Kapitel 7: Von Dämonen, Menschen und Sensenmännern

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Sky


Es pochte.
Meine Schläfe pochte ganz furchtbar.
Nur langsam krochen so etwas wie Gedanken in die große Leere in meinem Kopf.
Wo auch immer ich war, es war warm und weich. Gemütlich. Wäre der klopfende Schmerz nicht, der durch meine Stirn knisterte. Ein leises Stöhnen fuhr aus meinen geschlossenen Lippen, als ich mit immer noch geschlossenen Augen die puckernde Stelle an meinem Kopf befühlte. Ich fühlte so etwas wie Stoff anstatt meiner Haut. Zögerlich fuhr ich mit den Fingern ein weiteres Mal darüber. Es war... ein Pflaster. Was machte es dort? Warum war es da? Wo... war ich?
Mit der ersten Regung meiner Kognition fiel ein schwacher, orangener Schein durch meine geschlossenen Lider. Vollkommen unvorbereitet schickte der Schein eine Erinnerungen durch meinen lädierten Kopf: 'UNDERTAKER!'
Ich sah den Totengräber vor meinem inneren Auge in einer Feuersalve untergehen und riss mit einem verkrampften Einatmen die Lider auf. Ich schnellte in den Sitz und atmete schwer, hart getroffen von meinen Erinnerungen. Denn sie kamen mit einem Mal alle wieder.
Ich keuchte.
Meine wirren, aufgewirbelten Gedanken schickten mir ein Knistern nach dem anderen die Wirbelsäule hinunter. Einem mit jeder so surrealen Erinnerung.
Große Hunde. Feuer. Schreie. Blut. Undertaker, Ronald, Grell, William und Sebastian... Sie hatten... gekämpft.... Und uns das Leben gerettet.
Ich hielt mir meinen pochenden und vollkommen überstrapazierten Kopf. Das war doch alles nicht wirklich passiert... Ich muss geträumt haben. Doch unwillkürlich fiel mein Blick auf meinen linken Arm und dem Pflaster darauf. Dem Pflaster auf dem Schnitt, den ich aus dem Ballsaal zurückbehalten hatte. Ich fuhr kurz mit meiner Handfläche darüber. Es knisterte unterschwellig schmerzhaft.
'War das alles wahr?... Wirklich passiert?... Aber...Wie?'
Mein Blick flog durch den Raum. Ich kannte ihn. Das letzte Mal, als ich die Phantomhives besuchte, war ich auch hier aufgewacht. Ich hoffte inständig, dass es nicht zur Tradition wurde. Von schräg hinter mir fiel mir weiter dieser orangene Schein ins Auge.
Ich drehte meinen Kopf zu ihm und stockte verwundert, als ich ein paar Mal blinzelte um sicher zu gehen, dass ich richtig sah. Der Schein gehörte zu einer großen Kerze auf einem filigranen, gusseisernen Ständer. Sie stand auf der dunklen Kommode neben dem dunklen Nachttisch. Neben der Kerze stand eine kleine, leere Teetasse mit blauem floralem Muster und einem einsamen, nassen Teebeutel auf der Untertasse. Vor der Kommode stand ein alter Ohrensessel aus braunem Leder.
Der große silberhaarige Mann darin hatte die Beine überschlagen und eine Hand lag locker in seinem Schoss. Darin ein aufgeschlagenes Buch. Die Seiten raschelten leise unter der sich sachte hebenden Brust. Den zerstörten Herrenrock hatte er abgelegt und trug ein schlichtes weißes Hemd. Sein Kopf lehnte gegen eine der Kopfstützen und auf seiner zweiten Hand, sodass der lange Pony seitlich aus seinem Gesicht fiel. Dunkle Schatten zeichneten seine geschlossenen Augen hinter der silbernen Brille und das blasse, vernarbte Gesicht wirkte unsagbar müde und unschuldig bis in den letzten glatten Zug. Über die Lehne des Sessels hing sein langer Mantel.
Schlafend wie er da saß, wirkte Undertaker unendlich erschöpft.
Ich hatte den ganzen Abend über gedacht, die dunklen Schatten unter seinen Augen wären Make up gewesen, doch nun war ich eines besseren belehrt. Denn der Totengräber hatte sich definitiv abgeschminkt. Trotz allem strahlte dieser Anblick eine gewisse Art von Frieden aus. So ruhig und entspannt wirkte er in seinem Sessel.
Ich schob die Decke zur Seite, schwang die Beine aus dem Bett und legte den Kopf schief, als ich weiter die schlafende Gestalt des Bestatters musterte.
Er saß da. Treu und geduldig wie ein Hund, der Wache hält. Hatte er die ganze Zeit dort gesessen? Hatte er vielleicht sogar Bettwache gehalten?
Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich unendlich sicher in seiner Gegenwart. Immer wenn ich seine Hilfe brauchte war er zur Stelle, als würde er mich nie wirklich aus den strahlend grünen Augen lassen.
Doch... wer war er wirklich?
Er war mehr als der schräge Vogel für den ich ihn immer gehalten hatte. Er war charakterlich mehr als das und aufgrund der neusten Ereignisse, auch auf eine ganz andere Art und Weise, die ich mir nur nicht erklären konnte.
Mein Blick fiel auf einen Kratzer, der sich über seinen kompletten linken Wangenknochen zog. Wo kam der denn her? Ich erinnerte mich genau, dass er vollkommen unverletzt gewesen war, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Leise stand ich auf und legte meine Hand auf seine Wange. Ich strich mit dem Daumen sanft über die kleine Schramme, die so fehl am Platz aus seinem schönen Gesicht leuchtete.
„Dir ist also doch etwas passiert...", seufzte ich schwer und leise, als ich ihm mit dem Daumen gedankenverloren über seine kalte Wange strich: „Ich wollte doch nicht, dass dir etwas passiert..."
Ich ließ die Hand hinunterfallen und den Kopf ein Stück hängen. Er muss sich die Schramme abgeholt haben, als er Amy und mich vor Claude gerettet hatte. Denn aus dem Ballsaal hatte er die Blessur nicht. Ich erinnerte mich des Weiteren genau, dass ich seine Haare gesehen hatte, bevor alles schwarz wurde. Sie waren unverwechselbar. Definitiv ein Markenzeichen. Das hieß auch, dass ich indirekt an der Wunde schuld war. Amy war zwar in der Bredouille gewesen, aber sie war im Gegensatz zu mir nicht ohnmächtig geworden. Wache Mädchen konnten wenigstens weg laufen. Ohnmächtige nicht. Ich wischte Undertaker behutsam ein paar der im Kerzenschein schimmernden Haarsträhnen aus dem Gesicht: „Es tut mir leid... Es tut mir so leid. Ich muss eine echte Plage sein..."
„Wie kommst du denn auf diesen vollkommen unsinnigen Gedanken?", zog sich der eben noch entspannte Mund zu einem Grinsen. Doch seine Stimme kratzte verschlafen.
Ich zuckte erschrocken zusammen. Meine Hand und mein Oberkörper wollten zurück zucken, als der Bestatter die leuchtend grünen Augen aufschlug: „Du bist wach?"
Doch seine Hand schnappte mein Handgelenk, bevor ich meine Hand zurückziehen und mich aufrichten konnte. Er zog daran. Reichlich überrascht kippte ich nach vorne. Ich hörte das Rascheln von Papier, als mich etwas halb drehte und ich auf etwas Weichem zum Sitzen kam.
„Jetzt ja. Tehe", streckte er mir seine Nase in Gesicht, als ich auf seinen Beinen gelandet war und grinste breit.
Ich blinzelte ihm ein paar Mal überrascht entgegen und merkte die Hitze meine Wagen hoch kriechen.
„Ich", senkte ich den Kopf und wusste nicht so ganz wie ich mit der Situation umgehen sollte: „Wollte dich nicht wecken... tut mir leid..."
Er reckte seinen Rücken und die langen Arme ausgiebig. Es knackte mehrere Male ganz ungesund. Ich blinzelte zu ihm hoch. In der Linken hielt er das alte Buch, was in seinem Schoss gelegen hatte. Im seichten Kerzenlicht schimmerten die silbernen Lettern 'Krabat' auf dem Buchrücken auf. Dann fielen sie hinunter und das Buch landete in meinem Schoss, als der Totengräber seine Arme locker um meine Hüfte fallen ließ. Ich merkte zwar wie rot ich war und mein Herz hämmerte wieder förmlich gegen meine Rippen, doch ich... wollte nicht aufstehen. Ich fühlte mich wohl, da wo ich jetzt war. Auf seinem Schoss. In seinem Arm. Warum?
„Ach, wie wo", grinste er mich weiter und noch nicht ganz wach an: „Geht es dir gut?"
Ich nickte eifrig mit meinem hängenden Kopf: „Ja, ja. Mir... ich hab nur ein bisschen Kopfschmerzen... Es tut mir leid..."
„Was denn?", fragte der Totengräber immer noch mit schlafschwerer Stimme.
„Naja... dass ich... mal wieder... einfach... umgefallen bin...", schaute ich kleinlaut weg.
Zwei Finger erschienen unter meinem Kinn und hoben meinen Kopf soweit an, dass ich dem Bestatter ins Gesicht schauen musste.
Seine geschwungenen Lippen und die unterränderten Augen lächelten mir warm entgegen: „Du bist aber schon ein bisschen bekloppt, oder? Dass du 'mal wieder einfach umgefallen' bist? Du hast eine Menge ausgehalten. Du bist der Grund warum Amy nichts passiert ist."
„Ich bin... was?"
„Ich hab dich rufen hören", lächelte der Bestatter mir entgegen, ohne die Finger von meinem Kinn zunehmen: „Ohne dich hätten wir nicht mitbekommen, dass Claude Amy gehascht hat."
„Du hast... du hast mich rufen hören? Aber ihr wart doch im... im Südflügel."
Der Bestatter lachte seicht, aber ein wenig heiser: „Ich könnte am anderen Ende der Welt sein. Ich würde dich immer rufen hören."
Ein komisches warmes Gefühl flackerte in meiner Brust und ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Lippen zu einem Lächeln verzogen. Anbei wischte es alle Gedanken aus meinem Kopf und ließ meine Wangen mal wieder heißer werden.
„Das ist... süß von dir", sagte ich schließlich, als meinem blank geputzten Gehirn einfach nichts Besseres einfiel.
Das Lächeln des Totengräbers wurde kurz ein wenig weiter, dann fiel es ein größeres Stück zusammen: „Außerdem muss ich mich entschuldigen."
„Wofür?"
Er nahm die Finger von meinem Kinn und fuhr mir an der unterschwellig immer noch pochenden Stelle an meinem Kopf durch die Haare. Mein Herz wurde noch schneller als es eh schon war und Schwindel zog in meinen angeschlagenen Kopf.
„Deswegen", sprach er leise und irgendwie traurig: „Trotz allem war ich zu spät und du bist verletzt."
„Hast du sie noch alle?", entfuhr es mir in vollkommenem Unverständnis: „Du rettest mir am laufenden Band das Leben und entschuldigst dich?"
Nichts in mir zweifelte daran, dass Claude mich getötet hätte. Wahrscheinlich hatte Undertaker mal wieder das Schlimmste verhindert.
„Das hätte nicht passieren dürfen", entgegnete er ernst und ohne zu lächeln: „Des Weiteren wurde dir deine Geburtstagsfeier gesprengt. Ich wollte eigentlich dafür sorgen, dass sie besser wird als die anderen."
Dieser Ausdruck schickte ein komisches Surren durch mein Herz und meinen Magen und ich musste schlucken.
„Ach Quatsch! Es geht mir doch gut! Das wird schnell wieder verheilt sein und des Weiteren", machte ich, als ich mich gefangen hatte: „War das nicht meine Geburtstagsfeier! Es war nur zufällig am selben Tag und deine Schuld war das ganz sicher nicht!"
Undertaker lachte, doch war es viel zu leise: „Du kennst Amy und denkst das wirklich?"
„Aber... Alex meinte..."
„Alex ist ein verdammt guter Lügner. Wie die ganze Bande. Sie wussten alle Bescheid. Wir wollten, dass du eine schöne Feier hast, doch leider... kam uns da etwas in die Quere...", seufzte der Bestatter schon fast resigniert und schlug die Augen nieder. Ein kalter Schauer rieselte bei diesem Geräusch und dem dazu gehörigen Gesichtsausdruck durch meinen Rücken. Das sah so falsch aus...
„Trotz allem! War das die beste Geburtstagsfeier meines Lebens! Ich hatte so viel Spaß! Und das zum größten Teil dank dir!", lachte ich und lächelte schief, als der Totengräber mir wieder ins Gesicht schaute: „Ich danke dir, Undertaker!"
Sein Lächeln kehrte wieder zurück und etwas flatterte und hüpfte durch meinen Magen, als dieses Lächeln einen Erfolgsmoment sondergleichen für mich einläutete: 'Yiepi! Njaaaaa! Er lacht wieder!'
Ich stockte aufgrund der Stimme in meinem Kopf. Doch Undertaker unterbrach mein Denken, bevor ich mich weiter hinterfragen konnte.
„Doch nicht dafür", lächelte er breit und legte mir die Hand auf die Wange. Sanft strich sein kalter Daumen über meine viel zu warme Haut. Diese Berührung ließ mich kurz angenehm schaudern.
„Oh doch! Aber...", ich legte den Kopf schief und zeigte auf sein Gesicht: „Was ist mit deiner Wange passiert?"

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