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Jungkook Pov

"Jungkook?", fragt er erneut und nach einem viel zu langen Moment der starre nicke ich langsam und sehe ihn weiterhin an. Es kommt mir alles so unwirklich vor, den Jungen hier vor mir sitzen zu haben, den ich bisher nur auf dem einen Bild gesehen habe, das er mir gesendet hat, aber für ihn muss das ganze noch schlimmer sein. Ich wusste wenigstens das er hier sein würde, für ihn muss das aussehen als hätte ich ihn aufgesucht, gegen seinen Willen.

"Was tust du hier?", fragt er verwirrt und mustert mich von oben bis unten. Seine Augen bleiben kurz an den Sternen auf meinen Schultern hängen, dann an meinem Namensschild bevor er mir wieder in das Gesicht sieht und mich mindestens ebenso lange anstarrt wie ich es bei ihm getan habe.

Ich ziehe die Hand zurück, die ich eben noch auf seine legen wollte bevor er sie weggezogen hat und sehe ihn besorgt an. "Das Krankenhaus hat uns gerufen, du sollst in deiner Wohnung von einem unbekannten angegriffen worden sein. Stimmt das?"

Jin wird mich später dafür zur Schnecke machen, nicht mitgeschrieben zu haben, aber ich halte es für unpassend jetzt den Block und den Stift heraus zu holen, das würde das ganze wirken lassen wie ein Verhör, dabei ist es für mich sogar viel mehr was persönliches als was berufliches. Ich weiß, dass ich als Polizist hier bin, aber dieser Kerl, der Taehyung all das angetan hat, könnte der selbe sein, der uns das mit den Handys eingebrockt hat. Er könnte der Mörder sein, nach dem wir suchen. Mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit ist er das sogar.

"Er hat mich nicht angegriffen", sagt er leise, fast flüsternd und wendet den Blick wieder ab um seine Hände anzustarren, die er in seinen Schoß gelegt hat. "Er war da, er hat mich mit einer Waffe bedroht."

"Moment." Ich unterbreche ihn kurz und starre die leere weiße Wand an um meine Gedanken ein wenig zu ordnen. Jemand war in seiner Wohnung, jemand war definitiv da und hat ihn so zugerichtet, wieso also versucht er mir gerade zu erzählen, dass er nicht angegriffen wurde? Wieso stürmt jemand mit einer Waffe bei sich in die Wohnung von jemand anderem ohne die Absicht ihn anzugreifen? Natürlich könnte es auch sein, dass dieser jemand Beute wollte, aber das wäre ein doch recht großer Zufall, wenn man bedenkt, was gerade alles für scheiße passiert.

"Lass mich ausreden." Die Hände zu Fäusten geballt hebt er wieder den Blick und sieht mich an. "Er kam mit einem Küchenmesser bewaffnet zu mir, klingelte und als ich die Tür öffnete, betrat er einfach meine Wohnung. Er stand da, das Messer in seinen zitternden Händen und der Kapuze auf dem Kopf. Ich dachte, er würde mich töten, Jungkook, ich dachte der Mistkerl ist gekommen, weil er keine sechs Monate ausgehalten hat."

Ohne darüber nachzudenken wie er darauf reagieren könnte, setze ich mich auf sein Bett und nehme seine Hände zwischen meine. Statt sie, wie zuvor und wie eigentlich erwartet wieder weg zu ziehen, klammert er sich fest, verzweifelt und ängstlich, auf die gleiche Art mit der er mich auch ansieht.

"Was hat er getan?", frage ich ungeduldig, weil ich es nicht mehr aushalte nicht zu wissen was passiert ist.

"Nicht er." Taehyung schüttelt den Kopf und sieht mich mit großen Augen an. "Ich habe ihn zuerst angegriffen. Ich habe eine Vase nach ihm geworfen und als er auf dem Boden lag, habe ich mir eine der Glasscherben genommen. Ich wollte ihn verletzen, ich wollte damit auf ihn einstechen, aber mein ganzer Körper war wie erstarrt. Etwas in meinem Kopf rief mir zu ich soll es tun, dass ich ihn töten soll bevor er es mit mir tut-"

"Aber du hast es nicht getan, richtig?"

Tränen laufen seine Wangen hinunter, seine Lippen zittern eben so sehr wie der Rest seines Körpers, aber er scheint sich nicht wirklich um seine eigenen Gefühle kümmern zu wollen. Alles was ihn beschäftigt ist das, was er beinahe getan hätte, das was ihn solch eine Angst verspüren lässt. Eine Angst vor sich selber.

"Du verstehst das nicht, Jungkook. Du glaubst, ich hätte auf mein Gewissen gehört, auf meinen Verstand, aber die Wahrheit ist, dass ich es getan hätte, wenn er nicht sein eigenes Messer in meine Schulter gerammt hätte."

Er versucht wieder seine Hände wegzuziehen und das zu tun, was er bereits in den Chats immer gemacht hat, nämlich sich zurück zu ziehen, sich abzuschotten, aber ich halte seine Hände fest und schüttle den Kopf, obwohl ich innerlich noch dabei bin all das zu sortieren.

Er gibt sich die Schuld an etwas, woran er eigentlich keine Schuld trägt. Der Typ bricht bei ihm ein, Taehyung wirft eine Vase nach ihm, eine Reaktion die er wohl der Angst zur verdanken hat und er tut das, was viele in seiner Situation getan hätten, wenn sie keinen anderen Ausweg außer der Wut sehen - er greift an.

Was er gerade denkt, weiß ich nicht, alles was ich mit Sicherheit sehen kann ist, dass er mit seinem Gewissen zu kämpfen hat. Er war bereit einen Menschen zu verletzen, vielleicht sogar zu töten, zumindest glaubt er das, aber ich zweifle daran.

"Du hättest ihn nicht verletzt", sage ich und nehme jetzt sein Gesicht in meine Hände. Zu meiner Überraschung zuckt er auch hier nicht vor meinen Berührungen zurück, ganz im Gegenteil. Ich weiß nicht ob ich es mir einbilde oder nicht, aber ich habe sogar das Gefühl er lehnt sich ein wenig gegen meine Hände.

"Ich wollte ihn töten."

"Aber du hast es nicht. Du hast gezögert." Ich streiche ihm die Haare aus dem Gesicht, weil sie bereits anfangen an seinen Tränen zu kleben und versuche es ein wenig trocken zu wischen. "Das, wonach wir verlangen, ist nicht immer das, was wir wollen, verwechsel das nicht. Auch ich stelle mir das Gesicht dieses Kerls vor wenn ich meine Waffe sehe und ich frage mich wie es wohl wäre ihm mitten ins Herz zu schießen, aber würde ich es auch tun? Ich weiß es nicht, aber was ich weiß ist das du gezögert hast als du es konntest."

Das zittern lässt sich nach wie vor nicht stoppen, dafür hat er aber aufgehört zu weinen und sieht mich nun nicht länger mit Verzweiflung an, sondern mit Hoffnung in den Augen. "Du bist nicht das Monster, zu dem du versuchst dich selber zu machen, aber er ist eines. Du hast ihn gesehen und du lebst noch, du bist unsere Chance diesen Mistkerl zu fassen."

Beinahe hätte auch ich wie er vorhin bei unseren eintritt vergessen, wo wir uns gerade befinden. Ich hatte für die Zeit, in der ich mit ihm gesprochen habe, das Gefühl, das nur wir beide in dieser Welt existieren. Selbst das offene Fenster, durch das die kalte Luft strömt, hat mich nicht weiter gestört, es wird mir erst wieder klar als Taehyung den Kopf schüttelt und den Blick wieder senkt.

"Der Kerl sagte etwas, was ich vor lauter Angst erst im nachhinein verstanden habe. Er war nicht der Mörder, Jungkook. Er war ein weiteres Opfer, eines das dieses Spiel ebenfalls spielt. Genau wie wir."

Dark Room |Vkook - Texting|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt