Kapitel 02

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„Was?", schrie sie mit hoher Stimme. „Was soll das heißen?"

„Dass ich mir einen neuen Job suchen muss", antwortete er. Leider wieder falsch.

„Willst du mich provozieren?"

„Natürlich nicht, Schatz."

„Wir haben hart dafür gearbeitet, damit du diese Stelle bekommst. Opfer gebracht."

Sean fand, dass sie übertrieb. Er hatte nicht das Gefühl, dass sie das gemeinsam durchgestanden hätten. Allerdings wusste er sehr wohl, wie wichtig ihr seine Stelle gewesen war. Wie sie vor den Nachbarn und ihren Freundinnen angegeben hatte. Sie war es auch, die darauf bestanden hatte, dass er sich dort bewarb.

Um keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, verlegten sie ihr hitziges Gespräch vom Vorgarten ins Esszimmer. Jetzt musste Amanda nicht einmal das falsche Lächeln aufrechterhalten und tobte mit voller Wucht. Dabei befand sich das Messer noch immer in ihrer Hand. In regelmäßigen Abständen zerteilte sie die Luft, um ihrer Wut die entsprechende Glaubhaftigkeit zu verleihen.

„Schatz, bitte leg das Messer weg. Du könntest dich verletzen." Oder mich. Sean sah sich nach Anakin um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Er würde ihm auch keine Hilfe sein.

„Ich kann damit umgehen. Und du lenkst schon wieder vom Thema ab", schimpfte sie. Plötzlich hielt sie inne und starrte ihn mit ihrem kritischen Blick nieder. „Wie siehst du überhaupt aus?"

Kopflos war er aus dem Büro gestürmt und nach Hause gefahren, ohne einen letzten Blick in den Spiegel zu werfen. Gut, dass Bourdain keinen Lippenstift trug, ansonsten hätte sie ihn sofort einer Affäre bezichtigt. Bestimmt war sein Haar zerzaust, das Jackett verknittert und die Krawatte verrutscht. Vergeblich versuchte er sie zu richten, konnte aber nicht mehr viel retten.

„Ich will nicht mehr zurück", sagte er stattdessen mit fester Stimme. Zumindest glaubte er, sie sei es. Es war nicht gut ihre Fragen zu ignorieren, aber ihr würde er gewiss nicht erzählen, was passiert war.

„Ist das so eine ich-bin-ein-Mann-und-viel-zu-stolz-Sache?"

Nein. Es war eine ich-bin-ein-Mann-aber-mein-Chef-will-mich-trotzdem-vögeln-Sache.

Ihn übermannte das schlechte Gewissen, obwohl er in dieser Situation eindeutig das Opfer war. Schließlich hatte Bourdain ihn geküsst und nicht umgekehrt. Er konnte diesem Mann nicht mehr ins Gesicht blicken, ganz egal, was seine Frau von ihm erwartete. Das, was sein Chef von ihm erwartete, war um Einiges schlimmer.

„Das hat mit Stolz nichts zu tun", erwiderte er matt. Den besaß er schon lange nicht mehr.

„Es hat immer mit Stolz zu tun."

„Bourdain ist mit meiner Arbeit nicht zufrieden. Er will-."

„Etwas anderes habe ich jetzt auch nicht erwartet." Sie zeigte mit der Messerspitze auf ihn, während sich der Zeigefinger ihrer anderen Hand schmerzhaft in Seans Brust bohrte. „Du musst dich mehr engagieren, dann nimmt er dich auch wieder zurück!"

Die Version von sich selbst und Bourdain, nackt, auf dessen Büroschreibtisch schob Sean schnell beiseite, als diese bei Amandas Worten vor seinem inneren Auge auftauchte.

„Wenn du wüsstest, was er getan hat", flüsterte er mehr zu sich selbst, als zu ihr gewandt, doch natürlich hatte sie wieder alles mitbekommen.

„Das sind doch alles nur Ausreden, Sean. Wenn du wolltest, dann hättest du viel mehr erreicht. Immer muss ich dir vorher in den Arsch treten, damit du dich bewegst", wütete sie.

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