Sky
Ich blinzelte immer noch die Türe an, obwohl Othello sie schon geschlossen hatte. Mein Gehirn brauchte tatsächlich ein paar Sekunden bis ich verstand, dass ein ‚Auf Nimmerwiedersehen' aus dem Munde eines Sensenmannes ein großer Glückwunsch für die nähere Zukunft war und keine Geste pietätloser Antipathie.
Ich legte seufzend den Kopf schief.
Undertaker legte den Kopf in dieselbe Richtung schief: „Glaubst du, dass du laufen kannst?"
Verlegen rieb ich mir über den Nacken. Seitdem gesagt wurde, dass dort dieses komische Mal sei, zwickte und kribbelte die Stelle. Ich konnte allerdings nicht sagen, ob ich laufen könnte. Ich konnte es schlicht und einfach nicht richtig einschätzen.
„Ich", begann ich schließlich: „Weiß nicht so recht."
„Willst du es probieren?", stand der hochgewachsene Totengräber aus der Hocke auf. Ich bemerkte erst jetzt, dass er überhaupt in die Hocke gegangen war um mit mir auf Augenhöhe zu sein.
Mit einem kleinen Nicken antwortete ich auf die Frage des Bestatters und rutschte von dem grünen Plastik. Mein Kopf drehte sich immer noch, aber ich schaffte es halbwegs zu stehen. Bevor ich auch nur den ersten Schritt versucht hatte, hielt Undertaker mir seinen angewinkelten Arm hin.
Mein Blick wanderte an besagtem Arm hinauf, in das vernarbte Gesicht, was trotz des riesigen Schnitts darin nicht auch nur ansatzweise abstoßend wirkte... eher... im Gegenteil...
Kaum war mein Blick in seinem Gesicht angekommen, lachte Undertaker auch schon wieder vor sich hin: „Fu fu fu fu! Na komm. Gemeinsam sind wir stark."
Ich merkte wie mein Gesicht zu brennen begann, doch trotzdem entfuhr mir ein kleines Lachen und ich harkte mich bei dem morbiden Totengräber ein.
„Ein richtiger Gentleman", seufzte Grell angetan und verschränkte die Arme. Bei der Hälfte des Satzes allerdings wurde sein Ton etwas vorwurfsvoll und er schaute zu William. Dieser würdigte Grell allerdings nur eine halbherzig hochgezogene Augenbraue.
Wir setzten uns in Bewegung. Ronald hielt die Türe auf. Grell und William schlüpften hindurch und ich stolperte an Undertakers Arm hinterher. Obwohl ich versuchte so viel wie möglich meines Körpergewichtes selbst zu tragen, war ich doch sehr auf Undertakers Unterstützung angewiesen. Doch er ging durch den Flur, grinsend und federleicht, als würde ich gar nicht so furchtbar wackelig an seinem Arm hängen. Ohne Eile und relativ schweigsam gingen wir durch das klinische Gebäude, bis wir es schließlich verließen. Nun brachen Grell und Ronald die Stille und fingen an sich über Gott und die Welt zu unterhalten. Hin und wieder gab William einen Kommentar dazu ab und Undertaker lachte sie hier und da, mal lauter, mal leiser, an oder aus. So schlenderten wir den vor sich hin plätschernden Fluss entlang Richtung Bibliothek. Die frische Luft stieg durch meine Kopfschmerzen, beruhigte meinen Magen und ließ mich langsam aber sicher wieder selber Herr meines Körpers werden. Es war kein langer Fußmarsch, aber er reichte und kurz bevor wie die Bibliothek erreichten konnte ich meinen Körper auch schon wieder selber tragen. Doch Undertaker entließ mich nicht, obwohl er merken müsste, dass nicht mehr so viel Gewicht an seinem Arm hing. Ich sagte auch nichts, denn irgendwie... war dieses Gefühl schön. Verstohlen schielte ich hoch in das Gesicht des Leichengräbers, der gerade ein weiteres Mal darüber lachte, dass Ronald sich einen Kommentar von William eingefangen hatte. Ich mochte sein Lachen. Egal ob es schrill war oder leise. Es wirkte immer ehrlich. Ich mochte auch sein Grinsen, welches so breit war, dass er einen Hot Dog quer rein schieben könnte. Und sein Lächeln: ‚Awwwww!'
Dieses Gefühl was mich beschlich, als ich den Totengräber beobachtete, war ein warmes Kribbeln in meinem Bauch, was einen großen Teil des Unwohlseins verscheuchte. Mir war immer noch schwindelig und ich hatte Kopfschmerzen, doch nun ging es mir irgendwie viel besser. Auch wenn mich dieses Kribbeln wieder verwirrte. Ich wusste nicht woher es kam oder was es zu bedeuten hatte.
Als das große Gebäude der Bibliothek in Sichtweite kam, ergriff William zum ersten Mal als Erster selbst das Wort: „Knox, Sutcliff. Ihr kommt gleich mit mir hoch."
„Warum?", fragten die beiden aus einem Munde.
„Ich will euch als Leumundszeugen dabei haben. Für den Fall der Fälle."
„Othello hat doch sicher schon den Report weggeschickt", verschränkte Ronald die Hände hinter dem Kopf: „Die wissen schon alle Bescheid."
„Trotzdem Knox", betonte William sein Anliegen sehr deutlich: „Ich möchte sicher gehen, dass es keinen... Redebedarf mit Miss Rosewell mehr gibt."
Grell und Ronald drehten kurz den Kopf zu mir. Dann nickten sie.
So kam es, dass wir die Bibliothek betraten und William von mir den Besucherausweis forderte, um ihn mit in die Akte legen zu können. Dann verließen uns William, Grell und Ronald. William nahm mir noch die Bücher aus der Hand um sie wieder einsortieren zu können. Ich musterte ihn zwar kurz ein wenig skeptisch, überließ sie ihm aber schließlich. William war nicht der Typ, der sich wissentlich und vollkommen unnötig gegen die Regeln stemmte.
Undertaker führte mich zu einer der freien Sitzgruppen und drückte mich sanft an den Schultern auf die weichen Polster.
„Ehehehe! Ich möchte schnell etwas nachschauen", grinste der Bestatter: „Ich bin nicht mehr oft hier. Nihihi. Kann ich dich kurz hier alleine lassen?"
Ich nickte: „Klar. Ich komm schon klar."
Zumindest für Undertaker schien sich die Situation entspannt zu haben. Wollte er vorher auf keinen Fall das ich irgendwie alleine bleibe, ließ er mich nun wissentlich allein. Irgendwie war es beruhigend. Doch was genau ich nun mit mir machen sollte, wusste ich immer noch nicht.
Verflucht.
Ich war verflucht.
Zum ersten Mal konnte ich es in meinen Gedanken in Worte fassen.
Undertaker lachte noch einmal und wandte sich dann zum Gehen: „Ehehe. Vorzüglich. Ich bin nicht lange weg. Versprochen. Warte hier."
„Lass dir ruhig Zeit", sagte ich noch einmal und dann verschwand der Bestatter in den Bücherregalen, wo wir auch die anderen Dreien aus dem Blick verloren hatten.
Das Schwirren in meinem Kopf hatte nun fast komplett nachgelassen und die Kopfschmerzen waren auf ein unterschwelliges Wummern zurückgegangen, was nervig, aber aushaltbar war.
Ich blieb einige Momente sitzen. Es herrschte reger Verkehr in dem großen Raum und die Besucherflut musste unvermeidlich an mir vorbei. Dabei musterten sie mich reichlich kurios, begannen erneut zu tuscheln. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr wie auf dem Silbertablett herumzusitzen. Undertaker wird mich finden. Wahrscheinlich ohne sich groß anstrengen zu müssen. Da meine Beine mir zum größten Teil wieder gehorchten, entschloss ich mich sie zu benutzen. Also wanderte ich so unauffällig wie möglich von der Sitzgruppe weg und schlüpfte durch die Bücherregale hindurch. Leider war ich noch immer etwas wackelig auf den Beinen und wankte. Ab und an tat ich einen ausladeneren Schritt als ich wollte. Zweimal rempelte ich sogar jemanden an. Die Shinigamis drehten sich erst ansatzweise genervt um, verschluckten dann aber ihren Satz auf halbem Wege, nachdem sie mich sahen.
Nach einigen Metern Herumgetapse landete ich in dem kleinen Bereich vor der großen Statue und der Glasvitrine mit 10 Büchern. Während ich die Statue des früheren Lebens des Bestatters so musterte, sausten die Gedanken durch meinen Kopf: Flüche, Segen, Dämonen, Engel, Sensenmänner, Legenden, Fehden.
Ich wusste nicht ob ich nun besser verstand was vor sich ging, oder nur 100 Fragen mehr hatte. Wieder rieb ich mir den kribbelnden Nacken, während meine Augen an den steinernen Zügen klebten.
„Die ist cool, nicht?"
Ich zuckte zusammen.
Ich musste mich dringend daran gewöhnen, dass um mich herum auf einmal Leute auftauchten. Vielleicht sollte ich auch nur langsam damit beginnen intensiver auf meine Umgebung zu achten als früher.
Mein Kopf fuhr herum, die Hand immer noch in meinem Nacken. Neben mir stand ein... Junge?... Mädchen? Es könnte beides sein. Sicher war nur es war relativ jung. Die Gestalt war nicht sonderlich groß, eher ein Stückchen kleiner als ich und ich war mit 1.72 m nun nicht gerade riesig. Sie hatte kurze dunkle Haare, vorne zwei lange Strähnen und einen seitlichen Pony. Eine große, weiße Brille lag über den großen und aus voller Begeisterung auf die Statue strahlenden, gelb-grünen Augen. Der Reaper trug einen formalen, schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. An Stelle einer Weste trug er/sie allerdings einen langen, beigen Cardigan. Dazu schwarze Lackschuhe. Um den Hals baumelte eine Kamera.
Das feine Gesicht dreht sich zu mir. Unwillkürlich, als ich mich immer noch fragte ob ich neben einen Jungen oder einem Mädchen stand, stellte ich fest, dass Sensenmann wohl ein ziemlich typischer Männerberuf sein musste, hatte ich bis jetzt nur sehr wenige Frauen unter den Besuchern gesichtet.
Mit einem großen Lächeln schaute mich der Reaper neugierig an: „Du bist kein Shinigami."
Die Stimme deutete allerdings eher auf einen Jungen hin. Er klang fast noch jünger, als er aussah.
Doch von dem was er sagte hatte ich kein Wort verstanden. Der Junge sprach eine andere Sprache als ich. Dem Klang nach tippte ich auf Deutsch. Es klang zumindest so ähnlich, wie ein paar Gesprächsbrocken, die ich zwischen Frank und Charlie hier und da mal aufgeschnappt hatte.
„Bitte?", fragte ich also, natürlich auf Englisch, nach.
Der Reaper schloss die großen Augen und legte zum Lachen die halb in der beigen Strickjacke verschwundene Hand über den Mund: „Du bist kein Shinigami", sprach er abermals, aber nun in Englisch.
Ich stockte: „Wo... woher?"
„Na", kicherte er und zeigte mir ins Gesicht: „Deine Augen! Ein schönes Himmelblau! Aber dadurch sind sie nur allzu deutlich keine Reaperaugen."
Ja, klar. Das hätte ich mir auch selber denken können: „Nein... ich bin kein Shinigami."
„Was dann?", fiel sein Kopf zur Seite.
„Ich... Ich bin ein Mensch."
„Ehrlich?", wurde die Neugier in dem jungen Gesicht größer: „Was machst du denn dann hier?"
Jetzt... hatte ich ein Problem und keine Ahnung wie ich es lösen sollte.
Meine Augen klimperten dem Jungen entgegen und ich blieb stumm. Nach ein paar Sekunden trat er zwei Schritte näher und steckte mir die Nase ins Gesicht: „Sag nicht es ist Top Secret!"
Er versuchte sicherlich zu flüstern, doch war er dafür viel zu aufgeregt.
Mein Hirn ratterte und ich nickte. Ob meine Angelegenheit wirklich ‚Top Secret' war, ich hatte keine Ahnung. Doch Fakt war, dass ich wohl keine bessere Option bekommen würde, um aus der Sache so glimpflich herauszukommen.
„Wow", sagte der Junge fasziniert: „Echt aufregend! Und warum stehst du hier? Du weißt doch gar nicht wer das ist."
Ich entschloss mich, dass es besser war den Reaper in seinem Glauben zu lassen ich hätte keine Ahnung. Ich war mir noch nicht einmal sicher in wie weit ich damit tatsächlich log. Den ‚Shinigami-Undertaker', den kannte ich ja wirklich nicht: „Nein. Weiß ich nicht."
„Das", lachte er immer noch vollkommen begeistert und machte eine ausschweifende Armgeste: „Ist der größte Sensenmann, der je gelebt hat. Der Legendäre Todesgott."
„Öhm, also", versuchte ich den Redeschwall des jungen Reaper zu stoppen. Doch der Junge beachtete mich eigentlich gar nicht und plauderte fröhlich weiter: „Legendär auf zweierlei Arten: Einmal, weil seine Fähigkeiten als Schnitter immer noch unerreicht sind und einmal, weil es über ihn mehr Legenden als Sterne am Himmel gibt!"
Meine Ohren wurden größer: „Aha?"
Der Reaper schaute mich wieder an: „Aber das interessiert dich sicher nicht. Du kennst dich mit dem allem hier ja gar nicht aus."
„Doch, mich interessiert das und ein bisschen weiß ich schon."
„Echt?", drehte sich der mädchenhafte Junge wieder ganz zu mir und musterte mich kurios durch seine weiße Brille.
Ich nickte: „Shinigamis überführen die Seelen der Sterbenden. Dafür lesen sie die Cinematic Records eines Menschen aus. Sie sind extrem kurzsichtig, haben eine für sie charakteristische Augenfarbe und sind im ‚Grim Reaper Dispatch' organisiert. Sie sind die Seelen von verstorbenen Selbstmördern, verflucht den Job so lange zu machen bis ihnen irgendwann... vergeben wird."
Der Sensenmann blinzelte: „Okaaaay. Du weißt ja wirklich Bescheid."
Ich lachte kurz: „Nun ja... Ein bisschen halt."
Als ich die Augen wieder öffnete hing das Gesicht mit der weißen Brille fast auf meiner Schulter und musterte meins: „Man. Ich würde so gern wissen was du hier tust. Aber dafür habe ich zu kleine Zahlen auf meinem Gehaltscheck, oder?"
„Ähm", reckte ich meinen Kopf ein Stück nach hinten: „So gut kenne ich mich mit der Organisation hier nun auch nicht aus. Damit eigentlich gar nicht... Aber ich bin neugierig auf, nun ja", ich drehte meinen Kopf in Richtung Statue und Bücher: „Das hier... Die Reaper, die ich getroffen habe, waren nicht gerade die Typen für Götzenverehrung. Deswegen frage ich mich was man tun muss, damit einem die Grim Reaper eine Statue bauen."
Der Reaper lachte auf und hielt sich kurz den Bauch: „Na! Du musst atemberaubend sein. Total hervorragend und herausstechend! Einfach so wie er."
Ich schielte einmal zu der Statue und dann zu dem immer noch lachenden Sensenmann: „Was hat er denn so tolles gemacht?"
„Vieles!", rief er.
Ich neigte meinen Kopf auffordern ein Stück zu dem jungen Schnitter mit den fröhlichen Augen: „Zum Beispiel?"
„Er soll Seelen geholt haben, wie Marie Antoinette und Robin Hood!", strahlte er weiter. Ich erinnerte mich, dass Ronald mir dasselbe erzählt hatte.
„Die waren sicher furchtbar zickig auf ihren letzten Metern!", fuhr der Sensenmann fort: „Herrscher, Adel und Leute, die Großes bewirkt haben, wehren sich sehr oft sehr vehement und stürzen einige Reaper echt ins Unglück. Arme Tröpfe. Aber ihn! Ihn nicht! Man erzählt sich, dass weinende Kinder ihm freiwillig ihre Seelen überließen. Seine Augen sind legendär!"
‚Seine Augen... sind legendär?', mein Kopf baute abermals kleine Unfälle, als mir unwillkürlich diese zwei unglaublichen, kristallklaren Augen in den Sinn sprangen. Ich glaubte irgendwie sofort, dass diese Augen etwas ganz besonderes waren: „Warum seine Augen?"
„Es heißt, dass sie auf Menschen hypnotisierend gewirkt haben", grinste der junge Reaper schon fast verschmitzt.
Ich schluckte trocken: „Wir... wirklich?"
Dass Undertakers Augen ungewöhnlich waren bejahte ich sofort, aber hypnotisierend? Das klang doch eher nach Fantasterei.
„Keine Ahnung", kam sein Schulterzucken relativ unerwartet, hatte er doch vorher mit so viel Feuereifer erzählt: „Viel wurde sicher auch dazu gedichtet. Einige Ereignisse sind ja mittlerweile über 2000 Jahre her."
„Tatsächlich? Welche?"
„Nun", der Schnitter kratzte sich nachdenklich an der Nase und ich wandte meinen schief gelegten Kopf zu ihm: „Die Jagd auf Kain und Abel, die Schlacht bei Jerusalem, das Einsammeln der Seelen der Propheten und etlicher altertümlicher Könige. Seine To Do Liste war das Who is who des Altertums und vielen Epochen danach und..."
„Schlacht bei Jerusalem?", ich legte den Kopf noch schiefer und der Junge blinzelte ein bisschen überrascht von meiner Unterbrechung: „Das klingt ja wie Krieg!"
„Das war Krieg", grinste er irgendwie zu fröhlich: „Da war mal richtig was los!"
„Der Tod zieht in den Krieg?", blinzelte ich weiter.
Ich hörte ein tiefes Wackeln hinter mir. Doch als ich mich umdrehte war nichts Außergewöhnliches zu sehen. Ich tippte, dass Jemand gegen eines der Regale gestoßen war.
Auch der junge Reaper hatte sich umgewandt und schaute dann kopfschüttelnd wieder zu mir, als auch er nichts Besonderes zu entdecken schien: „Da schon. Naja, er ist mit den andern 9 Alten und ein paar höheren Reapern nach Jerusalem gestiefelt. Die Babylonier haben Dämonen beschworen um Israel und Ägypten einzunehmen, ein paar Engel hatten allerdings einen ziemlichen Narren an Jerusalem gefressen. Wollten es ‚läutern' und ‚erstrahlen' lassen", er wedelte einmal kurz mit seinen Händen auf Kopfhöhe herum, als wolle er heiliges Licht parodieren: „Sie konnten die Dämonen nur nicht richtig aufhalten, also haben sie versucht den Tod auszusperren, damit nur die starben, die sie tot sehen wollten. Irgendwie haben sie es geschafft ein paar Menschen abzuschirmen. Die Engel haben natürlich auch die Sensenmänner attackiert und Dämonen machen ja eh vor nix halt. Auf jeden Fall fanden die Alten ausgesperrt und attackiert zu werden nicht allzu lustig."
Irgendwo kicherte jemand leise. Wieder drehte ich mich um: ‚Undertaker?'
Niemand war zu sehen und die Bibliothek lag ruhig und friedlich hinter mir. Wenn ich Undertaker kichern hörte, stand er eigentlich immer genau hinter mir um mich damit zu erschrecken. Doch gerade stand niemand hinter mir. Wahrscheinlich hörte ich mittlerweile Gespenster. Es wurde Zeit mir Sorgen zu machen. Denn der Schnitter neben mir schien nichts bemerkt zu haben. Und mittlerweile wusste ich ja, dass Reaper aufgrund ihrer Kurzsichtigkeit ziemlich gute Ohren hatten. Er redete allerdings einfach fröhlich weiter: „Irgendwann war es ein großer, prügelnder Ball aus so ziemlich allem, was es so gibt."
„Und wer hat gewonnen?", fragte ich zögerlich, als ich den Kopf wieder zu der weißen Brille gedreht hatte. Es erklang ein leises ‚Wumps'. Ich drehte mich erneut zu den Regalen. Eine kleine Staubwolke schwebte darüber hinweg.
Doch der Sensenmann schüttelte lachend den dunkelbraunen Schopf und ich wandte mich wieder zu ihm: „Der Tod gewinnt immer. Uns entkommt einfach keiner. Schon gar nicht, wenn sich die Alten darum gekümmert haben. Die waren so cool!", kurz kicherte der junge Reaper in beide Hände, doch dann seufzte er. Ein weiteres leises ‚Wumps' ließ zwar meine Augen zur Seite zucken, doch ich richtete sie eigentlich sofort wieder auf den Reaper. Was die Shinigami da auch immer taten, interessierte mich nicht halb so sehr wie das, was der Junge mir nach dem Seufzen wohl zu erzählen hatte. Wahrscheinlich sortieren sie eh nur irgendetwas um oder machten Inventur, oder so.
„Naja", schüttelte er den Kopf: „Das klingt alles so glorreich. Viele Reaper haben es nicht geschafft. Einer von den Alten ist dabei wohl auch drauf gegangen. Naja, schwere Zeiten. Doch wenigstens war es damals nicht so furchtbar langweilig."
Der Spruch hätte auch von einem gewissen Jemand kommen können. Ich glaube der jungen Sensenmann und der Bestatter würden sich verstehen.
„Sascha?! Sascha, wo steckst du?!", hallte eine Männerstimme durch die Bücherregale und sprach wieder eine andere Sprache. Ohrenscheinlich war es wieder deutsch: „Hast du Sascha gesehen?"
„Psssst!", wurde ihr geantwortet.
„Hast du?"
„Nein", antwortete das Pssst nach einem Räuspern dunkel. Irgendwie klang die Stimme komisch.
„Sascha!"
„Pssst!"
„Hilf mir oder halt die Klappe!"
Noch ein Räuspern: „Das hier ist eine Bibliothek!"
Der Junge kicherte in seine Hand.
„Wer ist das?", fragte ich und schaute zu den Regalen.
„Mein Partner", lachte er: „Und der Verfechter des Redeverbots ist einer der Bibliothekare."
„Sascha! Unsere Schicht beginnt! Wir müssen los!"
„Ich komme!", rief der Junge auf Deutsch. Er drehte sich nochmal kurz zu mir und schloss die Augen über dem breiten Strahlen, als er überschwänglich winkte und noch einmal auf Englisch umstieg: „Ich muss los oder meine Seele ist die erste auf der Liste. Mach's gut, Mädchen mit den Himmelaugen! Ich hoffe wir sehen uns so schnell nicht wieder!"
Der Reaper rauschte an mir vorbei und war wieder auf und davon. Ich schaute ihm ein bisschen hinterher. Dann schüttelte ich mit einen amüsierten Schnauben den Kopf. Schon wieder ein ‚Auf Nimmerwiedersehen'. Ich schaute noch einmal zu der Statue: „Also auch noch ein Kriegsheld, hm?"
„Nehehehehe! Mach dich nicht lächerlich."
„WA!", ich sprang mit schlackernden Armen zur Seite. Jetzt hatte mich der Bestatter erschreckt!
Undertaker stand mit verschränkten Armen auf einmal genau neben mir. Sein Kopf kippte grinsender Weise zur Seite, sodass er mich anschauen konnte: „Tehehehe. Du bist so endlos neugierig."
Ich atmete schwer. Dabei stellte ich fest wie sehr ich anfing es zu HASSEN wenn auf einmal, ohne Vorwarnung und vollkommen aus dem nichts, Leute neben mir auftauchten! Die Shinigami schienen einen Faible dafür zu haben: „Verdammt noch mal! Erschreck' mich nicht immer so!"
Undertaker lachte darauf hin nur: „Aber mir würde ohne dein possierliches Aufschreien etwas fehlen, liebe Skyler. Ehehehehehe!"
Ich ließ die Schultern hängen und zog eine Schnute: „Echt jetzt? Ich sterbe jedes Mal einen kleinen Tod und du findest das possierlich?"
Der Bestatter lachte lauter: „Pahahahahahahaha! Glaube mir! Sterbende Menschen sehen anders aus!"
Sein Kopf kippte ein Stück nach vorne. Dabei hüpfte der Pony ein Stück aus seinem Gesicht und das Lachen wurde zu einem breiten Lächeln, welches einen sehr sehr düsteren Touch hatte. Sein schmales, fluoreszierend grünes Auge blitzte in kaltem Amüsement: „Glaube mir, damit kenne ich mich aus. Ehehehe."
„Keine weiteren Fragen, euer Ehren", fiepste ich, machte große Augen und hob die Hände, als ich begriff was dieses düstere Lächeln eigentlich aussagte. Dass er sich damit auskannte, weil er schon oft genug dafür gesorgt hatte, dass jemand stirbt. Und das nicht nur durch seine Tätigkeit als Sensenmann, sollte man den vorherigen Gesprächen Glauben schenken.
Undertaker warf den Kopf wieder in den Nacken, als er erneut anfing laut zu lachen: „Ahahahahahahaha! Schaue nicht so, als ob ich dich fressen wolle!"
„Bist du sicher, dass du das nicht willst?", sprudelte mein erster Gedanke vollkommen unreflektiert aus meinem Mund. Eine Röte getragen von purer Peinlichkeit flammte in meinem Gesicht auf, als mir wirklich bewusst wurde was ich gerade gesagt hatte.
Undertaker starb der Weilen einen langsamen, aber lachenden Tod. Ich versteckte mein Gesicht hinter meinen Händen, während ich mir wünschte endlich im Erdboden zu versinken.
„Wahahahahahahahahaha! Wie herrlich! Fuhuhuhuhuhu! Aber nein. Hehehehe! Heute habe ich gut gefrühstückt. Es wird nicht nötig sein."
Ich riss die Hände vom Gesicht, als ich erschrocken feststellte wie nah seine Stimme war. Und tatsächlich hatte er sich mit in die Taille gestemmten Armen zu mir herunter gebeugt. Sein grünes Auge funkelte mir nun aus nur noch ein paar Zentimeter Entfernung entgegen.
„Ähm", wischte das wohl intensivste Grün was ich je gesehen hatte mir erneut die Gedanken aus dem Kopf und trieb mir die Röte noch stärker auf die Wangen: „Du hast ein paar Löffel Marmite gegessen... Wie auch immer du das geschafft hast..."
„Ehehe. Das war mehr als du gegessen hast. Für den Augenblick reicht es. Aber vielleicht sollten wir zurück, damit wir das Abendessen nicht verpassen. Was sagst du? Tehe", er schaute kurz auf seine alte Taschenuhr. Er muss sie sehr gut gepflegt und gehegt haben, denn sie tickte stramm und fleißig vor sich her: „Wir haben zwar noch etwas Zeit, hehehe, aber Sebastian schätzt Unpünktlichkeit nicht. Außerdem ist hier nun wirklich alles getan."
„Ähm... Sind wir wirklich schon so lange hier?"
„Ihihihi. Ja. Schon eine ganze Weile."
Ich seufzte: „Ich tippe Grell, Ronald und William bleiben hier, oder?"
„Warum sollten wir? Wir haben doch noch frei!"
„AAAAAAAHHHHHH!", kreischte ich aufgrund der Stimme hinter meinem Rücken auf. Mein Herz setzte sehr schmerzhaft aus und ich sprang wie von der Tarantel gestochen in die Luft. Für einen Moment wackelte und ruckelte die ganze Welt. Mein Herz klopfte wild in meiner Brust und es tat furchtbar weh. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. Ich keuchte als wäre ich gerade die Tour de France ohne Pause im höchsten Gang durch geradelt.
Ronald stand dort, wo eben noch hinter meinem Rücken gewesen war und lachte sich ins Fäustchen. Hinter ihm Grell und William.
„Du bist furchtbar gemein", stemmte Grell in seinem unglaublich femininen Habitus einen Handrücken in die Hüfte und streckte selbige zur Seite heraus.
Ronald kicherte weiter in seinen schwarzen Handschuh: „Ich weiß. Hihi. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen."
„DU!", schrie ich und begann mit den Fußen zu strampeln und das, was auch immer ich umarmte, fester an mich zu drücken: „Bist doch ein kleines, verdammtes Arschloch! Hast du sie nicht mehr alle! Ich HASSE es! Ständig taucht irgendwer hinter mir oder neben mir auf und erschreckt mich zu Tode! SCHÖN, wenn IHR daran so viel SPAß habt, aber ICH habe keine LUST mehr darauf, KLAR?! Ihr seid doch alle nicht mehr ganz koscher! Es reicht ja nicht, dass Undertaker immer dafür sorgen muss, dass ich 'nen halben Herzinfarkt bekomme, dann musst du Aushilfspausenclown nicht auch noch mitmachen! Und du willst ein Gentleman sein?!"
„Naja", legte Ronald den Kopf schief und ich schaute ihn mit verärgert aufgeblähten Wangen an, als er die Arme verschränkte und weiter grinste: „So schlimm kann Undertaker ja nun auf nicht sein."
Ich zog skeptisch Augen und Brauen zusammen, als ich die Andeutung nicht verstand: „Warum?"
Grell kicherte in die freie Hand hinein. William zog mit einem ungläubig, verständnislosen Blick seine linke Braue in die Höhe.
Ronald breitete die Hände aus, als er lachend den Kopf schüttelte: „Ehrlich jetzt? Das fragst du wirklich?"
Aus Grells Kichern wurde ein Lachen. William stützte einen Ellbogen auf den anderen Arm und sein Kinn in die Hand, als seine zweite Braue der ersten folgte.
„Was... habt ihr?", fragte ich irritiert.
„Pahahahahaha! Fuhuhuhuhuhuhuhuhuhu! Ich hab da eine Theorie", lachte eine sehr wohlbekannte Stimme direkt neben meinem Ohr. Mein Kopf flog herum und das Gesicht des Totengräbers grinste mir aus MEINEN EIGENEN Armen entgegen! Erst jetzt realisierte ich, dass ich gar nicht stand. Natürlich, ich hatte ja auch mit den Füßen strampeln können. Ich fühlte Druck in meiner Kniekehle und in meinem Rücken. Ich muss in meinem blanken Schreck dem Bestatter... vollkommen unbewusst... und ungewollt... in die Arme gesprungen sein. Ich merkte wie der Pegel meiner Schamesröte in Rekordzeit anstieg und ich mit weit aufgerissenen Augen in eine Art Schockstarre verfiel.
„Ehehehe! Willst du sie hören?", grinste der Bestatter weiter.
Ich schüttelte nur den Kopf.
„Zeit nach Hause zu gehen", lachte der Bestatter weiter und drehte sich um.
„Du... Du kannst mich ruhig runter lassen...", murmelte ich, als der Leichengräber sich in Bewegung setzen wollte.
„Wie weit würdest du kommen? Hehe."
„Haaaaaaa! Hinter dem verrückten Totengräber versteckt sich ja wirklich ein kleiner Gentleman", hörte ich Grells Stimme hinter Undertakers Rücken, was unsere Konversation kurz unterbrach.
„Er schlägt sich ganz gut", konterte Ronald halb lachend.
„Ach, pluster dich nicht so auf", schnauzte Grell.
„Ihr könntet einfach Beide ruhig sein", grätschte William in seiner gewohnt trockenen Art dazwischen.
Undertaker lachte leise, aber gewohnt schrill.
„Hm?", machte ich reichlich ermüdet und von meiner Erschöpfung geplagt.
„Sind sie nicht süß? Ihihihihihihi!", giggelte der Bestatter und grinste von einem Ohr bis zum Anderen.
Ich lachte leise mit: „Schon... Irgendwie. Aber du kannst mich jetzt wirklich runter lassen... Es war nicht meine Absicht dir... ja... ähm..."
„Mit reichlich Schwung um den Hals zu fallen? Hehe", grinste der Totengräber.
„Ähm ja... Ich glaube... das beschreibt es ganz gut... Also... würdest du bitte?"
„Nihihi! Wie du wünschst", Undertaker stellte mich sacht auf meine Füße und legte den Kopf schief: „Kannst du wirklich laufen?"
Ich nickte leicht.
William hatte uns überholt und die Hand auf ein Nichts gelegt. Die Luft riss auf und ich sah die Eingangshalle der Villa Phantomhive durch das Loch.
Nacheinander schlüpften wir durch das Loch.
Ronald streckte sich: „So viel Rennerei... und das an meinem freien Tag."
Ich ging an Ronald vorbei: „Willst du dich wirklich beschweren?"
Ronald machte den Mund auf. Grell stupste in daraufhin mit dem Ellbogen an.
„Hey!", Ronald stupste zurück, dann wieder Grell, wieder Ronald und so weiter. Die Beiden verfielen schnell in eine kleine Keilerei.
Ich blieb noch einmal stehen und beschaute das Schauspiel mit einer hoch und einer runter gezogenen Augenbraue. Undertakers Giggeln sickerte durch den großen Saal. Dann erschien William hinter den Beiden und brachte sie mit einem synchronen Klaps auf den Hinterkopf zum Schweigen.
Ich schüttelte kurz den Kopf und ließ die Grim Reaper hinter mir, die mittlerweile begonnen hatten darüber zu diskutieren ob es denn wirklich nötig gewesen war, dass William sie so harsch stoppte.
Wo genau ich hin wollte wusste ich gar nicht. Ich wollte nur irgendwie weg. Ich hatte das Gefühl alles was ich erfahren hatte, über Undertaker, die Shinigamis, über mich selbst noch die Erkenntnisse von heute früh, das alles steckte in meinem Kopf und es ging nicht vor und nicht zurück. Kopfschmerzen surrten wieder durch meine vollgestopften Gedanken, die zu keinem richtigen Denkprozess fähig schienen. Meine weichen Knie trugen mich zwar, doch hatte ich das Gefühl mein Körper wäre ein Bleiklumpen, der von zwei dünnen Strichhölzern getragen wurde. Mein flauer Magen gluckerte wieder. Ich schaute auf die Uhr auf meinem Handy: 15:14 Uhr.
Leise Schritte neben mir.
Meine Augen wanderten zu meiner rechten. Undertaker hatte mich mit ruhigen, aber zügigen Schritten eingeholt. Ich steckte mein Handy wieder in die Hosentasche. Sein Grinsen lachte mir entgegen, aber sein Auge musterte mich besorgt: „Hehe. Wohin des Weges?"
„Ich weiß nicht", seufzte ich.
„Tihihihihi! Welch fantastisch ausgeklügelter Plan", lachte der Bestatter ironisch. Dann wurde er ernster: „Du gefällst mir nicht."
Ich steckte die Hände in die Hosentaschen: „Wundert dich das?"
„Nein", gab der Bestatter zurück: „Das waren ja ein paar ziemlich ereignisreiche Stunden für dich."
Ich schnaubte: „Ereignisreich... Ich bin ein Freak, verdammt..."
„Hehehe. Ach Sky", klang die Stimme des Bestatters schon fast wie ein Seufzen: „Ich habe dir doch gesagt, dass..."
Ich hob die Hand und gebar dem Bestatter damit zu schweigen. Er blinzelte ein wenig verwundert.
„Bitte", sagte ich: „Ich... möchte gerade nichts hören..."
„Was möchtest du dann?"
„Ich weiß es nicht..."
„Sky", Undertaker stoppte meinen Gang indem er mich bei den Schultern nahm. Sein grünes Auge ruhte auf meinem Gesicht: „Du bist nicht allein."
Ich schaute zu Boden und zog meine Augenbrauen zusammen: „... Wirklich?"
Eine Hand an meiner Wange hob meinen Kopf wieder an. Der Bestatter lächelte sanft: „Wirklich."
Ich schloss mit einem traurigen Lächeln die Augen: „Danke... Aber ich glaube... Gerade möchte ich alleine sein..."
„Welt sortieren, hm?"
Ich nickte und die Hand verschwand: „Du solltest das Abendessen aber nicht verschmähen."
Ich neigte den Kopf: „Gerade... kann ich nichts essen."
„Sky", sagte Undertaker bedeutungsschwer und ich wusste, dass ihm widerstrebte was ich sagte.
Doch ich schüttelte den Kopf: „Mach dir keine Sorgen. Ich mach das schon... irgendwie."
„Und wie?"
„Erst einmal... muss ich meine Welt sortieren. Soweit es eben geht."
„Wenn du etwas brauchst, rufe nach mir. Ich werde dich hören, versprochen."
Ich seufzte erneut: „Mach dir nicht so viele Umstände wegen mir."
„Wenn es nach mir ginge", verschränkte der Bestatter die Arme: „Würdest du jetzt nicht alleine weiter ziehen. Doch wenn du dich so entscheidest. Bleibe bitte in der Nähe. Dann muss ich mir ein paar Sorgen weniger um dich machen."
Ich blinzelte dem Bestatter in die mehr als nur smaragdgrünen Augen: „Du... machst dir wirklich Sorgen um mich?"
So ganz konnte ich das noch nicht glauben. Dass sich jemand wie Undertaker Sorgen um mich machte. Ein Jemand, der auf mehr Art und Weisen besonders war, als ich immer dachte. Ich hatte darüber hinaus das Gefühl ich hatte noch nicht alle Besonderheiten an dem skurrilen Bestatter gesehen.
„Natürlich", lachte er. Er hob die Hand und die Rückseiten seiner kalten, langen Finger streiften kurz sanft meine rechte Wange. Ein Knistern ging dort durch die Haut und surrte durch meine Nerven. Eine Gänsehaut folgte dem Knistern und rieselte meinen rechte Arm herunter.
„Wie könnte ich nicht?", fragte der Totengräber leise und lächelte mich weiter milde an.
Ich seufzte erneut, getragen von diesem innerlichen, doch unglaublich angenehmen, Schaudern: „I-Ich... bin ok. Gib mir... nur ein bisschen Zeit, ja?"
Die Hand, die eben noch meine Wange gestreift hatte, wanderte vor den giggelnden Mund des Leichengräbers: „Ihihihi. Wie gesagt: Wenn du das wünschst kann ich dich nicht aufhalten."
Ich wusste, er konnte. Natürlich konnte er. Aber mein Herz ging auf, als er meine Entscheidungen und meine Gefühlslage respektierte.
Irgendwie dann doch mit einem gewissen inneren Widerstand wandte ich mich ab und durchquerte die Eingangshalle. Ich schlüpfte durch eine Türe in den Garten und die kalte Novemberluft schlug mir entgegen. Hier, in der Menschenwelt, war es kälter als im Reaper Realm. Um einiges sogar. Doch ich hatte nicht die Muse umzudrehen und mir eine Jacke zu besorgen. Also nahm ich nur die vorderen Säume meines Cardigans und schob sie übereinander. Auch neigte sich die Sonne gen Horizont und der Himmel driftete langsam in eine satte Abendröte. Mit verschränkten Armen ging ich zügig über das noch grüne Gras, den Bach entlang. Die kalte Novemberluft ließ mich frösteln und wehte durch meinen umgestürzten Kartenhaufen von Gedanken.
Irgendwann... saß ich am Bach. An derselben Stelle, wo ich gestern noch mit Undertaker gesessen und den kleinen Schiffen zugeschaut hatte.
Mein Kopf ratterte schmerzvoll, ohne dass ich wirklich dachte und irgendwann fiel ich auf den Rücken und blieb alle 4re von mir gestreckt liegen.
Ich schaute in den blauen Novemberhimmel, in den sich ein rot-orangener Schein mischte und der kühle Wind einige Schäfchenwolken vorantrieb: „Hast du einen guten Rat für mich Oma? Irgendeinen?"
Ich schloss meine schweren Augen. Natürlich wusste ich, dass meine verstorbene Großmutter mir nicht mehr antwortete. Es war nur umso tragischer, da sie immer einen guten Rat gehabt hatte. Sie starb als ich 4 war, doch ich wusste noch ganz genau wie sie aussah, wie sie gewesen war und dass sie vielleicht nicht immer eine Antwort, aber immer einen Ansatz zur Lösung parat gehabt hatte. Doch sie war fort und ihre Ratschläge und Ansätze mit ihr. Erinnerungen tanzten durch meinen Kopf. Meine Oma hatte immer ein Lied mit mir gesungen. Ich liebte dieses Lied. Ich hatte es nie vergessen. Die Stimme meiner Großmutter schwirrte durch meinen Kopf. Singend. Sie sang so schön. Ein Lächeln schlich auf mein Gesicht, während ich wieder auf die Wolken schaute die langsam vorbeizogen. Obwohl es so schöne Erinnerungen waren, taten sie so furchtbar weh: ‚♪ Old Roger is dead and he lies in his grave, lies in his grave, lies in his grave. Old Roger is dead and he lies in his grave, ay ee aye over...♫'
Ich hatte als kleines Kind immer darüber gelacht und versucht mitzusingen. Doch ich hatte nie so schön geklungen wie sie. Das hatte mich schon als junges Kind frustriert. Meine Oma hatte dann gelacht: ‚Immer mit der Ruhe, meine Kleine. Irgendwann schaffst du es.'
Dann hatten wir immer gemeinsam weiter gesungen, egal wie schief es war: ‚♪ They planted an apple tree over his head, over his head, over his head. They planted an apple tree over his head, ay ee aye over...♫'
Ich atmete einmal tief durch: „...♪ The apple got ripe and began to fall, began to fall, began to fall. The apples got ripe and began to fall. Ay ee aye over...♫"
Meine Stimme zitterte als ich leise gesungen hatte. Denn mir waren schon wieder die Tränen in die Augen gestiegen. Nicht zwingend, weil ich mit mir selbst so unsagbar im unreinen war, sondern eher, weil ich mir einmal mehr gewahr wurde wie furchtbar ich meine Großmutter vermisste. Ich drehte mich auf die Seite, fasste an mein Medaillon und schaute auf die vielen grüne Grasstängel.
„Jetzt kann ich es Oma...", flüsterte ich ins Gras: „Doch was tue ich nun?"
Warum ich mich jetzt an all das erinnerte, ich wusste es nicht. Ich hatte doch eigentlich viel anderes über das ich nachdenken musste. Flüche wurden vererbt, hatte Undertaker erklärt: „Von wem habe ich das...?"
Von ihr vielleicht? Doch meine Großmutter war eine so wunderbare Frau gewesen. War das ein Ausschlusskriterium? Ein guter Mensch zu sein? Wie mein Vater so verkommen konnte, war mir immer ein Rätsel gewesen. Ja, diese Frau war die Mutter meines Vaters gewesen. Die wunderbarste Frau die ich kannte, erzog den Menschen der mein Leben 3 Jahre zu der Hölle auf Erden gemacht hatte. Mit ihrem Tod hatte sich alles verändert. Mein Vater hatte sich verändert. Zumindest hatte meine Mutter immer gesagt, er sei eigentlich ein ganz wunderbarer Mensch. Irgendwann mal gewesen, vielleicht. Für mich war er ein Monster. Solche Leute waren Monster, nicht Wesen wie der giggelnde Totengräber. Ich hatte meinen Vater, als ich ganz klein war, nicht oft gesehen, da er im Ausland im Einsatz gewesen war. Jahrelang. Ich wusste also kaum was für ein Mensch er vorher gewesen war. Ich konnte mich einfach nicht erinnern. Doch nach Omas Tod war er endgültig nach Hause zurückgekommen, weil er unehrenhaft aus der Britsh Army entlassen wurde. Von da an war mein Leben, mein Zuhause ein feindseliger Ort gewesen. Ein grausamer Ort, der mir Angst machte. Und immer noch macht. Ein grausamer Ort wo es niemanden mehr gab, der sich um mich scherte. Denn meine Großmutter, sie war ja tot.
Eine Träne fiel von meiner Wange.
Obwohl ich den Worten des Bestatters wirklich glaubte, fühlte ich mich furchtbar alleine. Denn im Endeffekt musste nur ich mit mir selber leben und ich wusste gerade nicht wie das gehen sollte. Eigentlich hatte ich das noch nie wirklich gewusst. Ich dachte immer es kommt Zeit und damit auch Rat. Das ich irgendwann erwachsen war und es dann schon funktionierte. Irgendwie. Doch nun? Nun war ich erwachen. Doch... wer war ich überhaupt? Was war ich? Trotz aller so aufmunternden Worte hatte ich Angst gefährlich zu werden. Was war, wenn ich ausversehen andere Schüler verletzte? Oder sogar Amy? Was sollte ich denn dann tun? Was sollte ich jetzt noch von mir halten? Entkräftet schloss ich meine Augen, doch auch so konnte ich die Tränen nicht halten, die unentwegt weiter in das grüne Gras tropften. Ich wusste nicht wie lange ich dort gelegen hatte und meine Gedanken wälzte. So unfassbar ergebnislos. Ich dachte über alles nach. Gleichzeitig. Unsortiert. Total wirr. In meinem Kopf regierte das Chaos. Die Gedanken über das was ich heute erfahren hatte wurden ständig von Gedanken an meine Familie unterbrochen. Ich hatte das Gefühl innerlich daran auseinander zu fallen. Ich war mir ganz sicher, dass ich wirklich auf dem besten Weg war endgültig verrückt zu werden und an den Schmerzen, an der Angst und an diesem Gefühl der alles verzehrenden Einsamkeit in mir zu ersticken. Und ich konnte nichts dagegen tun. Ich lag einfach so im Gras, hörte viel zu weit entfernt den Bach vorbei rauschen und war vollkommen ohnmächtig gegenüber allem was in meinem Kopf vor sich ging. Gegenüber den Tränen, die den Rasen gossen. Meine Hände waren von der Novemberkälte schon ganz taub, aber wirklich erreichen tat mich das frieren nicht. Denn mein Körper fühlte sich an, als sei er eigentlich gar nicht da. Ich war eine Gefangene meines eigenen Kopfes und mir wurde gar nicht klar, dass ich im Gras liegend den Bezug zu Realität oder zu meiner Umgebung eigentlich schon gänzlich verloren hatte. So auch den Bezug zu mir selbst. Hatte ich immer das Gefühl gehabt zu normal zu sein, fühlte ich mich nun zu abnormal. Von einem Extrem ins Nächste, was nicht wirklich ein besseres Gefühl war. Perfekt? Ich war nicht perfekt. Zum ersten Mal glaubte ich, dass der Bestatter mich tatsächlich belogen hatte. Wahrscheinlich, damit es mir besser ging, doch machte auch dies das Gefühl nicht besser. Wie stand es denn um mich, wenn ein so Grund auf ehrliches Wesen das Gefühl hatte es müsse mich belügen, damit ich auch nur ansatzweise mit der Situation zurechtkam? Ab gesehen der Tatsache, dass ich es nicht tat. Ich kam mit der Situation nicht zurecht. Ich hatte keine Ahnung wie. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, die sich wie eine anfühlte, aber irgendwie auch nicht, atmete ich das erste Mal aktiv daran denkend durch. Dabei rollte ich mich im Gras zusammen und versteckte mein Gesicht hinter meinen Armen: „♪ ...And then an old woman came picking them up, picking them up, picking them up. And then an old woman came picking them up, ay ee aye over...♫"
Etwas landete auf mir: „♪Old Roger got up and gave her a whack, gave her a whack, gave her a whack. Old Roger got up and gave her a whack, ay ee aye over.♫"
Ich hatte die Stimme sofort erkannt. Ich hörte sie jeden Tag. Diese Erkenntnis holte mich ein weiteres Stück in die Realität um mich herum zurück.
„...Was machst du hier, Amy?", fragte ich ohne mein Gesicht aus den Armen zu nehmen.
Amy setzte sich ungefragt neben mich ins Gras: „Dasselbe könnte ich dich fragen."
„Selbstfindungsphase...", blieb ich zusammengerollt liegen.
„Erfolgreich?"
„Nicht ansatzweise..."
„Übel."
„Oui..."
„Was kann ich für dich tun?"
„Nichts..."
„Sicher?
„Glaube schon..."
Amy seufzte: „Die Shinigamis haben uns alles erzählt."
„War's interessant?"
„Unerwartet. Deswegen dachte ich, ich schau' mal nach dir."
„Es geht mir gut Amy..."
„Du siehst nicht so aus."
Ich schwieg. Ich wusste weder was ich Amy antworten sollte, noch hatte ich dazu die nötige Lust. Mein Kopf war voll, heiß und schmerzerfüllt genug. Da brauchte ich nicht noch eine Konversation, auf die ich mich konzentrieren musste.
Amy wusste, dass ich in schwierigen Situationen nie zum Sprechen aufgelegt war. Also sprach sie dann meistens solange über irgendetwas, bis ich mich erbarmte zu antworten. Sie ließ nie zu, dass ich mich vergrub, so wie ich es früher immer getan hatte, als ich noch vollkommen alleine war. In einem Kinderheim hatte man niemanden zum Reden. Seit ich Amy an meiner Seite hatte, hatte sich viel verändert. Die junge Phantomhive seufzte: „Weißt du?", begann sie: „Du bist sicher ein bisschen durcheinander, aber... wenn ich ganz ehrlich bin... Macht mich das froh."
Ich nahm mein Gesicht aus den Armen. Meine Augen wanderten zu Amy. Sie hatte die Arme locker um ihre angezogenen Knie gelegt und ihre langen, wilden Haare wogten in einer kleinen Brise, die mich frösteln ließ: „Wie meinst du das?"
„Nun ja", Amys Augen klebten an dem kleinen Bach: „Ich... bin anders, Sky. Schon immer gewesen. Von dem Tag an dem ich geboren wurde, war in meinem Leben nichts normal. Und das wird sich auch nie mehr ändern. Meine Schulbrote wurden mir von einem Dämon geschmiert und mein Patenonkel, der früher ab und an auf uns aufgepasst hat, wenn meine Eltern mit Sebastian im Ausland waren, ist ein vollkommen verrückter und ewig lachender Sensenmann in Frührente. Das waren wahrscheinlich ziemlich verrückte Wochenenden für zwei Grundschüler, hahaha! Naja... mein erstes Gespräch über Jungs hatte ich übrigens nicht mit meiner Mum, sondern mit Grell und erklären wie Jungs ticken wollte mir nicht mein Vater, sondern Ronald... beides ebenfalls Reaper. William war 3 Jahre mein Nachhilfelehrer in Mathe und glaube mir, das war nicht schön und der beste Freund meines Bruders, mit dem auch ich eng aufgewachsen bin, war von vorne rein ein Anwärter auf eine Führungsposition bei den Triaden. Die Beiden waren auch die einzigen Gleichaltrigen, die eine Ahnung hatte was hinter der höflicher Fassade Sebastians steckt. Sie waren die Einzigen die wussten, wie es hinter Undertakers langen Haaren wirklich aussah. Nur mit ihnen konnte ich mich über das verrückte Zeug unterhalten was uns mit Will, Ron und Grell so passierte. Und es war eine Menge verrücktes Zeug passiert. Sie waren die Einzigen in meinem Alter die verstanden, wie es um Tod und Sterben wirklich steht. Wie diese Welt wirklich ist und sie funktioniert. Und es sind beides Jungs... und älter als ich. Nur ein paar Jahre, aber für sie machte das einen signifikanten Unterschied. Ich hatte nie das Gefühl... dass mich jemand verstand, verstehst du? Dann kam ich auf das College und traf dich. Dann verstand mich endlich jemand. Doch über alles konnte ich mit dir auch nicht reden. Du hast mir erlaubt einen Teil deiner Welt zu werden, obwohl du so viel erlebt hast und ich wollte dich auch an meiner Welt teilhaben lassen, doch... das durfte ich nicht..."
Ich setzte mich auf, als Amy die Augen nieder schlug. Dabei merkte ich, dass das was auf mir gelandet war mein Poncho war. Mittlerweile war es komplett dunkel. Ich muss wohl einige Zeit hier gelegen haben. Ich schaute auf mein Handy: 18:56 Uhr. Also waren es 3 Stunden und 42 Minuten gewesen.
Amy fuhr sich betrübt durch die Haare: „Du hättest wahrscheinlich relativ normal gelebt, hättest du mich nie getroffen, Sky. Oder hätte ich dich nicht in die Villa mitgenommen. Doch... es macht mich irgendwie froh, dass... gerade du auch anders bist... Denn... dadurch fühle ich mich nicht mehr so alleine damit. Und naja... wir sind beste Freunde, oder? Jetzt kann ich wirklich mit dir über alles reden," Amy ließ den Kopf hängen und ihr Gesicht verschwand hinter ihrer dichten schwarzen Mähne: „Auch wenn das furchtbar egoistisch ist. Ich freue mich, dass du dein normales Leben losgeworden bist, nur damit ich jemanden zum Reden habe..."
Ich legte Amy meine Arme um den Hals und meine Schläfe auf ihre Haare: „Das ist nicht egoistisch. Du warst immer für mich da und jetzt kann ich endlich richtig für dich da sein. Das ist definitiv einer der positiven Aspekte an der ganzen Sache und das ich jetzt auf dich aufpassen kann."
Amy hob den Kopf und schaute mich ein wenig verwundert an: „Denkst du das wirklich? Und was meinst du mit ‚auf dich aufpassen'?"
„Nun", ich legte den Kopf schief: „Undertaker bat mich in deiner Nähe zu bleiben und Alarm zu schlagen, wenn Claude oder sonst jemand von denen bei dir auf der Matte stehen sollte. Er sagte... ich sei ein kleiner Dämonenradar und das sei überaus praktisch..."
Amy blinzelte: „Kleiner Dämonenradar? Schön und gut. Vielleicht... Wahrscheinlich. Aber ich will nicht, dass dir wegen mir etwas passiert, Sky. So wie gestern. Das könnte immer wieder passieren."
Ich schüttelte den Kopf: „Wir sitzen jetzt in einem Boot, vergessen?"
Amy lächelte wieder: „Du hast recht", dann knuffelte sie mich zurück: „Du bist der Hammer, Sky!"
„Du viel mehr", flüsterte ich und warf uns beiden meinen Poncho über die Schultern.
Eine Zeitlang schwiegen wir, die Arme umeinander gelegt. Ich spürte wie mein überstrapaziertes Gehirn ein wenig herunter fuhr und das schlechte Gefühl in meinem Magen nach ließ.
„Bist du auch verflucht, Amy?", brach ich schließlich die Stille.
Amy lachte auf: „Hahaha! Nein! Nein, wir sind nicht verflucht. Doch trotzdem wahrscheinlich anormaler, als du."
Ich stutzte: „Ok... Es hätte mich nicht gewundert, ich meine ihr habt Sebastian und... Naja ihr habt Sebastian, das reicht eigentlich."
Amy nickte und schaute mich an: „Du denkst Sebastian hätte uns irgendwann mal verflucht? Nein nein, das hat er nicht. Es wäre nur umständlich, wenn das Essen sich wehren könnte."
„Das...", ich stockte: „Das Essen!?"
Amy nickte erneut: „Die Gegenleistung für Sebastians Dienste ist die Seele des Earls Phantomhive. Also die meines Vater und irgendwann die von Fred."
„Aber... Aber du...?"
Amy schüttelte lachend den Kopf und schloss kurz die königsblauen Augen: „Ich bin in der Erbfolge zu weit unten. Doch sollten Fred und Papa sterben, bevor Fred Kinder hat oder die Kinder alt genug sind, würde ich einspringen. Aber Sebastian passt auf uns auf, die anderen Aristokraten und Undertaker auch."
Ich seufzte: ‚Undertaker...'
Amys königsblaue Augen schauten mich wieder an: „Du hast doch noch mehr."
Ich lachte kurz ohne amüsiert zu sein: „Ronald hat mir ein bisschen was erzählt... und ein anderer Reaper auch... über Reaper so allgemein und... ja... und..."
„Undertaker?", fuhr Amy fort.
„Woher weißt du das?", blinzelte ich sie an.
„Nun", Amy lachte: „Über ihn gibt es wahrscheinlich das Meiste zu erzählen. So als Legende."
„Ihr wisst das?!"
„Er hat sich vor einigen Jahren mal geoutet, ja."
„Und wie habt ihr reagiert?"
„Wir?", Amy lachte wieder: „Vor einigen Jahren ist ungefähr 120 Jahre her! Wir haben gar nicht reagiert. Zu der Zeit hat keiner daran gedacht, dass wir überhaupt mal existieren könnten. Aber Wissen wird bei uns immer weitergegeben. Denn Wissen ist Macht. Die Phantomhives haben ihre Position nicht nur durch Sebastian, sondern weil sie schlicht und einfach wissen wie diese Welt eigentlich wirklich funktioniert."
Ich seufzte: „Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich niemanden hier wirklich kenne..."
„Mich kennst du", lächelte Amy: „Trotz allem."
Ich schaute sie von unten an: „Wirklich?"
Die Phantomhive drückte mich fester an sich: „Natürlich! Ich habe mich nie verstellt. Du bist meine allerbeste Freundin, Sky. Nein. Du bist meine Schwester! Für mich bist du eine Schwester und ich wäre tot traurig ohne dich."
Eine weitere, nun etwas steifere Brise, rauschte kurz über uns beide hinweg. Ich überlegte ein paar Minuten, doch konnte keinen ordentlichen Satz als Antwort darauf formulieren. Natürlich. Auch für mich war Amy wie eine Schwester. Der wichtigste Mensch in meinem Leben. Und nicht einmal ein Dämon würde sie mir wegnehmen. Zumindest würde ich das nicht einfach so zulassen.
„Lass uns zusammen total anders sein", lachte Amy schließlich leise: „Wir rocken das."
„...Wirklich?"
Amy nickte: „Klar!"
Ich schloss kurz meine müden Augen: „Du bist die Beste, Amy... Ich passe auf dich auf. Für immer. Versprochen."
„Hmmm, ich habe wirklich keine große Lust von den Trancys entführt zu werden. Aber solange du in der Nähe bist, bin ich ja sicher."
Wir beide schauten einander an. Dann lachten wir uns gegenseitig ins Gesicht und mit dem Lachen mit meiner besten Freundin schwand ein Stück der schweren Unsicherheit.
„Und nun erzähl!", Amy piekste mir in die Wange: „Was an Undertaker beschäftigt dich?"
Ich schlug die Augen nieder, als ich mir abermals ein paar Minuten zum Überlegen nehmen musste. Mich beschäftigte in seiner Sache vieles: Seine Einstellung zu seinem alten Leben, das totale Abstreiten jedes Lobes, sein Verhältnis zu den Menschen, den Shinigamis und die Tatsache, dass er selber von sich sagte, er sei ein mordendes Monster.
„Also... ähm... eigentlich... Am meisten stört mich, dass er sich selbst als ein mordendes Monster sieht... Ich meine er ist doch gar kein... Monster. Dafür ist er viel zu lieb."
„Er ist lieb", nickte Amy: „Und er ist ein Mörder."
„...Ehrlich?", fragte ich unsicher.
Amy nickte wieder: „Selbst Fred und Lee haben schon Blut auf ihrer weißen Weste und die sind viel kürzer dabei, als Undertaker. Die Aristokraten agieren im Londoner Untergrund, Sky. Das ist gefährlich und viele... Zielpersonen sind echt nicht nett. Hin und wieder sind es nicht einmal Menschen. Ich glaube teilweise... machen sie die Welt so zu einem besseren Ort. Es ist nicht so, dass es jeden Tag vorkommt. Es ist eher die Ausnahme. Meistens landen die Typen fein säuberlich mit einer roten Schleife verschnürt vor dem Türen des Scotland Yards, daneben ein Päckchen voller Beweise und ein Grußkärtchen mit Sebastians Handschrift. Undertaker selber schustert ihnen meistens nur Informationen zu. Für die Angelegenheiten mit Menschen brauchen sie von ihm auch gar nicht mehr. Er geht nur mit an die Front, wenn es sich um Übernatürliches handelt und selbst dann nur, wenn die Wesen wirklich stark sind... oder bei Geistern. Kommt noch seltener vor. Also mach nicht so ein Gesicht!"
Ich seufzte: „Das ist eine sehr schmutzige Ansicht von Gerechtigkeit, oder?"
„Diese Welt funktioniert aber so. Auch Gangster haben Netzwerke. Sie wegzusperren stoppt sie nicht. Gefängnis ändert sie auch nicht. Sie lernen nur es besser zu verstecken."
„Wo du recht hast", seufzte ich nochmal.
Ich hatte auf einmal ein ganz eigenartiges Gefühl. Ich rollte die Schultern um es zu vertreiben.
„Denkst du jetzt anders über uns?", fragte Amy leise.
Doch ich schüttelte den Kopf, als ich den Gedanken an das komische Gefühl zur Seite schob: „Ihr... macht das ja für das Gemeinwohl und rennt nicht lachend und tötend durch die Gegend, oder?"
„Natürlich nicht!"
„Also", ich schaute auf den Bach: „Es ist eher tragisch, dass wir in einer Welt leben, wo die Guten sowas machen müssen."
Wieder rollte ich die Schultern. Das Gefühl kribbelte in meinem Nacken und gab nicht nach. Ich rieb ihn mir.
Amys Blick folgte meinen: „Ja. Wenn du sie als die Guten sehen willst hast du wohl recht, aber ", sie seufzte: „Sie heißen nicht ohne Grund Aristokraten des Bösen und nicht Justice League", dann stand die Phantomhive auf und warf mir ihren Zipfel meines Ponchos über die Schulter. Sie musste auch nicht mehr sagen. Ich hatte schon verstanden. Die Aristokraten des Bösen machten sich die Hände schmutzig, wenn sie mussten und zwar ohne vorher mit der Wimper zu zucken. Ich streckte meine Wirbelsäule aufgrund des komischen Gefühls in meinem Nacken und rieb ihn mir ein weiteres Mal. Es war nicht das komische Zippen, was mich schon in der Welt der Shinigami befallen hatte. Es war eher wie im Flur, kurz bevor Claude aufgetaucht war. Amber streckte mir eine Hand hin und lies mich aus meinen Gedanken über mein komisches Gefühl aufblinzeln: „Komm. Das Abendessen ist fertig."
Ich blinzelte sie über meine Schulter an: „Woher weißt du das?"
Die Hand, die Amy mir entgegenstreckte, zeigte auf einmal mit ihrem Zeigefinger nach links. Meine Augen folgten dem Finger. Ein paar Meter entfernt stand Sebastian und winkte freundlich lächelnd. Natürlich. Sebastian war ja auch ein Dämon. Schlechtes Gefühl = Dämon. Eine Gleichung, die in nächster Zeit sehr wichtig werden könnte. Jetzt wo wir ihn gesehen hatten, kam der Butler ohne Eile näher.
„Sebastian kommt selbst?", fragte ich und schaute Amy an.
Sie zuckte mit den Schultern: „Wenn er sicher gehen will, dass Dinge auch wirklich passieren, kommt er immer selbst. Doch ich frage mich was er sicherstellen muss."
„Ich mich auch", kratzte ich mich an der Schläfe.
Sebastian verbeugte sich, als er bei uns angekommen war: „Myladys? Das Abendessen steht bereit. Die Herrschaften erwarten sie."
Ich schaute ihn immer noch verwundert an. Der Butler richtete sich auf, schloss beim Lächeln seine rostroten Augen und zeigte mit einer Hand in Richtung Manor: „Der Earl und die Countess möchten sicher gehen, dass ihr etwas zu euch nehmt, Lady Rosewell."
„Oh...", machte ich und stand auf. Ich fühlte mich immer noch ein wenig schwächlich, doch Hunger hatte ich nach den Ereignissen des Tages nun wirklich nicht: „Sebastian... ich..."
„Der Meister und seine Gattin scheinen nicht diskutieren zu wollen", hob Sebastian immer noch mit geschlossenen Augen lächelnd einen Zeigefinger: „Sie machen sich Sorgen um Ihre Gesundheit."
Ich schaute Amy an. Sie verschränkte die Arme: „Ich sehe das genauso. Der Tag war anstrengend. Du musst essen, Sky."
„Aber...", doch Amy harkte sich bei mir ein und unterbrach mich: „Lass uns gehen, Sebastian!"
„Wie ihr wünscht, junge Lady", legte der Butler eine Hand aufs Herz und ging uns dann voraus.
Kaum waren wir fast an der Villa angekommen, erreichte uns ein ungeahnter Lärm.
„Nicht so fest, verdammt!"
Ich erkannte die Stimme. Sie gehörte zu Ronald. Kurz darauf heulte ein Motor auf. Durch das Heulen des Motors mischte sich ein Lachen, welches ich auch sofort erkannte. Ich erkannte es noch schneller, als die Stimme des jungen Reapers: „Stell dich nicht so an! Ahahahahaha! Du wolltest trainieren. Dann gebe dir auch Mühe!"
Es erklang das Krachen von Metall auf Metall.
„Was ist denn da los?", fragte ich ratlos, als wir an der letzten Baumgruppe vorbei gelaufen waren und ich die Szenerie ganz erblicken konnte.
Ronald und Undertaker hieben mit ihren Death Scythes auf sich ein. Naja, zumindest versuchte Ronald es, wurde von dem Bestatter aber immer mehr als leichthändig abgewehrt und musste dann dem Blatt der langen, silbernen Sense ausweichen. Einigen Schnitten in seinem Anzug nach, schaffte er es wohl nicht immer.
„Die Herrschaften trainieren", antwortete der Butler trocken: „Sie belagern dafür den Garten des Öfteren."
„Und Alex sagt nichts dagegen?", fragte ich ein weiteres Mal, als wir der Szenerie näher kamen. Hinter den beiden Trainierenden lag Grell auf einer Gartenliege aus Korb. Er schien unbeeindruckt von der Szenerie, schlürfte an einem fast leeren Cocktail, hatte die Augen geschlossen und Brille in die Haare geschoben. Der Kontrast zwischen dem die Seele baumeln lassenden Grell, dem angestrengten Ronald und dem lachenden Bestatter war schon irgendwie lustig. Es wirkte auch wieder so harmonisch, obwohl Undertaker Ronald mächtig zusetzte. Wie die Drei es schafften dabei so friedvoll auszusehen, war mir ein Rätsel.
„Nein", antwortete der Butler: „Die Shinigami haben nicht oft die Möglichkeit sich zu treffen. Ihre Arbeitszeiten sind recht streng."
Ich nickte, während das Klirren der ungewöhnlichen Waffen, begleitet von Ronalds Ächzen und Undertakers Lachen, durch den Garten surrte.
„Au! Au, au, au!", jammerte Ronald und wedelte mit einer Hand, auf die er gerade den Kopf von Undertakers Skelettezierde bekommen hatte: „Man, verdammt!"
Der junge Reaper griff seinen Rasenmäher und hob ihn über die Schulter, als er nach vorne stürmte: „Ich krieg dich noch!"
Undertaker drehte sich einfach aus der Bahn, als Ronald seinen Rasenmäher herunter fahren ließ: „Ehehehe! So nicht", haute er Ronald mit dem Totenschädel auf den Hinterkopf.
Ronald wandte sich um und schlug ein weiteres Mal mit dem drehenden Blatt seines Rasenmähers zu. Es drehte sich auf der silbernen Sense. Funken flogen durch die Luft. Doch Undertaker ließ die Sense mit einem Lachen nach oben schnaken, was Ronalds Rasenmäher wegstieß und den Reaper ihm hinterher nach hinten ins Gras kippen ließ.
„Wieso?", machte Ronald auf dem Boden: „Was mache ich falsch?"
Er setzte sich auf und beschaute das mittlerweile stehengebliebene Blatt seiner Waffe: „Ist was mit meiner Death Scythe nicht in Ordnung?"
Undertakers Sense verschwand: „Ehehehehe. Steck sie weg."
„Was?!", rief Ronald aus und schaute Undertaker an: „Ich stecke doch nicht meine Death Scythe weg! Ich will noch nicht sterben, verdammt!"
Undertaker schüttelte lachend den Kopf, als er seine Arme verschränkte: „Ehehehe. Herrje, herrje. Mit deiner Death Scythe ist alles in Ordnung. Du bist das Problem."
Ronald Schultern sanken ein Stück und er ließ den Kopf hängen: „Ja... Eigentlich weiß ich das..."
Undertaker seufzte. Er ging auf den Blonden zu und legte ihm verständnisvoll die Hand auf den Kopf: „Schau nicht so schwer. Das ist ja furchtbar! Ehehehehe, du bist jung, Ronald. Da kann noch viel passieren."
„Da muss viel passieren...", seufzte der Reaper mit hängendem Kopf: „Ich hänge William und Grell immer wie ein Klotz am Bein..."
„Das hast du gesagt", säuselte Grell auf seiner Liege an seinem Strohhalm vorbei.
„Tehehehe! Ich glaube auch nicht, dass es so schlimm ist. Ehehehe. Du hast Talent, Ronald. Es fehlt dir lediglich noch ein bisschen an Übung."
„Ich weiß... ich müsste viel geübter sein...", wirkte Ron immer noch unfassbar niedergeschlagen.
„Woher willst du die denn haben?", sprach Grell wieder ohne seine Augen zu öffnen und unterbrach seinen Satz kurz, als er den letzten Rest seines Cocktails geräuschvoll durch den Strohhalm zog: „Wie gesagt, du bist noch jung."
„Aber..."
„Nichts aber", unterbrach ihn Undertaker und wuschelte final durch den kurzen braun- blonden Schopf: „Höre auf dich zu beschweren und steh auf. Death Scythe weg! Ehehehe! Du bist gut mit ihr, aber du musst deinen Körper besser unter Kontrolle bekommen und deine Reflexe müssen besser werden."
Der Rasenmäher verschwand und Ronald erhob sich: „Das wird jetzt richtig wehtun, oder?"
Undertaker lachte mit seinem breiten Grinsen im Gesicht: „Tihihihi! Wahrscheinlich."
Dann zog er sein Bein hoch. Ronald konnte gerade so beide Arme vor seine Nase heben um nicht frontal im Gesicht getroffen zu werden. Er rutschte mindestens zwei Meter über das Gras nach hinten.
Mir klappte der Mund auf. So leger wie Undertaker sein Bein hochgezogen hatte, hatte es fast fahrig gewirkt. Nie im Leben hätte ich diesen Tritt so viel Schwung zugesagt.
Ronald schüttelte mit verzogenem Gesicht seine anscheinend schmerzenden Arme aus, hatte aber keine Zeit ihnen weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Denn der Bestatter war einfach von seinem Platz verschwunden und direkt vor seine Nase wieder aufgetaucht. Ronald tauchte unter dem Schlag hinweg, beugte sich nach vorne und wollte Undertaker wohl in die Magengrube schlagen. Doch in dem Moment war der Totengräber auch schon wieder verschwunden, hinter Ronald aufgetaucht und hatte ihm in den Rücken getreten. Die Beiden waren unglaublich schnell. Ich konnte die Bewegungen fast nicht sehen. Ein weiteres Mal landete Ronald im Gras: „Autsch... Jetzt weiß ich warum man als Mann Absätze trägt... Tut das weh..."
Sebastian klatschte in die Hände: „Meine Herren?"
Undertaker wandte den Kopf um und Ronald stützte sich auf die Hände. Grell sprang auf einmal auf Sebastian zu und sein Glas segelte durch die Luft: „Bassy!~♥"
Sebastian schritt zur Seite, fing das Glas und auch Grell landete im Rasen: „Das Abendessen ist angerichtet."
Undertaker zog Ronald auf die Füße. Dieser rieb sich die Unterarme: „Machen wir nach dem Essen weiter?"
Undertaker lachte: „Ehehehe! Wenn du mich bezahlen kannst?"
Ich war verwundert: ‚Bezahlen?'
Undertaker wirkte nicht wie jemand, dem Geld wirklich wichtig wäre.
„Komm schon!", machte der Blonde: „Lass mich anschreiben!"
„Anschreiben?", Undertaker lachte schrill auf: „Pahahahahaha! So läuft diese Welt nicht. Das weißt du."
„Komm schon. Du bist doch nun wirklich nicht von dieser Welt!"
„Wahrscheinlich hast du damit recht", Undertaker lachte ein weiteres Mal: „Tehehehe. Weil du es bist."
„Juhu!", rief der junge Reaper aus, auch wenn mir wirklich nicht erschloss, was daran so erquicklich war von Undertaker verdroschen zu werden: „Aber jetzt hab' ich Hunger!"
Grell hatte sich aufgerappelt: „Ihr seid hier auch schon eine Weile zugange."
„Oh ja!", Ronald ging Richtung Eingang: „Irgendwann Undertaker! Ich sage es dir!"
Dann war der Blonde auch schon verschwunden.
Undertaker kam zu uns herüber.
„Macht er sich gut?", fragte Grell und Undertaker nickte: „Hehehe. Er lernt recht schnell."
„Du gibst dir wirklich viel Mühe mit ihm", verschränkte der rote Reaper die Arme.
„Tehe. Wie gesagt, er hat Talent", grinste Undertaker: „Und er ist lernbegierig und vor allem -willig. Eehehehehe."
„Trotzdem kriegt er für seine Mühe von dir nur auf die Nase", Grell hob kopfschüttelnd die Hände: „Ich wäre frustriert."
„Vergeudete Anstrengung ist eines der Privilegien der Jugend", hob der Bestatter einen Zeigefinger: „Wer lernen will, muss einstecken können. Nehehehehe!"
„Den Spruch hast du auch mir schon mal gedrückt", Grell verschränkte wieder die Arme: „Man, war ich sauer auf dich."
„Es ist wie es ist", lachte Undertaker.
„Ich hätte nie erwartet, dass du Ronald als Schüler nimmst. Dein Letzter ist schon ein paar Jahre her."
„Und er ist tot", lachte der Bestatter: „Mein Schüler zu sein ist kein Garant für irgendetwas. Außerdem, ehehehehe, würde ich nicht so weit gehen und ihn als meinen Schüler bezeichnen."
Ich wusste wirklich nicht was ihm an dieser Aussage zum Lachen brachte. Noch weniger wusste ich, dass Undertaker Schüler hatte. Mir wurde ein weiteres Mal klar, dass ich über ihn eigentlich gar nichts wusste.
„Was soll er denn sonst sein?", fragte Grell verständnislos.
„Ich löse Schulden ein. Tehehe. Das ist alles. Dass sich Ronald immer dasselbe von mir wünscht, ist seine Angelegenheit."
Grell seufzte: „Du gibst dir zu viel Mühe mit ihm und bist viel zu verständnisvoll, als das du nur Schulden bezahlst. Außerdem lässt du ihn anschreiben! Ich muss immer bezahlen! Im Voraus! Genau wie alle anderen auch! Er ist dein Schüler und du legst Wert darauf, dass er den Vorangegangenen nicht folgt. Er ist so eifrig in seinem Bestreben mit uns mit zu halten und so ungeduldig mit sich selbst. Der einzige Grund warum er noch nie resigniert hat ist, dass du nicht zulässt, dass er es tut. Du bist viel zu faul um dir bei irgendjemanden bei dem du ‚nur Schulden bezahlst' die Mühe zu machen, dass seine Gefühlswelt nicht vor die Hunde geht."
Ich legte den Kopf schief. Ronald wirkte immer so selbstsicher. Ich hätte nicht gedacht, dass er Bestätigung in seiner Person brauchen würde. Andererseits war Ronald wohl für einen Sensenmann noch relativ jung. Er wurde auch nie als höherer Reaper bezeichnet, im Vergleich zu Grell und William. Schon gar nicht war er eine Legende wie Undertaker. Diese Tatsachen und das er gerade mit den Dreien so viel zu tun hatte, war für ihn, so klang es, wohl recht belastend.
Undertaker grinste weiter: „Nenne es wie du möchtest."
„Schlägt er sich wenigstens besser als die anderen?", fragte nun Amy und lenkte meine Aufmerksamkeit zurück auf das Gespräch.
Der Bestatter lachte: „Schwer zu sagen. Ehehehe. Viele waren nicht schlecht."
„Sie waren sicher akzeptabel stark", lächelte Sebastian. Dieses Lächeln war eiskalt und wissend. Es wirkte auch nicht nur ansatzweise so, als läge darin irgendeine Art von Anerkennung. Ich fragte mich woher der Dämon über die Stärke von Undertakers Schülern Bescheid wissen wollte.
Undertakers Grinsen verrutschte auf Grund dieser kalten Aussage nicht einen Millimeter: „Du machst dir gar keine Vorstellung, Dämon. Nehehehehehe! Jeder von ihnen hätte dir unsagbare Probleme bereitet."
Doch auch das Lächeln des Butlers blieb konstant: „Wenn du es sagst."
Grell seufzte erneut: „Oh bitte. Keine tragischen Geschichten."
Ich verstand diese Konversation nicht. Ich entnahm nur Grell, dass sie nicht so belustigend war, wie man bei einem Blick auf Undertakers breites Grinsen vermuten könnte.
Eben dieses Grinsen wandte sich nun zu mir: „Tehe. Du siehst immer noch nicht besser aus, meine schöne Puppe."
Ich nickte langsam: „Es... es geht..."
Undertaker schüttelte immer noch grinsend den Kopf: „Keine gute Nachricht. Doch glaube mir, hehe, morgen sieht die Welt auch wieder ein Stück anders aus. Wenn du erst einmal ordentlich gegessen und geschlafen hast."
„Also... eigentlich..."
„Lasst uns weiter", unterbrach mich der Butler in dem Wissen, dass er das was folgen würde nicht hören wolle: „Das Essen wird ansonsten kalt."
Der Butler setzte sich in Bewegung. Wir folgten. In der Eingangshalle stoppten wir zuerst an den Waschräumen, um uns die Hände zu waschen. Grell und Undertaker verschwanden in einem anderen als wir.
Als ich mir die Hände einseifte schaute ich zu Amy: „Wusstest du, dass Undertaker Schüler hatte?"
Amy nickte: „Ja, aber er redet nicht darüber."
„Sein Letzter ist wirklich gestorben?"
„Jub. Soweit ich weiß sind sie alle tot."
„Warum weiß Sebastian darüber Bescheid? Hat er es ihm erzählt?"
Der Butler schien nicht gerade der Ansprechpartner für solche Themen zu sein. Schon gar nicht, wenn man ansonsten nicht darüber sprach. Eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass man generell gut mit ihm reden konnte. Vor allem Undertaker nicht. Sebastians Lächeln war immer falsch. Undertaker müsste es, so wie ich ihn kennen gelernt hatte, verabscheuen. Doch ich wusste um ehrlich zu sein nicht mehr, wie gut ich ihn wirklich kannte.
„Nein", trocknete sich Amy die Hände ab: „Soweit ich mich an die Geschichten erinnere, waren sie ziemlich tragisch und Sebastian ist nicht der Typ, der Seelensorge betreibt. Er ist ein Dämon. Er kann das nicht und will es mit ziemlicher Sicherheit auch gar nicht."
Ich nickte in Zustimmung: „Aber woher weiß er es dann?"
„Wissen ist Macht. Sebastian hat seine Mittel und Wege um dran zu kommen."
„Aber...", ich klimperte Amy an: „Welche?"
„Grell zum Beispiel", Amy drehte sich um und lehnte sich gegen das Waschbecken: „In dem Sebastian ihm Hoffnungen macht, bringt er ihn dazu zu tun was er will."
Meine Verwirrung legte sich nicht ansatzweise: „Hö? Erzähl."
„Er bringt ihm dazu ihm Geschichten der Shinigamis zu verraten", begann Amy: „Sebastian empfindet Undertaker als gefährlich, nachdem er mal einen meiner Vorfahren verraten hat."
Meine Augen wurden groß. Undertaker und jemanden verraten? Das passte wieder einmal nicht zu dem Bild was ich von ihm hatte: „Welchen?"
„Ciel", Amy schaute mich an: „Wenn es dich interessiert frage Sebastian oder Undertaker. Es ist eine ziemlich lange Geschichte. Sie wurde mir nie ganz erzählt."
Ich wusste sofort, dass ich nicht Sebastian fragen wollte. Der Butler war mir unglaublich unheimlich und suspekt: „Okay. Mach' ich. Sie ist wohl nicht ansatzweise schön, hm?"
„Nein. Aber ich kann dir da echt nicht helfen."
„Es scheint ziemlich viele tragische Geschichten zu geben", nuschelte ich. Keiner von denen hier Anwesenden hatte so viel Tragik verdient, wie in der Vergangenheit, wahrscheinlich weit vor Amys und meiner Zeit, vorgefallen sein musste.
Amy nickte: „Ja. Eigentlich habe ich nur sehr wenige schöne Geschichten gehört. Undertaker sagt immer, dass man Tragik viel länger in Erinnerung behält, als Freude", sie seufzte frustriert: „Er wirkt als spricht er aus Erfahrung."
Amy schien von der vielen Tragik genau so unangetan wie ich.
„Das ist echt... tragisch", schüttelte ich meinen Kopf, als dieses Wort wieder fiel.
Amy nickte: „Er hätte mehr schöne Erinnerungen verdient. Er hat einige. Das sagt er immer wieder, doch ich weiß nicht ganz wie ich das einschätzen soll."
„Inwiefern?"
„Nun", Amy schüttelte den Kopf: „Undertaker ist unsterblich und stark und alt. Das heißt er ist schon seit Ewigkeiten unterwegs und sein Ende liegt in weiter, weiter Ferne."
Das leuchtete mir ein. Der Umstand, dass Undertakers Ableben aber noch einige Zeit auf sich warten ließe, fand ich doch überhaupt nicht tragisch. Eher ganz im Gegenteil. Es konnte ganz, ganz weit weg bleiben. Ich verstand aber auch auf was Amy eigentlich hinaus wollte.
„Er trifft Menschen und sieht sie gehen", ich legte nachdenklich eine Hand ans Kinn: „Immer und immer wieder. Für sein Verhältnis zur Zeit bleibt keiner wirklich lange an seiner Seite. Ein menschliches Leben dauert für ihn nur ein Wimpernschlag. Er kommt und kommt aus diesem Teufelskreis einfach nicht heraus. Er trifft Menschen, einige mag er auch und dann beerdigt er sie. Immer und immer wieder..."
Amy nickte abermals: „Umbringen kann er sich ja auch nicht, dass hat er ja schon mal getan und sich damit den ganzen Schlamassel überhaupt erst eingebrockt. Und bis jetzt war keiner stark genug ihn zu töten."
Die Ansprache, dass Undertaker sich schon einmal selbst umgebracht hatte, versetzte mir wieder einen Stich. Auch Amys darauf folgende Ausführungen trafen mich wie viele feine Nadeln: „Hat er... mal gesagt es sei schlimm für ihn?"
Amy schüttelte den Kopf: „Nein. Nicht direkt. Er sagt immer man gewöhne sich an alles. Aber ich glaube schon, dass es schlimm für ihn ist."
„Vielleicht...", ich seufzte: „Sieht er das selber gar nicht ein, oder denkt er darf es nicht. Vielleicht hat er sich auch seiner eigenen Trauer gegenüber mittlerweile komplett verschlossen und sperrt sie aus. Versteckt sie ganz weit hinten, hinter seinem ewigen Grinsen."
Amy nickte stumm mit verschränkten Armen.
Meine Augen fielen auf das weiße Waschbecken. Mein Herz fühlte sich ganz schwer an. Der Bestatter... er tat mir so unfassbar leid. Ich wusste nur leider, dass Mitleid nicht half. Es machte oft alles nur viel schlimmer, weil man sich seiner Ohnmacht in Anbetracht der Dinge gewahr wurde: „Ich frage mich, ob man ihm irgendwie helfen kann..."
„Wir müssen alle sterben. Das Einzige was wir tun können ist ihm gute Freunde zu sein, solange wir da sind."
„Aber... das macht es doch gleichzeitig auch viel schlimmer, oder? Wenn er einen wirklich mag... und man dann weg ist..."
„Aber was sollen wir denn tun?", fragte Amy zu Recht.
Ich schüttelte den Kopf: „Ich weiß es nicht..."
„Ich auch nicht", Amy schwang sich von dem Waschbecken und ging zur Türe: „Komm, Sebastian wartet."
Jetzt wo Amy es ansprach bemerkte ich, dass das Gefühl immer noch nicht verschwunden war. Es war unterschwelliger, doch es fühlte sich an als kroch irgendeine Art von Unheil von außen durch die Türe zu uns herein. Ich spürte Sebastians Anwesenheit, doch ich fragte mich woher Amy wusste, dass der Butler immer noch vor der Türe stand oder auch am Bach auf uns gewartet hatte.
Vor der Türe stoppte ich sie: „Woher weißt du, dass Sebastian wartet? Oder am Bach stand?"
Amy drehte sich zu mir um: „Hm? Ach so. Am Bach habe ich auf dich geachtet. Du hast die Schultern gerollt und dir den Nacken gerieben, genau wie gestern im Flur. Gerade ist es einfach Erfahrung. Sebastian ist trotz allem ein alter, englischer Gentleman, also wartet er auf uns, weil wir Mädchen sind. Das gehört sich so für einen Butler."
Ich nickte kurz. Für Amy konnte es in nächster Zeit wichtig werden, meine Körpersprache deuten zu können. Ich war irgendwie beruhigt, dass sie es augenscheinlich schon konnte.
Wir kamen aus dem Waschraum und tatsächlich stand der Butler immer noch davor und wartete geduldig auf uns.
Sebastian führte uns durch die halbe Villa. Dieses komische Gefühl in seiner Nähe. Mittlerweile wusste ich was es war, auch wenn ich es immer noch nicht ganz fassen konnte. Vielleicht konnte ich dieses Gefühl irgendwann ausblenden. Heute war dieser Tag auf jeden Fall noch nicht.
Nachdem er unsere Jacken an sich genommen hatte, stieß Sebastian eine weiße, große Flügeltüre auf. Dahinter lag ein mit Holz vertäfelter Raum, der fast gänzlich von einer langen Tafel gefüllt wurde, die auf einem großen, eckigen, azurblauen Teppich stand. Dasselbe Blau, mit dem auch die 20 Stühle gepolstert waren, von denen im Moment nur 10 besetzt waren. Der Boden war ein Naturholzpaket und unsere Schritte klapperten darauf. Hier und da standen kleine Skulpturen oder Tische mit bunt gefüllten und extravagant gestalteten, großen Blumenvasen.
Abgesehen von der schönen Einrichtung war das Bild was sich uns bot nur mit eigentümlich zu beschreiben. Eigentümlich und trotzdem harmonisch, heimisch und irgendwie entspannt.
Als erstes fielen definitiv Grell und Undertaker auf. Die Beiden saßen am Ende einer Reihe, Undertaker an einem von den Plätzen ohne Besteck, was mich wunderte. Grell ging voll darin auf die langen, silbernen Haare des Bestatters zu einem buschigen Zopf zu flechten und redete dabei wie ein Wasserfall. Undertaker beschränkte sich auf ein konstantes Nicken und Giggeln, während er die Beine überschlagen relativ schief auf seinem Stuhl hing und sich bei jedem Nicken von Grell anhören durfte er solle gefälligst seinen Kopf still halten. Lee und Fred unterhielten sich über den Tisch hinweg. Lee hatte die Beine überschlagen und die Arme hinter dem Kopf verschränkt, während er mit einer ziemlich heiteren Stimme vor sich hin sprach. Fred seufzte viel und wirkte wie immer ein wenig grummelig mit seinen aufgestützten Ellbogen und den vor der Nase verschränkten Händen. Amys Eltern führten eine 4 Mann Konversation mit Charlie und Frank und wirkten damit noch am normalsten an dem Tisch, würde Frank nicht immer schauen, als würde gleich die Welt untergehen. Wer gar nicht normal wirkte waren William und Ronald. William hatte seine Nase in einem Buch mit vielen bunten Klebezetteln in den Seiten und redete über irgendwas, wahrscheinlich mit Ronald. Doch Ronald hing schlaff auf seinem Stuhl, von der Konversation sichtlich nicht angetan, den Kopf hinten über gekippt und die Augen unter der schwarzen Brille geschlossen. Das kleine Zucken, welches hin und wieder durch seinen Körper fuhr, zeugte zu gleichen Teilen davon, dass Ronald noch lebte und noch nicht ganz schlief. Das Training mit Undertaker war wohl anstrengender, als er durchblicken lassen wollte.
Ich schaute mich um und stellte fest, dass Sebastian schon wieder verschwunden war. Doch Zeit zu fragen wo er hin sei hatte ich nicht, denn Amy zog mich zu den freien Plätzen zwischen Heather und Lee. Kaum waren wir am Tisch angekommen erntete ich unzählige mitleidige Blicke. Ich hasste mitleidige Blicke. Sie machten auch nichts besser. Sie sagten nur ‚Hey! Wir wissen, dass alles scheiße ist, doch etwas dagegen tun können wir trotzdem nicht'. Das war immer ganz großes Kino.
Ich setzte mich zwischen Amy, welche sich neben ihre Mutter gesetzt hatte, und Lee. Zwischen dem Asiaten und mir war allerdings noch ein eingedeckter Platz frei.
„So!", hörte ich Grells Stimme: „Fertig! Noooah! Es steht dir!~♥ Du solltest viel öfter was mit deinen Haaren machen!"
Ich hörte das Knirschen eines Stuhls auf dem Boden, bevor ich meinen Kopf endgültig zu den Beiden gedreht hatte. Undertaker war aufgestanden und hatte seinen Stuhl wieder unter den Tisch geschoben, als er Grell angrinste: „Nihihihi! Denkst du das, ja?"
„Jaaaaa!"
„Thihi! Ich denke darüber nach."
Nach diesem Satz ging er gemütlich um den Tisch herum. Lee schob seine Beine endgültig unter den Tisch, sodass sich der Bestatter anständig zwischen dem Drogenbaron und mir hinsetzen konnte. Der von Grell in Perfektion geflochtene Zopf hing lässig über seiner Schulter, als mich sein freigelegtes Auge anlächelte: „Hast du dich noch ein wenig mehr beruhigen können?"
Es klang, als fragte der Bestatter sehr bewusst nicht nach, ob es mir besser ginge. Ich atmete durch: „Ja... Ein bisschen zumindest."
Das Lächeln wurde ein wenig weiter und ging nun mehr in Richtung eines Grinsens: „Das ist gut. Ehehehe. Wirklich. Der erste Schritt in die richtige Richtung. Der Zweite wäre..."
Aus einem plötzlichen unbestimmten Gefühl fuhr ich herum. Der Bestatter verstummte im Satz und hinter mir stand Sebastian. Er lächelte mit einem Teller mit Tellerglocke in beiden Händen und einem Servierwagen neben sich: „Etwas zu speisen."
Undertaker giggelte nur, als Sebastian seinen Satz beendet hatte, den ich durch das Wegdrehen meines Gesichtes relativ unelegant und fast schon schroff beendet hatte.
Ich war erleichtert, dass zumindest Sebastian mich nicht so hemmungslos erschrecken konnte, wie die Grim Reaper es taten. Mit Wonne, wie ich das Gefühl hatte. Ein weiterer Vorteil an dieser außerordentlich bescheidenen Fluchgeschichte.
Sebastian fing natürlich bei seinem Meister mit dem Servieren an und ging dann reihum. Die Komposition von Lebensmitteln auf den Tellern sah herrlich aus und mir war noch nie etwas begegnet was so gut roch.
„Ich darf servieren", sprach der Butler in einen für ihn schon sehr beschwingten Tonfall, als wolle er mit jedem Wort das Gericht unterstreichen: „Jakobsmuscheltatar in Sherry. Serviert mit geräucherter Blumenkohl, Blumenkohlcreme und gegrillte Shiitakepilze. Dazu gereicht ein Litmus White Pinot Jahrgang 2013 aus den nördlichen Länderein von Surrey. Ich wünsche besten Appetit."
Als Sebastien die Tellerglocke vor mir hochhob wusste mein Magen nicht so recht was er tun sollte. Es roch so gut, doch mein Magen hüpfte einmal auf den Kopf.
Ich schaute wie ein geprügelter Hund zu den Anderen. Auf Undertakers Teller lag tatsächlich nur ein Häufchen knochenförmiger Kekse, doch der Bestatter rieb sich freudig lachend die Hände, als habe er die goldene Gans auf dem Teller. William legte das Buch weg und es verschwand, als Sebastian den Teller vor ihn auf den Tisch stellte. Der Dämon lächelte den Grim Reaper an, doch dieser drehte sich weg und schob seine Brille die Nase hoch.
Ronalds Teller rutschte dem Butler ‚ganz ausversehen' aus der Hand und krachte geräuschvoll auf den Tisch. Der blonder Reaper fuhr aus seinem Dämmerzustand, wedelte mit den Armen, als sich sein Stuhl wie ein wütendes Pferd auf die Hinterbeine stellte und schaffte es mit einem gestressten Gesichtsausdruck irgendwie sein Stuhl wieder auf alle vier Füße zu stellen, bevor ihm die Balance verließ. Geschockt von dem Krachen japste der junge Sensenmann vor sich her.
„Pardon", lächelte Sebastian mit geschlossenen Augen und Ronald schaute ihn mit dem Wissen an, dass dem Dämon gerade gar nichts Leid tat und es grausame Berechnung gewesen war, sparte sich aber jeglichen Kommentar.
Neben mir hörte ich ein schrilles, amüsiertes Lachen, was mich nicht verwunderte.
Die restlichen Teller verteilte Sebastian relativ unspektakulär, musste sich allerdings einmal Grells erwehren, als dieser äußerte er hätte doch gerne den Butler selbst als Dessert.
„Guten Appetit", lächelte Alexander von seinem Platz vor Kopf in die Runde und alle begangen zu essen, nachdem sie einen Essensgruß zurück geworfen hatten. Geschirr klirrte, leise Gespräche schwirrten über den Tisch und ich saß dort, starrte auf meine Jakobsmuscheln und wusste nicht was ich mit ihnen tun sollte, oder wollte.
„Nihihihi", machte es neben mir und mein Kopf wanderte ein Stück herum. Mit einem Zeigefinger schob der Bestatter sich den Rest eines Kekses in den Mund, kaute genüsslich darauf herum und schaute mich mit seinem strahlend, grünen Auge an.
„Wartest du darauf, dass sie wieder lebendig werden?", fragte er amüsiert, nachdem er hinunter geschluckt hatte.
Ich schaute wieder auf mein Tatar: „Ich... ähm."
Ich drehte meinen Kopf wieder, bevor ich auch nur zu Ende denken konnte. Sebastians immer noch lächelndes Gesicht schaute mir entgegen, als er sich in einem ziemlich akkuraten 90 ° Winkel zu mir herunterbeugte: „Kann ich behilflich sein, Lady Rosewell?"
„Ööööhm...", nahm ich meinen Kopf soweit es ging zurück: „Ich wüsste nicht wie."
„Nun", Sebastian hob eine Hand, in der er einen silbernen Löffel hielt: „Ich könnte..."
„Nein!", unterbrach ich den Butler und unterlag einem Miniflashback zu den drei Bissen des peinlichsten Frühstücks meines Lebens: „Vergiss den Gedanken bevor du ihn zu Ende denkst, Sebastian!"
Der Butler stellte sich wieder gerade hin und verschränkte nachdenkend die Arme: „Aber wie bekomme ich sie ansonsten zum Essen, Miss Rosewell?"
„Hört doch auf damit", jammerte ich. In meiner puren Hilflosigkeit schnappte ich mir Undertakers Arm und rüttelte daran: „Hilf mir, man!"
Undertaker fiel fast sein Keks aus der Hand und er machte ein paar Saltos bis der Bestatter ihn wieder zu fassen bekam. Der Totengräber legte lachend seinen Keks auf den Teller und grinste mich an. Nur irgendwie verursachte dieses Grinsen in mir kein gutes Gefühl: „Oh, natürlich helfe ich dir. Ehehehehehe! Zu jeder Zeit, meine Schöne. Ihihihihi!"
Ich konnte nicht reagieren, da hatte Undertaker auch schon meine Arme fest im Griff.
„Hey!", rief ich aus. Ich kam aus dem Griff des unmenschlichen Totengräbers nicht heraus, obwohl er nicht fest genug drückte um mir zu schmerzen.
„Sebastian? Du kannst. Ehehehehehe!"
Der Butler nickte lächelnd und versenkte den Löffel in meinem Essen.
„Oh! Bitte nicht nochmal! Das ist vollkommen entwürdigend!", echauffierte ich mich und versuchte aus Undertakers Griff heraus zu kommen: „Undertaker, du treulose Tomate!"
„Iss einfach selbst und deine Schmach hat ein Ende. Ehehehehehehe!"
Sebastian lächelte mich an und streckte mir den Löffel ins Gesicht: „Hier kommt der Zug."
„Ich ergebe mich!", jammerte ich: „Ihr habt gewonnen! Ich gebe auf! Ich gebe auf!"
Undertaker ließ mich laut lachend los und Sebastian legte mir den Löffel mit Tatar in die Hand: „Bon Appetit."
Ich schaute auf den Löffel, dann zu Sebastian und dann zu Undertaker. Undertaker hob die Hände und wackelte grinsend mit dem Finger, als würde er mir androhen wollen mich ein weiteres Mal fest zuhalten. Ich schaute wieder auf den Löffel... und steckte ihn mir in den Mund.
Als ich mich wieder zu meinem Teller drehte schaute ich in einige belustigte Gesichter. Doch ich ertrug sie einfach und aß schweigend meine geschredderten Muscheln. Sie schmeckten wirklich ausgezeichnet und nachdem ich den Punkt der alles verzehrenden Übelkeit, in endloser Angst vor weiteren Attentaten Undertakers und Sebastians, überwunden hatte, merkte ich wie viel Hunger ich hatte. Allerdings fühlte sich mein ganzer Körper furchtbar steif an, denn ich war so nervös mit so vielen besser Gestellten an einem Tisch zu sitzen, die ich nicht richtig kannte, dass meine Bewegungen ungefähr so geschmeidig waren, wie die eines eingerosteten Roboters. Ein Roboter mit Akkuschaden. Denn ich könnte essen und schlafen zur selben Zeit.
„Tihihihi! Entspann dich", lach-nuschelte Undertaker neben mir an seinem Keks vorbei.
„Du", sagte ich ohne ihn anzusehen: „Hast Sendepause, klar?"
Um sicher zu gehen, dass er auch wirklich verstand, dass ich mit ihm nicht reden wollte, steckte ich mir provokativ einen Löffel Tatar in den Mund.
„Hm", lachte der Bestatter und stellte seinen Stuhl auf die Hinterbeine, als er seinen Keks beschaute, die Beine überschlug und die freie Hand locker auf seinem Schoß ablegte: „Ehehe. Da du endlich isst, ertrage ich deinen Misskredit liebend gern."
„Weißt du", ich legte meinen Löffel weg und schaute ihn an: „Wenn du dich nicht wenigstens ein bisschen aufregst, macht das einfach keinen Spaß."
Undertaker lachte wieder schrill auf und steckte sich seinen Keks in den Mund. Er kaute und lachte gleichzeitig, ohne an den Kekskrümmeln in seinem Mund zu ersticken.
„Ich habe eine Menge Spaß. Fuhuhuhuhuhuhu!", lachte Undertaker weiter, klemmte sein oben auf liegendes Bein unter eine Kante des Esstisches und wackelte mit dem Stuhl leicht vor und zurück.
Ich hatte meinen Teller irgendwann als Letzte besiegt und mein Magen wusste nicht, ob er überglücklich oder überstrapaziert war.
Sebastian räumte die Teller ab, außer Undertakers auf dem immer noch Kekse lagen.
Kaum hatte Sebastian unsere Teller mit sich genommen stand er auch schon wieder hinter Alex mit einer weiteren Tellerglocke: „Zum Hauptgang..."
Ich stockte: ‚Hauptgang?! Oh... Oh nö...'
2 Dinge waren mir klar: Undertaker würde dafür sorgen, dass ich diesen Teller essen werde und ich werde am Ende deswegen brechen. Oder einfach platzen. Meinem momentanen Glück nach eher Zweiteres. Spontane Selbstverpuffung durch Gourmetessen. Ich bin für die besseren Kreise einfach nicht geschaffen.
Es gab gepuderte Entenbrust mit geschmortem und gegrilltem Rotkohl, dazu gewürzte Birnen und eingelegte Kirschen. Als Beilage Karotten mit Kümmel und gemischter Blattsalat mit einem leichten Dressing. Sebastian goss jedem noch ein Glas schwarzen Riesling ein und Charlie freute sich darüber einen guten deutschen Wein zu trinken zu bekommen. Er erging sich 30 Minuten in eine ausführliche Beschreibung über diesen Wein und das er ja mal ein paar Tage auf einem Weingut gewesen war. Was Charlie erzählte war schon interessant. Wie Winzern funktionierte, wie ein Weinberg aussähe und und und. Doch viel beeindruckender als seine Erzählung an sich war die begeisterte Art, mit der Charlie erzählte. Er sprach und sprach, doch man fühlte sich nicht an die Wand geredet. Es sei denn man hieß Frank. Aber dann schien man schon ansatzweise genervt zu sein, wenn Menschen um einen herum atmen. Doch seine Kommentare waren weniger schnippisch, als mehr trocken informativ. So verlief das Gespräch während des Hauptgerichts und irgendwie zwang ich diesen Teller noch in meinen Magen. Langsam wurde mir wieder übel. Denn Wein gab ich an Amy ab. Das wäre für meinen Magen wirklich zu viel gewesen. Ich wusste ja jetzt schon nicht mehr wie ich laufen sollte.
Doch die Welt war grausam und Sebastian machte den Dämonen alle Ehre, als er es schaffte, dass sich ein Dessert wie Folter anfühlte.
Es gab Sambocade, ein Ziegenmilchkäsekuchen mit Holunderblüten, Apfel, pochierte Birnen & geräuchert wie kandierten Walnüssen. Ein Gedicht, wäre die Speicherkapazität meines Magens nicht eigentlich schon überschritten.
„Ich kann nicht mehr", fiel mein Kopf nach unten: „Wirklich..."
Doch Amy nahm meine Gabel, erstach ein Stückchen Kuchen und hielt es vor mein hängendes Gesicht: „Hier kommt der Zug!"
Mein Kopf flog hoch: „Amy!"
Wären wir in der Schule gewesen, ich hätte meinen Teller genommen und meinen Kuchen in ihrem Gesicht versenkt. Doch ich beschränkte mich darauf ihr die Gabel aus der Hand zu reißen: „Nicht du auch noch."
Amy lachte. Undertaker neben mir auch. Es lachten eigentlich einfach alle. Außer William und Frank natürlich.
Also aß ich mal wieder in schweigender Schmach.
„Hm", machte es irgendwann und Alexander deutete mit seiner Kuchengabel auf Undertaker, der immer noch seine Kekse aß: „Undertaker, ich habe nachgedacht."
„Oh weia. Ehehehehe", grinste der Bestatter und wackelte immer noch mit seinem Stuhl vor und zurück: „Das ist meistens der Beginn fantastischer Geschichten! Oder des perfektem Chaos. Je nachdem auch beidem. Tehehehehe!"
„Naja", lachte Alex: „Spektakulär wird es dieses Mal nicht werden, aber ich habe eine Bitte an dich."
„Oh! Wenn ihr mich bezahlen könnt, Earl. Ehehehehehe!", giggelte Undertaker und musterte Alexander mit einer belustigten Neugierde.
Ein weiteres Mal war ich darüber verwundert, dass der Bestatter Bezahlung verlangte. Andererseits war wohl eine der wenigen Dinge, worum sich ein Phantomhive keine Gedanken machen musste, Geld.
Alexander seufzte seicht: „Werde ich, Undertaker. Keine Sorge. Die Idee mit den Telefonnummern und mit Skyler ist ganz gut, doch es beruhigt mich nicht so ganz. Ich würde dich bitten alle zwei Tage bei den Mädchen nach dem Rechten zu sehen. Ich kann Sebastian nicht immer entbehren und du wohnst in der Nähe. Sei so gütig."
„Was?!", kam es von Amy und mir wie aus einem Munde.
„Dad!", machte Amy: „Das ist wirklich nicht..."
„Wie ihr wünscht, Earl", sagte Undertaker mit ruhiger Stimme und grinste weiter vor sich her. Unsere Köpfe flogen herum: „Bitte was?!"
„Meine Damen, meine Damen", machte der Bestatter lachend und wackelte mit dem Kopf: „Ich werde nicht Stunden meines Lebens bei euch verbringen. Ehehehe! Ich bin nicht eure Anstandsdame und dazu habe ich nun wirklich auch keine Lust. Ich stecke kurz meine Nase durch Fenster, erkundige mich und verschwinde wieder."
„Aber", versuchte Amy ein letztes Mal unsere Privatsphäre zu retten. Doch ihr Vater zeigte sich erbarmungslos und beendete die Diskussion, bevor sie richtig starten konnte: „Nichts aber. In dieser Sache überlasse ich nichts dem Zufall."
Amy seufzte und schaute mich an: „Hach verdammt", dann lachte sie in die Runde: „Dann muss ich ja mein Zimmer aufräumen."
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Tears and Laughter
Fanfiction[Black Butler / The Undertaker x OC / Modern Times] »Ich konnte mich nicht bewegen. Diese Augen bannten meinen Blick. Warum war die Haut des Totengräbers so kalt? Gleichzeitig mit diesem Gedanken schoss mir auch schon wieder Hitze ins Gesicht und ic...