemlich plötzlich kommen, aber halte dich bitte so gut es geht von Baker fern...", ratterte er die Worte runter und sah mir ängstlich in die Augen. Ich war völlig perplex. „Wieso?" Dieses eine Wort war das einzige, was ich in dieser Situation herausbekam... Alex neben mir entspannte sich sichtlich nach meiner Reaktion. Was hatte er denn erwartet? Das ich nach seiner Ansage Amock laufe oder was? „Baker, seine Kumpanen und wir verstehen uns nicht besonders, genauer gesagt hassen wir uns. Tu dir selbst einen Gefallen und halt dich so gut es geht da raus. Nachdem Ajax euch gesehen hat, ist er hierher gekommen und hat uns von eurem Treffen erzählt." So, wie er das sagte hörte es sich wie ein Schwerverbrechen an. Dabei hatte ich mich doch bloß mit Evan unterhalten und Tirex gestreichelt... „Und der Hund? Geht euer Hass so tief, dass ich mich auch von den Tieren fernhalten soll?", fragte ich ein Spur zu schnippisch, was mir von Alex einen harten Blick einbrachte. Seien blauen Augen funkelten wütend auf. „Hör mir zu, eigentlich sollte mich der ganze Scheiß nicht interessieren und es sollte mir auch egal sein, was mit dir passiert oder nicht, aber das ist es nunmal nicht und ich geben dir jetzt nochmal einen ganz bestimmten Tipp: halt dich von ihm und auch am besten von uns so gut fern, wie es nur irgendwie geht und lass dich auch nicht mehr mit Baker in der Öffentlichkeit blicken. Wenn Ajax euch gesehen hat, kannst du dir ja sicherlich auch vorstellen, dass Zayn Wind davon bekommen hat. Und glaub mir, Zayn willst du dir wirklich nicht zum Feind machen..." Er sah mich einige Sekunden wütend an, ehe er begriffen zu haben schien, was er gerade gesagt hatte und beschwichtigend die Hände in meine Richtung hob. Er sah mich verunsichert an und sah suchend in mein Gesicht. „Evan ist der einzige, den ich in dieser Stadt kenne...", flüsterte ich leise. Und ich mag ihn, ergänzte ich in Gedanken. Alex Miene nahm einen sanften Zug an und er legte mir sanft eine Hand auf den Arm. „Du findest sicherlich schnell neue Leute mit denen du abhänge kannst und Jayd und ich sind ja irgendwie auch noch da, auch wenn du dich in der Öffentlichkeit nicht wirklich mit uns sehen lassen solltest...", sagte er sanft und begann meinen Oberarm rauf und runter zu streicheln. Mich in der Öffentlichkeit nicht mit ihnen sehen lassen? Was sollte ich denn bitte machen, mich hinter dem nächsten Baum verstecken, wenn sie auch nur in meine Richtung sahen oder was? Seine Geste an meinem Arm war unheimlich beruhigend... „Er wird aber Fragen stellen, wenn ich ihn einfach ignoriere und außerdem habe ich doch nichts mit eurem Streit zu tun. Ich verstehe mich doch mit Evan und nicht mit all seinen Freunden", setzte ich leise an und sah in sein Gesicht. Erst jetzt fielen mir seine Verletzungen richtig ins Auge... „Das würdest du aber sehr schnell. Zayn würde es als Verrat ansehen, also bitte ich dich wirklich dich so gut es geht von ihm fern zu halten." Ich nickte leicht, als mir ein anderer Gedanke kam... „Ich weiß wer er ist, aber er weiß doch nicht, wer ich bin. Schließlich habe ich einen anderen Nachnamen und sehe euch kein bisschen ähnlich...", versuchte ich es ein letztes mal. Alex ließ resigniert seinen Blick sinken und begann geistesabwesend an meinem Ärmel zu zupfen. Gottseidank am rechten Arm... „Es wird früher oder später rauskommen und Zayn wird es nicht tolerieren, dass du dich mit ihnen verstehst...", murmelte er geistesabwesend und zupfte weiter an meinem Ärmel. „Aber Zayn liegt doch nichts an mir, er scheint mich zu hassen, da kann es ihm doch nur recht sein, wenn ich mich so weit es geht von ihm weg befinde...", murmelte ich mehr zu mir selbst, als zu Alex. Er hatte seine Finger von meinem Ärmel zu meinen Haarspitzen verschoben, sodass ich jetzt ein leichtes Ziepen an meiner Kopfhaut wahrnahm... „Es geht aber nicht immer nur um Zayn. Wir anderen können dich im Gegensatz zu ihm leiden, wobei ich nicht sicher bin, ob er es im geheimen nicht auch tut...", antwortete er. Nach seiner Aussage trat Stille zwischen uns beiden ein. Seine letzten Worte schwirrten in meinen Gedanken hoch und runter ...wobei ich nicht sicher bin, ob er es im geheimen nicht doch tut... Warum sollte Zayn mich denn bitte im Geheimen mögen...? Ich schüttelte leicht den Kopf und sah Alex an. Er starrte gedankenabwesend ins Leere, sein Kiefer mahlte leicht. Er schien auch über etwas nachzudenken... Seine Schwellung am Auge war inzwischen vollständig zurückgegangen und hatte einem farbenfrohen Kranz platz gemacht. Die Wunde in seiner Augenbraue klaffte allerdings weiter offen und schrie förmlich danach geklammert zu werden. „Hast du ein Erst- Hilfe-Set hier?", fragte ich und begann vorsichtig die Haut um seine Augenbraue abzutasten. Alarmierend warm war sie schonmal nicht, das war ein gutes Zeichen. Alex nickte, verschwand in einer anderen Tür, vermutlich sein Bad, und kam mit einem roten Koffer zurück. Ich nahm ihn dankend entgegen und klappte ihn auf. Ich wurde schnell fündig und legte alles was ich braucht auf seinem Bett ab, ehe ich mich erhob und in sein Bad ging. Es war ebenso luxuriös ausgestattet, wie meins, nur dass es im Gegensatz zu meinem noch eine kleine Tiefkühltruhe mit Eis und einen zusätzlichen Haken an der Wand für den Kasten beinhaltete. Er schien viel zu trainieren, wenn er in Eis baden ging... Ich wand dem Kühler meinen Rücken zu und wusch mir gründlich die Hände, ehe ich sie mit Einwegtüchern abtrocknete und Alex's Zimmer wieder betrat. Er verfolgte jeden meiner Schritte genau, bis ich wieder an seinem Bett ankam und auf ihn herabsah. „Könntest du mir bitte etwas Desinfektionsmittel auf die Hände schütten?", fragte ich und sah vielsagend auf die kleine Flasche neben ihm auf dem Bett. Er verzog das Gesicht, kam meiner Bitte aber trotzdem nach, sodass ich wenige Sekunden später meine Hände aneinander rieb, um das Desinfektionsmittel einwirken zu lassen. Ich wollte mich gerade neben ihn auf das Bett hocken, doch stattdessen zog er mich rittlings auf seinen Schoß und sah mich ruhig an. Seine Hände lagen in angemessener Höhe auf meinem Rücken und er bedeutete mir mit einem Blick fortzufahren. Ich entspannte mich und nahm mir eine frische Kompresse vom Bett, beträufelte sie mit etwas Kochsalzlösung und begann vorsichtig den Bereich um seinen Cut herum zu säubern, ehe ich nach einer frischen Kompresse und dem Desinfektionsmittel griff. „Desinfektionsmittel?", fragte Alex und hielt mein Handgelenk fest. „Ich möchte nicht, dass deine Wunde sich entzündet", antwortete ich, woraufhin er mein Handgelenk zögerlich freigab. Ich gab etwas Desinfektionsmittel auf die neue Kompresse und sah Alex an. Er nickte mir zu und schloss die Augen. Ich legte ihm eine Hand schützend unterhalb der Augenbraue an, um zu verhindern, dass ihm Desinfektionsmittel ins Augen lief und legte die Kompresse vorsichtig auf der Wunde an. Alex zuckte leicht, sein Atem ging pumpend, doch außer einem gezischten „Fuck" war nichts weiter von ihm zu hören... Ich entfernte die Kompresse von seiner Wunde und griff zu den Heftstreifen, die ich mir vorhin schon bereitgelegt hatte. „Das kann jetzt ein wenig ziepen", murmelte ich, worauf ich ein Brummen von ihm als Antwort bekam. Ich drückte die Haut der Wunde vorsichtig zusammen und platzierte meine Heftstreifen, sodass die Wunde verschlossen war. Von Alex war nichts weiter zu hören. Alleine der Druck seiner Hände an meinem Rücken verriet, dass er Schmerzen hatte. So würde die Haut sich hoffentlich wieder schließen... Zuletzt trug ich eine Wund- und Heilsalbe mit einem Wattestäbchen auf, ehe ich die Tube wieder schloss und ein Pflaster zum Schutz vor Fremdkörpern über meine Arbeit klebte. Er würde beim Abziehen zwar Scherzen haben, aber ich konnte das Risiko einer Infektion in Augennähe einfach nicht eingehen... Ich stand wieder etwas wackelig von seinem Schoß auf und entsorgte mein verwendetes Material in seinem Papierkorb. „Danke", meinte er, während er vorsichtig seine Augenbraue betastete. Ich nickte ihm mit einem kleinen Lächeln zu und verstaute den Erste-Hilfe- Kasten wieder im Bad an seinem Haken an der Wand. Alex's Blick ruhte wieder auf mir, während ich sein Zimmer betrat und unentschlossen in der Raummitte stehen blieb. „Das hast du nicht zu ersten Mal gemacht", stellte er fest und sah mir wieder in die Augen. Marineblau war einfach eine so schöne Farbe... „Nein, habe ich nicht", antwortete ich wahrheitsgemäß und legte meinen Blick wieder auf sein Gesicht. Ich konnte die vielen Male, die ich Kieran und die Jungs verarztet hatte schon gar nicht mehr mitzählen. Ich hatte einige Monate Strichliste geführt, doch hatte wieder damit aufgehört, nachdem das erste Blatt gefüllt war: Vorder- und Rückseite! Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass ich nicht ein einziges mal an ihn gedacht hatte, während ich Alex verarztete... Die Situation hätte mich in unsere Zeit zurückversetzten müssen, hatte es aber nicht. War das jetzt gut oder schlecht? Wir sahen uns noch eine Weile an, ehe wir uns gleichzeitig räusperten und ich irgendetwas von „Postkarte" und „essen" murmelte und Alex ebenfalls unverständliches Gebrabbel von sich gab. Ich schnappte mir mein Handy und die Postkarte für Sam und trat leise lächelnd aus seinem Zimmer in den Flur. Ich schloss die Tür leise hinter mir und drehte mich um, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Ein Junge, vielleicht 2 Jahre älter als ich selbst stand auf dem Treppenabsatz und sah mich an, sein Blick lag schwer auf mir. Ich hielt den Blickkontakt für einen Moment, ehe ich mich umwand, den Flur herabging und mein eigenes Zimmer betrat. Ich brauchte nicht hinuntergehen, um die anderen zu begrüßen: Der Typ würde sie schon frühzeitig informieren, dass ich wieder im Haus war. Ich legte die Postkarte seufzend auf meinen Schreibtisch, schaltete Musik an und begann die restlichen Umzugskisten auszuräumen...
Nach einer knappen Dreiviertelstunde waren mein Boden und Schreibtisch von allen möglichen Umzugskartons befreit und mein Kleiderschrank fertig eingeräumt. Auch alle möglichen Hygieneartikel hatten in meinem Bad ihren Platz gefunden, angefangen von Duschzeug über Cremes und MakeUp. Ich schminkte mich kaum und wenn doch sehr dezent, verfügte aber trotzdem über sämtliche Farbpaletten. Man muss auf alle Eventualitäten vorbereitet sein... Ich ließ meinen Blick zufrieden umherschweifen, bis er doch an einem Umzugskartons hängen blieb. Der Karton mit den Bildern... Ich hatte ihn vorhin extra in eine Ecke gestellt, damit ich mir noch überlegen konnte, was ich damit anstellen sollte, doch jetzt war es so weit. Ich hob ihn ächzend hoch, ging einmal quer durch mein Zimmer und stellte ihn auf meiner Schreibtischplatte ab. Das Ding wog gefühlte Tonnen... Ich öffnete ihn und nahm die Bilderrahmen von letztem Mal vorsichtig aus dem Karton, um sie auf der Tischplatte abzulegen. Ich wollte nicht, dass sie brachen... Außer den Bilderrahmen lagen noch 2 Fotoalben, dutzende lose Fotos und einige DIN A5 große Bücher in der Kiste. Meine alten Tagebücher... Bei dem Gedanken, was ich alles in diesen Büchern festgehalten und dokumentiert hatte wurde mir schlecht. Ich hatte nach dem Tod meiner Mom angefangen zu schreiben, weil es mir eine Art Befreiung verschafft hatte, meine Gedanken los zu werden ohne jemand anderen damit zu belasten. Angefangen beim Tag ihrer Beerdigung... Die Bücher zogen sich von meinem 13. bis in 16. Lebensjahr. Meine Mutter war wenige Tage vor meinem 13. Geburtstag verstorben, sodass sie nun schon 4 Jahre Tod war. 4 Jahre ohne Mom, 4 Jahre Veränderung, 4 Jahre in denen alles immer weiter den Bach runterging... Ich fragte mich oft, was passiert wäre, wenn wir damals an der gelben Ampel stehen geblieben wären, anstatt mit Gas noch einmal drüber zu fahren. Würde sie noch am Leben sein oder hätte der LKW uns an der roten Ampel beide überrollt...? Gedanken, auf die ich niemals eine Antwort bekommen würde... Niemand durfte diese Bücher jemals in die Finger kriegen... Ich hob die Bücher aus dem Karton und sah mich im Zimmer nach einem geeigneten Platz um. Vielleicht in meinem Schrank oder unter meinem Bett... Da mir auf Anhieb nichts besseres einfiel hob ich meine Matratze an und legte die Bücher nebeneinander darunter. Da findet sie schon niemand... Niemand außer mir wusste überhaupt von ihrer Existenz, also würde auch niemand danach suchen. Ich würde mich später um ein besseres Versteck kümmern... Ich griff in den Karton und holte zog einen Stapel Fotos hervor. Sam und ich, ich alleine, Sam alleine... Nichts was auf meine Vergangenheit mit den Jungs schließen lassen würde... Ich schnappte mir einen Fotostreifen, den wird in einem Automaten gemacht hatten, ein Bild mit uns beiden vorm Brandenburgertor in Deutschland und ein weiteres vor den Hollywood- Buchstaben hier in Amerika. Kieran hatte letztes Jahr seinen Führerschein gemacht, sodass wir einen kleinen Roadtrip mit ihm gemacht hatten. Nur einige Bundestaaten, aber immerhin... Ich klemmte die Bilder hinter die Bänder meiner Heftwand, eines der wenigen Möbelstücke, die ich aus Florida mitgenommen hatte und betrachtete die Bilder eingehend: Beim Anblick meiner besten Freundin ging es mir gleich besser... Ich sah noch schnell die restlichen Fotos durch und beschloss auch ein Foto von meinem Dad beim Angeln und meiner Oma und mir vor dem Meer anzuheften. Letzteres war bei einem Besuch von ihr aus Deutschland zu uns nach Florida entstanden... Als letztes zog ich einen Stapel mit Familienfotos aus dem Karton: Meine Mom, mein Dad, Kier und ich... Ich sah gefühlte Ewigkeiten auf das Bild und steckte es schließlich hinter das Bild von Oma und mir. Ich wollte nicht, dass mir Fragen gestellt wurden... Zuletzt rang ich mich doch noch ab und stellte den Bilderrahmen von mir und Kieran bei unserem letzten Geburtstag und ein weiters mit Sam und mir auf meinen Schreibtisch. Seine Arme um meine Taille strahlten wir in die Kamera. So wie es richtig war... Die restlichen Fotos von mir und den Jungs legte ich mit allen anderen und den übrigen Bilderrahmen wieder zurück in den Karton und schloss ihn schließlich. Genug Wühlen in der Vergangenheit für heute... Ich schnappte mir den Karton wieder, betrat meinen begehbaren Kleiderschrank und stellte ihn unter meinen weichen Hocker in der Mitte des Raumes. Dadurch, dass das weiche Kunstfell über die Ränder hing, war der Karton für einen Außenstehenden kaum zu sehen... Ich schloss meinen Kleiderschrank, durchquerte mein Zimmer und betrat den Flur. Ich hatte Hunger... Und das würde weder Zayn's Anwesenheit, noch meine Tagebücher irgendwie beeinflussen. Von unten drang das Gemurmel mehrerer Stimmen zu mir hinauf, als ich die Treppe hinuntertrabte und die Küche betrat...

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So meine Lieben, wieder ein neues Kapitel für euch.

Keine Angst, bald geht es richtig los...😏

Lasst mir doch gerne einen Kommentar und/oder wenn es euch gefallen hat einen Vote da, das nächste Kapitel kommt im Laufe der nächsten Tage...🌹

Euch noch eine schöne Restwoche und ein für alle, die jetzt noch feiern ein schönes Fasching.😉🙃

Moving to a new lifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt