Prolog: Purpel 'Prefect' & 'Fag

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Seit September 2011, also nun genau 4 Jahre, war ich Schülerin auf dem 'Weston Ladys College'.
Es war eine Mädchenschule an der Themse im schönen London. Die Gebäude, die Regeln und die Struktur der Schule waren in allen Punkten denen der Jungenschule am anderen Ufer nachempfunden, die um fast 100 Jahre älter war. Und sie unterstanden beide demselben Direktor, dem 'Headmaster'.
Die Schule bestand aus einer großen gotischen Kapelle, das Hauptgebäude mit den Klassenräumen. Sie hatte viele große Fenster und mittig in dem alten Bau prangte eine große, beleuchtete Uhr, hinter der das Büro des 'Headmasters' lag. Darüber hinaus gab es vier historische Studentenwohnheime:
Eins für die 'Scarlet Fox's: Den aus reichen und noblen Familien stammenden Schülern.
Eins für die ' Sapphire Owl's: Den sehr lerneifrigen Schülern.
Eins für die 'Green Lion's: Den sehr sportbegeisterten Schülern.
Und eins für die 'Violet Wolf's: Den sehr musischen Schülern.
In jedem Haus lebten um die 200 Schülerrinnen.
Das 'Weston College' und das 'Weston Ladys College' waren abgesperrte Bereiche, die keine Einmischungen duldeten, auch keine staatlichen Eingriffe.
Die Studenten der Colleges wurden zu strenger Disziplin, die die Bedeutung von Traditionen und Bräuche betonten, erzogen. Sie lebten in Wohnheimen und lernten nach ihren individuellen High-Level-Lehrplan.
Unabhängig von den extrem hohen Gebühren, sendeten die Adeligen ihre Kinder schon seit Generationen auf diese Schulen, was sie zu dieser herausragenden Stellung führte.
Seit der Gründung der Schulen ist es der Direktor, der 'Headmaster', der alle Angelegenheiten, die die Schule betreffen entschied. Seine Entscheidungen sind darüber hinaus absolut und unumstößlich. Der Direktor wählt auch die 'Prefects', die halfen die Schule zu leiten und die Regeln umzusetzen. Ein Schüler im 5ten Jahr, aus jedem Haus, wurde zum 'Prefect' gewählt und leitete sein Haus nach Regeln und Traditionen der Schulordnung.
Zwischen den Häusern herrschte ein rigoroser Konkurrenzkampf, in allen Bereichen.
Ich war übrigens Skyler Rosewell, kurz Sky, mittlerweile 17 Jahre und an dieser Schule eigentlich genauso fehl am Platz wie ein Elefant im Porzellanladen. Denn ich war ein Heimkind. Mit 7 Jahren wurde ich aus furchtbaren Familienverhältnissen geholt: Ein gewalttätiger und alkoholabhängiger Vater. Eine Mutter, die sich selber nicht verteidigen konnte und komplett von ihm abhängig war. Ich habe die Hölle der Waisenhäuser überlebt. Waisenhaus, Pflegefamilie, wieder Waisenhaus, Adoptivfamilie, wieder Waisenhaus. Irgendwann habe ich nicht mehr versucht mich einzuleben. Ich war, wo man mich hin schob. Heimatlos, Wunschlos, Trostlos, Traumlos, Perspektivlos. Selbst mein ehrliches Lachen hatte ich irgendwo dazwischen verloren.
Doch dann hatte ich das erste Mal wirklich Glück im Leben: Durch ein Wohltätigkeitsprojekt wird es jedes Jahr 8 mittellosen Kindern (4 Jungen und 4 Mädchen, jeweils eine/r für jedes Haus) ermöglicht auf diese Schule zu gehen. Ich war vor vier Jahren eine davon gewesen und in das Haus der 'Violet Wolf's eingezogen. Zäune und Mauern grenzten das Grundstück der violetten Wölfe ab. Der Eingang war ein gusseisernes Tor mit einem Bogen in imposanter Höhe, verziert mit komplizierten Mustern. Von dem Tor ging ein Weg zum zentralen Gebäude, in dem sich der Speisesaal, die Bibliothek, die Arbeitszimmer und auch die Privatzimmer des 'Prefects' und des 'Prefects Fag' befanden. Zwei Statuen von Wölfen waren auf den senkrechten Pfosten platziert, die auf jeder Seite des Eingangs standen.
Es gab eine lange Treppe, die nach dem Weg zum Haus führte. Das Land vor dem Hauptgebäude war gespickt mit hageren, nackten Bäumen, Laternen, dunklen Büschen und Grabsteinen. Das Haus selbst hat viele kleine Fenster, besetzt mit gusseisernen überkreuzten Streben. Es hatte viele kleine, abstrakt gestaltete Türmchen und wurde gerne als 'Witchhouse' oder 'Vampire's Castle' bezeichnet. Es sah tatsächlich auch genauso aus. Die anderen Wohnheime der Wölfe waren im selben Stil und standen im Viereck, in der Mitte ein kleiner, grüner Park mit einigen sehr obskuren Steinstatuen und hohen Blumenhecken.
Ich konnte nicht viel, doch beim Zeichen und Malen fühlte ich mich gut und lebendig. Auf dem Papier war ich frei.
Auch Geige spielen konnte ich einigermaßen gut. Ich war kein Star an der Violine, aber man bekam kein Ohrenbluten, wenn ich anfing zu spielen.

Als ich an meinem ersten Tag, noch im Heim, meine Schuluniform überzog, war ich furchtbar nervös. Ich schaute in den Spiegel, doch irgendwie sah mein dünner Körper falsch aus in dem hochwertigen, grau/schwarzen Rock mit Pepitamuster, der teuren, weißen Baumwohlbluse, auf der knapp unter dem rechten Schlüsselbein das Wappen der 'Violet Wolf's mit lilanen, schwarzen und silbernen Fäden eingewebt war. Darüber eine, wie alles andere auch, maßgeschneiderte, schwarze Weste und ein Nadelstreifenjackett, auch hier das Wappen meines Hauses an derselben Stelle. Auf der andern Seite des Jacketts eine Brusttasche. Dazu eine violette Krawatte, schwarze Overkneestrümpfe und braune Halbschuhe.
Ich konnte nicht glauben, dass ich 4 Sätze dieser unglaublich teuren Montur geschenkt bekommen hatte und dass ein wohltätiger Verein gutsituierter Menschen meine Schulkosten tragen wollte, solange meine Leistung stimmten. Das Päckchen mit den Uniformen, einer guten Startausrüstung an Schulmaterial und einem kleinen Brief, war in metallic violettem Papier mit einer grauen Schleife eingepackt gewesen.
Ich hatte meine sieben Sachen gepackt und war in ein Auto gestiegen, welches mich von dem Waisenhaus weg auf das Schulgelände fuhr. Unterwegs stiegen die anderen 3 Stipendiatinnen zu.
Auf dem Schulhof war einiges los. Viele teure Autos. Bedienstete, Lehrer. Eltern, die ihre Töchter verabschieden... und ich. Alleine, mit einem alten Koffer, der schon so oft umgezogen war.
Die Hauslehrerin der Wölfe, Ms. Lowell, führte mich zu meinem ersten wirklichen Zuhause.
Ich lebte in einem Zimmer mit 3 weiteren Mädchen. Mir gehörte ein Bett, eine Truhe, ein Regal und ein Schreibtisch, in dem, wie alle Zimmer der Wölfe, dunkel vertäfelten Zimmer mit dem grauen Teppich. In den Fluren lag genauso dunkles Parkett und die Möbel waren robust, gotisch, ähnlich dunkel. Das violett/schwarze Farbschema spiegelte sich überall.
Darüber hinaus wurde eine meiner 3 Zimmergenossinnen meine beste Freundin: Amber Heather Phantomhive, kurz Amy.

Heute waren wir unzertrennlich und standen nebeneinander in der großen Halle, als die Willkommenszeremonie für das neue Schuljahr abgehalten wurde. Wir waren jetzt im letzten Jahr, beides Musterschülerinnen. Die Schuluniform trug ich mittlerweile wie eine zweite Haut an meinem immer noch dünnen Körper. Ich nahm nicht zu, egal wie viel ich aß, weswegen auch meine weiblichen Attribute eher klein ausfielen. Amy sagte immer: „Nicht klein. Du bist perfekt Proportioniert!" Doch irgendwie kam ich nie dazu ihr ganz zu glauben. Meine dünnen, welligen, zimtbraunen Haare waren zu einem Halbzopf gebunden, der am Hinterkopf von einem Dutt gehalten wurde. Mein langer seitlicher Pony und eine dicke Strähne links franselten mir ins dünne Gesicht, mit den leicht eingefallenen Wangen und halb über die tropfenförmigen, hellblauen, mit einem Lidstrich verzierten Augen. Ich trug Kreuzohrstecker und ein silbernes Medaillon, in das Rosenranken eingeätzt waren. Es bedeutete die Welt für mich.
Amy trug dieselbe Uniform wie ich, doch ihre Socken reichten nur bis zur Wade. Ihr dicker, langer, wilder, schwarzer Schopf fiel ihr offen auf dem Rücken und königsblaue große Augen schauten aus dem schön geschnittenen Gesicht. Sie lächelte mich an.
Wir beide hofften Prefect unseres Hauses werden zu dürfen. Es war ein Konkurrenzkampf unter Freundinnen, mit dem Gewissen, dass wir es beide der Anderen mehr gönnten, als uns selbst.
Der Vizeheadmaster, Mr. Grandolier, hatte die neuen Schüler begrüßt und instruiert: „Die Prefects der Häuser, ihre Fags und die Lehrer sind die ausführende Hand des Headmasters. Ihr Wort ist für alle Schüler Gesetz. Das Wort des Headmasters und der Lehrer sind für die Prefects und ihre Fags Gesetz. Wie in jedem neuem Jahr werde ich nun die neuen Prefects, die neuen P4, verkünden!" Bedeutungsschwer rollte er eine Rolle aus: „Für die 'Scarlet Fox's: Lila Mcfinnian!"
Applaus!
Ein brünettes, schlankes Mädchen mit langem, geflochtenen Zopf und grünen, großen Augen und edlen Gesichtszügen, mit ein wenig zu viel Make-up, in derselben Uniform wie wir, nur mit roter Krawatte und dem Wappen der Füchse in schwarz, rot und gold, schlug die Hände vor den vollen Mund und hüpfte fast zum Vizeheadmaster auf das Podest. Er schüttelte ihre Hand, steckte ihr eine rote Rose in die Brusttasche ihres Jacketts und gab ihr eine zweite in die Hand. Sie blieb stramm, aber breit lächelnd neben ihm stehen.
„Für die 'Sapphire Owl's: Mandy Hadford!"
Applaus!
Das Mädchen mit der blauen Krawatte und dem blau, schwarz, silbernen Wappen auf der Uniform, hatte glatte, offene, rote Haaren und schmale grüne Augen im rundlichen Gesicht, hinter der modischen, schwarzen Brille. Sie schlug die Hände zusammen und ging ein wenig unsicher aufs Podest. Auch sie schüttelte den Vizeheadmaster die Hand. Sie bekam einen Enzian angesteckt und einen zweiten in die Hand. Dann stellte sie sich ebenso stramm neben Lila.
„Für die 'Green Loin's: Annmarie Galiger!"
Applaus!
Ein athletisches Mädchen mit grüner Krawatte und schwarz, grün, goldenem Wappen ballte ihre Hände zur Faust und zog eine triumphierend nach oben. Ihr hoher, straffer, blonder Pferdeschwanz wehte, als sie sich mit glänzenden braunen Augen im spitz zulaufenden Gesicht Mühe gab, nicht zum Podest zu rennen. Sie schüttelte, wie ihre Vorgängerinnen, die Hand des Vizen und bekam einen Stechpalmenzweig in Blüte angesteckt. Einen Zweiten hielt sie in der Hand, als sie sich neben Mandy stellte.
Amy und ich bangten. Wir sahen uns an, als der Vize Luft holte: „Für die 'Violet Wolf's:"
Amy griff meine Hand. Auch ihre war ganz schwitzig und ich war mir sicher, ihr Herz raste so wie meins: „Amber Heather Phantomhive!"
Applaus!
Amy ging neben mir kurz in die Knie und fiel mir dann um den Hals.
„Herzlichen Glückwunsch, Amy", lächelte ich dünn und wie immer nicht ganz ehrlich. Nicht, weil ich es ihr nicht gönnen würde, ich war einfach nicht gut im Lächeln.
„Danke, Sky. Ohne dich hätte ich das nie geschafft."
„Ach was. Beeil dich."
Amy ließ mich los, lächelte ein letztes Mal und ging dann zum Podest. Sie schüttelte Grandolier die Hand, bekam eine dunkelviolette Dahlie angesteckt und hielt eine weitere in der Hand. Sie stellte sich neben Annmarie.
Sie lächelte mich an, ich wie eine stolze Schwester zurück. Ein bisschen enttäuscht war ich schon, doch es war mir eigentlich klar, dass bei demselben Notenschnitt Amy, die aus viel besseren Verhältnissen kam, gewinnen würde.
„Nun", sprach Grandolier: „Applaus für die neuen P4!"
Klatschender Applaus toste durch den Raum und die P4 verneigten sich, formvollendet.
Grandolier hob die Hände, der Applaus verstummte: „Prefects! Wählt nun eure Fags! Zeigt sie der Lehrerschaft und euren Mitschülerinnen und damit die tiefe Verbindung, die euch aneinander binden wird."
„Ja, Vizeheadmaster!", sprachen die P4 im Chor.
Als Erstes wählte Lila ein Mädchen mit kurzen blonden Haaren und einem sympathischen Gesicht mit blauen Augen: Allison Jerade. Sie sprachen den Schwur, Lila steckte ihr die zweite Rose an und Allison stand treu hinter ihr. Applaus!
Mandy wählte ein Mädchen mit schwarzem Bob, asiatischem Touch und treuen, schmalen, braunen Augen unter einer rahmenlosen, ovalen Brille: Lin Wang.
Auch hier der Schwur, das Anstecken des Enzians und Lin stellte sich hinter Mandy. Applaus!
Annmarie wählte ein brünettes Mädchen mit fransiger Kurzhaarfrisur und grauen Augen, ebenso athletisch wie sie selbst: Hannah Schneider.
Sie bekam die zweite Stechpalme angesteckt und endete hinter ihr. Applaus!
Amy schaute in die Menge. Dann lächelte sie mich an. Ich machte große Augen, als sie sprach: „Skyler Rosewell?"
Ich atmete tief ein und lächelte das wahrscheinlich ehrlichste Lächeln in meinem Leben, als ich auf das Podest zuging. Wir stellten uns gegenüber auf und sie hielt mir die Dahlie vor mein Gesicht: „Du wirst mich nie verraten und durchweg zuverlässig sein. Lass uns auf Saint George schwören, dass wir eine Beziehung aufrechterhalten werden, von der wir gegenseitig profitieren werden, bis zu dem Tag an dem wir diese Schule verlassen. Ich bitte dich mein Fag zu werden, Skyler Rosewell."
Ich ging auf ein Knie, legte meine Linke auf das Wappen: „Ich akzeptiere demütig."
Als ich wieder aufstand, steckte sie mir die Dahlie in die Brusttasche. Die Schülerschaft, die Lehrer, selbst der Headmaster und Vizeheadmaster applaudierten. Ich lächelte, dünn und scharf, doch zumindest Amy wusste, dass dieses Lächeln ehrlich war. Ich stellte mich hinter sie, ein Versprechen ihr den Rücken zu stärken und freizuhalten.
Was ich immer tat und immer tun werde.
Und unser neues Schuljahr begann.

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