Kapitel 03

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Zerknittert, mit stechenden Rückenschmerzen und steifem Nacken erwachte Sean mit den ersten Sonnenstrahlen. Die Autotür öffnete er unter erheblichen Anstrengungen, hievte den linken Fuß heraus und ließ den Rest von sich herausfallen wie überreifes Obst. Zu mehr war er nicht in der Lage.

Der Asphalt war kalt und binnen weniger Sekunden spürte Sean Nässe durch sein Jackett und seine Hose dringen. Es musste nachts geregnet haben. Er konnte sein Glück kaum fassen. Wenn er schon mal hier unten war, sollte er sich vielleicht gleich auch das Gesicht in der Pfütze waschen.

Stöhnend richtete er sich auf und versuchte den groben Schmutz mit den Händen abzuklopfen, was die feuchten Flecken aber nicht schöner machte. Sein Haar stand wild von seinem Kopf ab, während tiefe Augenringe seine Verwandtschaft zu den Pandabären vermuten ließ. Rote und weiße Striemen zeichneten sich auf seiner Wange ab, da er die ganze Nacht auf irgendwas gelegen hatte, das einen deutlichen Abdruck auf seinem Gesicht hinterlassen hatte.

Sean streckte den Rücken durch, spürte die Wirbel einrasten, dann zog er einmal kräftig an seinem Jackett und machte sich selbstbewusst Richtung Eingangstür. Dort stellte er fest, dass sein Code bereits gesperrt worden war. Niedergeschlagen ließ er den Kopf hängen. Er hatte vor allen anderen ins Büro gehen wollen, damit keiner seinen erbärmlichen Zustand bemerkte. Bourdain war sicherlich schon dort.

Unsicher blickte er durch die Scheibe in die Eingangshalle. Bis auf ein paar Wachmänner, war es noch ausgestorben. Vergeblich versuchte er ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und ihnen pantomimisch zu zeigen, dass er seine Karte vergessen hatte. Sie bemerkten ihn nicht.

Eine unerwartete Berührung an seiner Schulter ließ ihn hochschrecken.

„Was machen Sie hier?", fragte eine zaghafte Frauenstimme leise.

Sean wirbelte herum. Vor ihm stand eine schlanke junge Brünette in einem grauen Kostüm. Sie saß drei Blöcke von ihm entfernt. Ihr Name war...

„Nancy?", fragte er unsicher.

„Ja. Sie kennen mich?"

„Ich bin's. Sean Grandy." Sean strich sich durchs Haar und hoffte, dass sie ihn wiedererkennen würde. Einige verhängnisvolle Sekunden verstrichen, in denen sie ihn interessiert musterte.

„Wurden Sie überfallen?"

Sean wollte gerade abwinken, als er sich eines Besseren besann. „Ja. Und die Schweine haben mir auch meine Schlüsselkarte geklaut. Ich muss in mein Büro, um den Zweitschlüssel fürs Auto zu holen. Nachdem sie erkannt haben, was das für eine Rostlaube ist, hatten sie keine Motivation mehr es zu klauen. Die Schlüssel wiedergegeben haben sie mir aber nicht."

„Oh mein Gott, Sie Ärmster. Wie lange stehen Sie denn schon hier? Haben Sie die Polizei informiert?"

„Das werde ich. Ganz sicher. Aber ich würde doch gerne nach Hause fahren und mich ein wenig frisch machen."

„Das kann ich verstehen." Ihr skeptischer Blick durchbohrte ihn. Er hoffte, dass ihre Gutmütigkeit ausreichen würde, um seiner lahmen Lüge Glauben zu schenken. Das tat sie.

Bevor die Sicherheitsleute ihn bemerken konnten, schlüpfte Sean unauffällig durch die Tür zum Treppenhaus.

Im zweiten Stock verließ Sean das Treppenhaus und nahm den Lift nach oben in die Chefetage. Mit Erschrecken stellte er das Ausmaß seiner nächtlichen Schlafaktion im Auto fest. Aus der verspiegelten Innenverkleidung des Lifts blickte ihm ein Mann entgegen, den er selbst kaum wiedererkannte. Vergeblich versuchte er seine Haare mit etwas Spucke platt an seinen Kopf zu drücken, aber die widerspenstigen Strähnen weigerten sich ihm zu gehorchen.

Chicago AffairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt