Kapitel 1: Friedhofsimpression

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Sky


Zwei Wochen arbeiteten wir uns in den Schulstoff und in unsere neue Aufgabe als Leitfigur ein.
Dann hatte Amy Geburtstag!
Ich stand in der Küche und machte meine Spezialität: Schwarzwälder Kirschtorte. Amy aß sie so gerne, deswegen hatte ich heute nach dem Unterricht die Küche im Haupthaus der Wölfe erobert und jeden anderen herausgeworfen.
Ich stellte die fertige Torte auf den Tisch in der Stube unseres kleinen Apartments im Haupthaus und betrachtete mein Meisterwerk. Der Prefect und sein Fag teilten sich eine Art 3-Zimmer-Apartment im Hauptsitz der Wohnheime. 2 Schlafzimmer, ein Größeres für den Prefect, ein Kleineres für den Fag, eine Stube und ein eigenes Bad im Dachgeschoss des drei Etagen Hauses.
Neben der Torte stand ein kleines Geschenk, eingewickelt in glänzendes, blaues Papier mit einer gelben Schleife. Dann klickte der Schlüssel im Schloss. Die Prefects waren die Einzigen, die ihre Türen abschließen dürften: „Sky? Bist du da?", ich hörte wie Amy ihre Tasche abstellte: „Grace meinte du wärst heute nicht im Atelier gewesen, ist alles ok?"
Sie kam ins Wohnzimmer. Ihre schwarze Weste hatte sie nach ihrer Ernennung durch eine lilane mit einem Brokatmuster ersetzt. Ich breitete die Arme aus und lächelte so gut ich konnte: „Happy Birthday, Amy!"
Amy machte große Augen. Dann lachte sie: „Sag nicht du hast für mich deine Zeit im Atelier sausen lassen?"
Ich drückte sie: „Ich? Niemals."
Doch Amy lachte nur noch einmal: „Du bist mir eine", dann fiel ihr Blick über meine Schulter auf die Torte. Sie fasste mich an den Schultern und schob mich ein Stück weg, um mir ins Gesicht lächeln zu können: „Du hast Schwarzwälder Kirschtorte für mich gemacht?"
Ich nickte mit meinem dünnen, nie ganz ehrlichen Lächeln, doch es freute mich wirklich, dass sie sich freute. Sie erkannte es.
„Klar."
„Aber das ist doch furchtbar aufwendig."
„Ach was!", ich ging zum Sessel, meinem Lieblingsplatz im Wohnzimmer: „Beeil dich, sonst esse ich sie alleine."
„Das würdest du mir nicht antun!"
Ich zündete ein paar Kerzen auf der Torte an: „Wünsch dir was."
Amy setzte sich auf die Couch. Sie dachte einige Minuten nach und holte dann tief Luft. Mit einem einzigen Pusten gingen die Kerzen wieder aus.
Ich reichte ihr ein großes Messer und einen Tortenschieber: „Ich hoffe er geht in Erfüllung."
Amy lächelte immer noch: „Ich danke dir, Sky."
Dann schnitt sie ihre Torte an und verteilte Stücke. Ich lümmelte mich wie gewohnt auf dem Sessel, nachdem ich den kleinen Teller entgegen genommen hatte: „Ach wie, wo."
Wir plauderten ein wenig. Wir fanden immer ein Thema.
Nachdem wir (zum größten Teil Amy) ¾ der Torte vernichtet hatten, lächelte die Phantomhive zufrieden: „Sie war köstlich, Sky."
„Ach Quark", ich stellte den Teller ab: „Irgendwas stört mich."
„Sie war fabelhaft. Auf den Punkt."
„Na... Da geht noch was."
„Sei nicht so streng zu dir selbst!"
Ich seufzte: „Lass gut sein Amy", dann wechselte ich ohne Übergang das Thema: „Mach es auf."
Amy blinzelte: „Was?"
„Na dein Geschenk!", ich hatte ewig danach gesucht und hoffte so sehr es gefiel ihr.
Amy schaute auf den Tisch und schien erst jetzt das kleine Paket zu bemerken. Es war gerade so groß wie ihre Handfläche: „Oh das wäre doch nicht nötig gewesen", doch sie riss das Papier auf. Zum Vorschein kam eine kleine rote Schachtel. Neugierig klappte sie sie auf. Darin lag eine silberne Kette mit einem großen Medaillon. Behutsam nahm sie die Kette, an der der schwere Anhänger hing in den Weinranken eingeätzt waren, aus der Schachtel: „Wie schön. Wären es Rosen, anstatt Weinranken sähe er aus wie deiner."
„Deswegen hab ich ihn gekauft", ich wedelte trietzend mit einer Hand: „Und du bist eher der Weinranken-Typ."
Amy lachte: „Hey! Was soll das heißen!?"
Ich kicherte: „Das überlasse ich dir. Mach ihn auf."
„Wie?"
„An der Seite."
Amy drückte auf die Seite des Medaillons und es sprang auf. Zum Vorschein kam ein Bild von uns beiden, welches auf einem Jahrmarkt vor einigen Monaten geschossen worden war.
„Damit du mich nicht vergisst, wenn du nächstes Jahr wieder in deinen protzigen Palast zurückziehst", lächelte ich, traurig über die beschränkte Zeit, die ich mit ihr zusammenleben durfte.
Amy lächelte milde zurück: „Ach, Sky. Ich hätte dich nie vergessen... Und es ist kein Palast!", wechselte sie vom traurigen Thema: „Teilweise glaube ich, du denkst ich lebe im Buckingham Palace."
„In Vergleich zu dem, was ich kenne."
Amy stockte: „Ja gut... Punkt für dich", sie schloss den Anhänger und legte sich die Kette um. Dann grinste sie mich, scherzendes Unheil verkündend, an: „Ich muss dir wohl mal zeigen, wie ich lebe."
„Wie?"
Amy lachte: „Ich feiere am Wochenende meinen Geburtstag... Zuhause, mit den Freunden meiner Familie und den Geschäftspartnern meiner Eltern", sie räusperte sich aufgrund meines verständnislosen Blickes: „Mein Vater möchte das. Jedes Jahr. Das weißt du doch."
„Uuuund?", fragte ich, immer noch nicht schlauer.
„Ich mag sie alle, aber", Amy seufzte: „Außer meinem Bruder ist sonst nie jemand in meinem Alter dort, mit dem ich reden will. Die Kinder der Partner meiner Eltern sind furchtbar ordinär und langweilig. Du musst mich dieses Jahr retten!"
„Bitte?"
„Komm am Samstagabend zu mir nach Hause", sie lächelte, vollkommen überzeugt von ihrer Idee: „Feier mit mir."
„Ich... ich weiß nicht", ich war etwas hin und her gerissen. Einerseits... waren solche Feiern sicherlich ein wahrer Mädchentraum. Andererseits... war ich sicher fehl am Platz.
„Sky", machte Amy: „Glaube mir. Ich würde dich nicht bitten, wenn ich nicht denken würde, es würde dir Spaß machen. Du musst dich nicht sorgen. Meine Eltern werden dich lieben und die Anderen...", sie lachte: „Sind mit nichts vergleichbar was du kennst."
Neugier boxte in mir gegen Wiederstreben.
„Sky, bitte. Es würde mir so viel bedeuten", sie schenkte mir einen Dackelblick. Keinen gespielten, der einen zwingen will, sondern das echte Gefühl eine Zusage würde sie glücklich machen.
„Ok, ok", seufzte ich: „Ich mach's, ich komme."
Amy lächelte: „Damit ist es besiegelt. Das wird die beste Party, die ich je haben werde."
„Wieso?"
„Weil ich endlich mal eine Freundin eingeladen habe."
„Hast du vorher nie?"
„Nein. Es ist nicht so ganz einfach", ihr kurz geknickter Gesichtsausdruck hellte wieder auf: „Aber jetzt haben meine Eltern endlich ja gesagt."
„Die Prinzessin und das Dorfmädchen", lächelte ich.
Amy nickte: „Nur glaube mir, 100x besser."
„Apropos: Dein Dorfmädchen hat nicht annähernd etwas im Kleiderschrank, was schick genug wäre. Ich muss wohl in die Mall."
Amy schüttelte den Kopf: „Ich leih dir was. Es wird dieses Jahr ein Maskenball."
„Ein Maskenball?"
Amy nickte: „Spannend, hm?"
„Très, très chic." (fr.: sehr, sehr schick)
„Ou non?" (fr.: Oder nicht?)
„Oui, oui." (fr.: Doch, doch.)
„Fabuleux."(fr.: Fabelhaft.)
Wir schauten uns kurz an und lachten dann ein wenig albern.
Danach machte Amy sich daran, mich zu instruieren. Es war nicht viel, eigentlich nichts, was man mit Höflichkeit und einigen guten Manieren nicht hinbekommen würde. Das entspannte mich zwar ein bisschen, aber nicht so gänzlich. Es wird wohl eine riesige Veranstaltung. Ihre Eltern nutzten solche Anlässe, um - unter anderem - ihre Geschäftsbeziehungen zu verbessern.
„Das wird toll", versicherte sie mir: „Sei vor allen Dingen aufgeschlossen. Einige sind wirklich ziemlich, ziemlich eigen, aber ich kann nichts Schlechtes über irgendeinen von ihnen sagen."
Ich lächelte dünn: „Dich ertrag ich ja auch ganz gut, oder?"
„Zynische Natter", lachte Amy als Antwort.
Wir fanden zurück zu lockeren Plaudereien, immer mal wieder unterbrochen von Amy's klingelndem Handy. Nach einem Anruf, offensichtlich von ihrer Mutter, seufzte sie: „Ich muss dich allein lassen."
Ich streckte mich: „Du untreues Wesen. Lass mich raten: Deine Eltern kommen nach London und laden dich zum Geburtstagsessen ein?"
Sie nickte: „Jap."
Ein weiteres dünnes Lächeln meinerseits. Obwohl ich es nicht zeigen wollte, schillerte der Neid deutlich hindurch. Natürlich gönne ich Amy ihre Familie, doch... ich hätte auch gerne eine. Menschen, die sich an meinen Geburtstag erinnerten und dafür sorgten, dass es ein schöner Tag wurde, weil ich ihnen wichtig war.
„Viel Spaß", wünschte ich ihr zweischneidig.
Sie lächelt mich warm an: „Hab du auch einen schönen Abend, ok?"
„Ach, ich vertrete mir die Beine. Streune herum. Zeichne etwas. Hab ich mal wieder Lust zu."
„Ok", Amy stand auf: „Danke noch einmal, es war ein schöner Nachmittag", dann verschwand sie aus dem Zimmer.
Ich brachte den Rest Torte in einen kleinen Kühlschrank in der Ecke der Stube und räumte das Geschirr auf ein Tablett, während sich Amy für ihre Eltern ausgehfertig machte. Danach kramte ich meinen DIN A4 Zeichenblock in meine Kampftasche und packte meine Federmappe, Kohle- und Pastellkreide dazu. Danach schlüpfte ich aus meiner Uniform und zog ein schulterfreies Oberteil mit ¾ Ärmeln an, welches elegante Falten um meinen viel zu dünnen Bauch und die viel zu kleinen Brüste warf. Es war mir ein Stück zu klein und das lange Netzoberteil und ein Stück Bauch schaute heraus. Dazu eine schwarze Hose, ein breiter Nietengürtel, Lederarmbänder und schwarze Segeltuchschuhe. Amy verabschiedete sich von mir und verschwand aus dem Haus. Ich zog langsam eine schwarze Jacke über mein Lieblingsoutfit und befreite die freien Haare meines Halbzopfes daraus. Ich verließ das Apartment und brachte das Geschirr in die Spülmaschine in der Küche.
Dann verschwand auch ich aus dem Haus.

Es war früher Abend und die untergehende Sonne begann langsam aber sicher den noch blauen Himmel rot zu färben. Der Wind war schon relativ frisch, doch das Wetter war mir heute holt und bewahrte mich vor dem Londoner Herbstregen. So bahnte ich mir meinen Weg durch die Straßen Londons, als ich mir die Kopfhörer meines Handys in die Ohren steckte. Schnell verließ ich die trubeligen Straßen und schlängelte mich durch ein Gewirr von schmalen Gassen. Ich wusste genau, wo ich heute meine Muse suchen wollte. Meine Füße führten mich routiniert durch die kleinen Gassen zu einem großen Friedhof. Die Mauer war überwuchert von Efeu und Rankpflanzen. Ein Flügel des schiefen, gusseisernen Tores stand offen. Ich schlüpfte hinein und ging einige Zeit an den Gräbern entlang. Ich kannte diesen Friedhof gut. Er war alt. Ich ließ bedächtigen Schrittes die frischen Gräber hinter mir und machte mich auf den Weg in den hinteren Teil des Totenackers. Ich ließ meine Augen über die alten Grabsteine und die gotische Kapelle wandern, die aber noch ein gutes Stück von mir entfernt lag. Die meisten Gräber hier waren verfallen und teilweise schon ein ganzes Jahrhundert alt. Ich war immer wieder verwundert, hin und wieder frische Blumen auf den Gräbern zu finden. Hier und da ein Bündel mit 4 weißen Lilien.
Dieser Ort hatte seinen ganz eigenen Geruch. Die Luft war hier frisch, doch erdig von dem vielen Moos und Pflanzen. Mit diesem Geruch hatte er auch seine ganz eigene Atmosphäre. Ich stellte die Musik meines Handys aus und zog die Kopfhörer aus meinen Ohren.
Ich war nur zwei oder drei Mal bis zur alten Kapelle gegangen. Sie reckte ihre zwei spitzen Türmchen in den Himmel, als wolle sie ihn damit erstechen. Ihre gotische Architektur war imposant, wie massig, wie elegant und man sah von weitem die verwitterte Farbe der Steinwände und die vielen Pflanzen, die sie als Leiter in den Himmel benutzten. Einige der schönen Buntglasfenster waren kaputt gegangen. Soweit ich wusste, wurde diese Kapelle nicht mehr für die Trauerfeierlichkeiten benutzt. Es gab im vorderen Teil des Friedhofs eine um einiges Neuere.
Doch heute war mir irgendwie danach bis zur alten Kapelle durch zu gehen, vielleicht sogar das erste Mal hinein.
Immer noch ohne große Eile schlenderte ich über den Schotterweg, der so überwuchert war, dass er eher einem Trampelpfad ähnelte. Ich ließ meine Fingerkuppen über einen verlassenen Grabstein wandern. Rauer Stein, tiefe Ritzen und feuchtes Moos kitzelten meine Haut abwechselnd. Umso näher ich der Kapelle kam, umso so älter wurden die Gräber. Schon bald hatte ich das Gefühl, eine kleine Zeitreise angetreten zu haben.
Ich löste mich von dem Hauptweg und bewegte mich auf Pfaden, die ich vorher noch nie gegangen war, auf die Kapelle zu.
Vielleicht 200 Meter entfernt von ihr fand ich eine Bank. Ihre Bretter schienen irgendwann mal ausgetauscht worden zu sein, aber das gusseiserne Gestell wirkte unendlich alt und die Natur hatte es schon fast komplett zurückerobert. Ich setzte mich auf die verblassten Bretter und ließ meine Augen umherstreifen, als ich Kreide und Block aus meiner Tasche zog. In meinem Magen wirbelte die heiße Lust, die unnachahmliche Atmosphäre dieses Ortes einzufangen. Als meine Augen nach einer Szenerie suchten, die ich auf meinem Papier fangen wollte, fiel mein Blick auf etwas was ich nicht erwartet hatte. Schräg gegenüber, vielleicht 15 Meter entfernt, waren einige Gräber. Vielleicht 20 Stück unter dem Dach einiger Trauerweiden vor zwei großen Mausoleen. Die Mausoleen waren gotischer Architektur, alt, auch von Schlingpflanzen bewachsen, doch intakt, ohne Löcher und Risse. Auch die Grabsteine dieser Gräber waren alt, doch im Gegensatz zu den anderen Gräbern, wirkten sie wohl gepflegt. Die Sträucher und Büsche waren geschnitten, Trauerkerzen leuchteten, in den Steckvasen steckten frische Blumen, weiße Lilien, Callas, Chrysanthemen. Die Grabsteine waren vom Moos befreit, nur hier und dort von Efeu bewachsen, doch war selbst dieser getrimmt. Diese Gräber müssten ebenfalls an die 100 Jahre alt sein, wenn sie so weit hinten auf dem Friedhof lagen und waren trotzdem so gut erhalten. Sie wirkten als vereinten sie Vergangenheit und Gegenwart, in einer Ahnung von Ewigkeit.
Doch viel mehr verwunderte mich die große, schlanke Gestalt, die, den Rücken zum größten Teil zu mir gedreht, zwischen diesen Gräbern stand, eine Rosenschere in der Hand mit beachtlich langen und dünnen, aber komischerweise nicht unansehnlichen, Fingern. Sie hatte lange, schwarze Fingernägel. Ich legte den Kopf schief aufgrund der seltsamen Erscheinung des Mannes. Er trug einen langen, weiten Mantel, fast schon eher eine Robe, mit einem schwarzen Stehkragen und ein blass-graues Tuch war um die Schulter und Brust gebunden. Um seine Hüfte blitze eine Kette mit goldenen, großen, ovalen Anhängern in der Abendsonne, welche nun endgültig das Blau aus dem Himmel gescheucht hatte und einen rot-orangenen Schimmer über den verlassenen Friedhof legte. Die Schuhe, die aus der Robe schauten, glänzten, wirkten wie aus Lack und ein, zwei Schnallen funkelten mit den Anhängern um die Wette. Doch wirklich faszinierend war der dichte, lange Schwall feiner Haare, welche bis zu seiner Hüfte reichten und eher wie Silberfäden wirkten. Von seinem Gesicht konnte ich nur einen Teil der Wange erhaschen und meinte eine dunkle Narbe an seinem Kieferknochen zu sehen, der Rest war von mir abgedreht oder hinter einem dichten, silbernen Pony und einem Zylinder mit einem beachtlich langen Zipfel verschwunden. Irgendwie bedauerte ich es, die Gestalt des Mannes nicht gänzlich erfassen zu können.
Der Mann rührte sich nicht. Lediglich seine Haare wogten sachte in der kleinen Brise, die beständig durch die alten Gräber zu huschen schien. Obwohl ich sein Gesicht nicht sah, hatte sein Anblick etwas ernstes, melancholisches, als wolle er alle Toten dieser Welt auf einmal betrauern. Es war unbeschreiblich.
Ich schlug meinen Zeichenblock auf, während ich fast wie in Trance auf den Mann starrte, und zog einen Bleistift aus meiner Tasche. Ich war nicht sicher, ob ich es konnte, doch ich wollte die Atmosphäre dieses Ortes, in Verbindung mit diesen ewigen Gräbern und der Erscheinung dieses Mannes bis ins letzte Detail einfangen. In schwarz/weiß, nur den Himmel koloriert mit weicher, warmer Pastellkreide.
Meine Hand flitzte über das Papier, radierte hier und dort einen Strich weg, während meine Augen im Wechsel auf dem Papier und dem Mann lagen. Er bewegte sich immer noch nicht, doch ich hatte das Gefühl, ich saß schon eine ganze Zeit zeichnend auf dieser Bank.
Ich hielt inne, als ich mit mir selbst beratschlagte ob ich nachschauen sollte, ob bei ihm alles in Ordnung war.
Doch ich hatte das Gefühl, dass die Erkenntnis über die Ausstrahlung des Mannes kurz davor war, aus meiner Intuition zu sprudeln.
Ich schaute, ich dachte und dann... War sie da!
Er wirkte alt, obwohl er nicht alt aussah. Er wirkte so alt, wie der Friedhof selbst. So traurig und friedlich gleichzeitig, wie nur der Tod allein es können sollte.
Als ich das realisierte, kratzte mein Stift schneller über das Papier.
Dass die Welt um mich verschwamm, wenn ich zeichnete, war nicht ungewöhnlich, doch dieses Mal verschwand sie. Alles, was für mich wichtig war, war dieser Mann, dieser Moment. Mir wurde klar, dass ich dieses Bild nie wieder vergessen würde.
Ich war sehr schnell zufrieden mit meinem Outlines, obwohl ich hastig mit dem Stift hantierte, angespornt von der puren Inspiration und wechselte auf Kohlekreide.
Ich schaute noch einmal auf und stockte. Der Mann mit dem Silberhaar war verschwunden, als wäre er nie dagewesen.
Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Hatte ich mir das eingebildet? War der Mann nur ein Hirngespinst gewesen? Nein. Er wirkte so real wie die Bank unter mir und doch so vollkommen nicht von dieser Welt, dass ich mir es nicht hätte ausdenken können.
Wehmut flackerte durch mein Herz, als mir aufging, dass ich den Mann nicht weiter begutachten konnte.
Eine Brise ging, wehte mir in den Nacken und trug einen komischen Geruch an meine Nase. Er war süßlich, wie Zucker und hatte etwas von geschnittenen Gras und Zedernholz. Irgendetwas bewegte sich am Rande meines Sichtfeldes, doch ich konnte nicht erkennen was es war.
Ich wandte mich nach hinten, doch hinter mir war nichts und auch der Geruch war verflogen.
Ich seufzte, als ich anfing mich einsam zu fühlen und schaute auf mein Bild, wo ich den Mann, so wie ich ihn gesehen hatte, schamlos abgebildet hatte.
Mein Herz tat einen schmerzhaften, erschrockenen Satz.
In dem Platz, den ich für den Himmel freigelassen hatte, erstreckte sich eine dünne, fast krakelige, doch auch irgendwie runde Schreibschrift: »How sad would it be, should laughter dissapear?«
Ich war vollkommen perplex. Es war offensichtlich mit meiner Kohlekreide geschrieben, nur nicht von mir. Ich war zwar fast in einen meditativen Zustand verfallen, aber daran hätte ich mich erinnert. Auch wusste ich nicht, was dieser Satz mir sagen möchte.
Aber die Schrift war irgendwie schön und passte perfekt in das Bild. So verstörend es auch war.
Erst war der Mann an sich schon seltsam gewesen, dann verschwand er und dann... diese Schrift.
Hatte der Mann...? Nein, wie denn auch? Wäre er mir so nah gekommen, hätte ich ihn bemerkt.
Ich schüttelte den Kopf und blinzelte wieder auf die geschwungene Schrift auf meinem Papier.
Mein Kopf sagte mir, dass das alles unendlich gruselig und ja gar gespenstisch war. Als mir dieser Gedanke wie ein Panter mit scharfen Krallen in den Nacken sprang, fing mein Herz wie wild an zu klopfen. Adrenalin und Panik schossen in meine Adern.
'War er ein Geist gewesen?... Nein, Sky, das ist doch dumm!... Aber er war da und hat sich nicht bewegt und dann war er weg und dann die Schrift!... Beruhig dich, Sky!... Weg hier!'
Ich sprang auf und steckte meine Sachen in die Tasche. Erst ging ich, doch wurde daraus schnell ein Rennen.
Als ich aus dem Friedhofstor sprintete, war die Sonne schon untergegangen und der Mond stand am Himmel.

Tears and LaughterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt