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Der Wind pfiff, wog das hohe Gras hin und her und ließ gelbe und rote Blätter einen Tanz in der Luft aufführen. Regen fiel in Massen, der Himmel weinte, wie er es seit Wochen schon nicht mehr getan hatte und tauchte die Landschaft in einen schimmernden Scheier. Die Blumen auf dem Feld hatten sich verschlossen und außer dem unermüdlichen Kampf zwischen Wind und Regen war kein Geräusch zu hören. Keine Biene, die von Blume zu Blume zog, keine Vögel, die ihre Symphonien in den Bäumen aufführten, keine Kinder, die ausgelassen auf den Feldern tollten. Nichts, nur die rohe Naturgewalt des Wetters.

Die kleine Straße, die die Landschaft durchschnitt, wirkte fast wie fehl am Platz. Ein unwillkommener Eindringling in der sonst so belebten Umgebung, der die Idylle störte. Und dennoch war sie da, trennte Osten von Westen, Wald von Wiese. Sie durchbrach den Horizont in der Ferne, folgte der Landschaft in krausen Schlangenlinien, bewegte sich mit ihr die Hügel auf und ab und führte schließlich in einen Wald.

Doch die einzigen Fahrzeuge, auf die man hier treffen konnte waren entweder vollgepackte Kombis von verirrten Familien auf ihrem Weg in den alljährlichen Badeurlaub oder Traktoren von den Bauern, die die Felder ringsum bewirtschafteten. 

Da war der kleine, rote Polo, welcher soeben hinter einer der Erhebungen zum Vorschein kam, wohl eher die Ausnahme. 

Musik drang durch die geschlossenen Fenster und die Scheibenwischer kämpften auf höchster Stufe gegen den Regen an, während er deutlich über dem Tempolimit - aber seien wir ehrlich, das würde hier ja doch niemanden stören - , über den nassen Asphalt donnerte. 

Am Steuer saß eine junge Frau, augenscheinlich nicht viel älter als 19 Jahre, die im Rhythmus der E-Gitarren, die aus den Lautsprechern drangen, auf dem Lenkrad mittrommelte. Die blonden Haare, welche offenbar zu Beginn der Fahrt nur lieblos in einen Pferdeschwanz gebunden worden waren, lösten sich langsam aus diesem und hingen nun in ihrem Gesicht. Mit einer Hand strich sie eine einzelne Strähne, die in ihren Augen hing zurück hinter ihr Ohr, während die andere weiterhin das Lenkrad umfasste. Ein kleiner silberner Ring zierte ihren rechten Nasenflügel und unter den hochgekrempelten Ärmeln der schwarzen Lederjacke ließen sich Tattoos erahnen. 

Warum war sie hier? Und wie war sie hier her gekommen?  Wer war sie überhaupt? 

Auch ihr Auto sah aus, als hätte es die besten Zeiten schon hinter sich gehabt. Jeweils eine Delle im Heck und am rechten Kotflügel, Lack, der von den Türen absplitterte und ein langer, tiefer Kratzer, welcher sich über die Fahrerseite zog. Der Motor ratterte auf eine Art, wie kein Motor jemals rattern sollte und der Auspuff wackelte bei jeder Bodenschwelle verdächtig. Man konnte es gut und ohne schlechtes Gewissen als Schrotthaufen bezeichnen. Ein Wunder, dass es noch fuhr, geschweige denn in diesem Tempo.

Die Frau hatte ihre Augen auf die Straße gerichtet, als die Bäume um sie herum höher und dichter wurden. Das Tageslicht wurde immer weniger, bis es irgendwann nur noch als ein leichtes Glitzern zwischen den Blättern  zu vernehmen war. Der Regen liesß die ganze Situation nur noch erdrückender wirken.

Ein Blick in den Rückspiegel, welcher im Übrigen auch von einem Riss geziert wurde, verriet ihr, dass sie alleine war. Soweit sie nach vorne sehen konnte sah sie keine weitere Menschenseele, ebenso wenig wie nach hinten. 

So fangen die schlechtesten Horrorfilme an, dachte sie sich und musste schmunzeln. 

Das Dröhnen der E-Gitarre hatte mittlerweile aufgehört, schreiende Sänger verfluchten nicht mehr alles und jeden, stattdessen wurden sie von einer ruhigeren Gitarrenmelodie abgelöst. Gefangen im Moment schloss sie ihre Augen und ließ sich von den Klängen tragen. Sie war immer schon der Überzeugung, dass Musik Emotionen in den Menschen hervorrufen kann, von denen man nicht wusste, dass sie überhaupt existierten. Sie konnten dich in alte Erinnerungen zurückführen, wie ein Fotoalbum für die Ohren. Manche Lieder verband man einfach mit gewissen Momenten, seien es nun die schönen im Leben oder die weniger schönen. Jeder hatte seine eigene Playlist des Lebens, welche nie enden würde. Man konnte jeden Tag aufs Neue-

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