Kapitel 12

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Nachdem sie einige Zeit schweigend dagestanden hatten, beschlossen sie sich etwas Abkühlung zu verschaffen. Es war ein wunderschöner Samstag, trotzdem wunderte Sean sich, dass sein Chef nicht arbeitete. Holden war ein verdammter Workaholic. Als Erster kommen, als Letzter gehen. Freie Tage gab es für diesen Mann keine. Und trotzdem standen sie lachend auf der Terrasse, tranken ein kaltes Bier, während Ivy, Holdens Haushälterin, ein deftiges Mittagessen zubereitete.

Im Einklang mit sich selbst und in die wohlige Decke des Glücksmoments gehüllt, zerbrach Sean sich darüber nicht weiter den Kopf. Abwarten und sehen was passieren würde, machte mehr Spaß, als Bourdain mit Fragen zu löchern, auf die er mit größter Wahrscheinlichkeit keine Antwort bekam.

„Du hättest mir ruhig sagen können, dass es ein Geschäftsessen wird", warf Sean den gestrigen Abend wieder ein.

„Das wäre doch langweilig."

„Also stehst du drauf mich zu verwirren?"

„Ich bin nicht unbegabt", witzelte Holden. „Ich wollte sehen, wozu du fähig bist, Sean. Was in dir steckt."

„Deswegen werde ich ins Haibecken geworfen?"

„Niemand hat dir auch nur einen Finger abgebissen."

„Und wie habe ich mich geschlagen?", fragte Sean interessiert. „Deiner Meinung nach?"

„Du verträgst Einiges, aber überspannst auch mal den Bogen", kommentierte Bourdain neutral, als würde er irgendwelche Fakten in einem Sachbuch vorlesen.

„Was soll denn diese kryptische Antwort? Ich war fantastisch. Du willst es nur nicht zugeben." Stolz schwoll Seans Brust an. Wenn er eins konnte, dann Smalltalk und das wusste er.

„Du hast dich überhaupt nicht übers Geschäft unterhalten."

„Das brauchte ich auch nicht. Es war ein Essen. Die Männer wollten entspannen und nicht über die Arbeit vollgetextet werden."

„Es war ein Geschäftsessen. Da redet man eben über das Geschäft. Habe ich gemacht und niemanden hat das gestört. "

„Ganz recht. Du hast dich den ganzen Abend mit der Moorleiche unterhalten, ansonsten warst du der absolute Partykiller."

„Das war ein sehr wichtiger Klient. Ein guter Investor."

Prustend brach das Lachen aus Sean heraus. „Du hast versucht einem Fossil das 1x1 deines Produkts beizubringen."

„Er ist der Kopf der Firma", gab Bourdain zu bedenken.

„Quatsch", Sean wischte sich Lachtränen aus den Augenwinkeln. „Seine Söhne leiten die Firma. Sie schleppen den ausgestopften Kauz nur aus Sentimentalität mit, weil George noch keines dieser Treffen verpasst hat." Frech grinste er Bourdain ins Gesicht. „Na, habt ihr zum Schluss wenigstens ein paar Frauengeschichten ausgetauscht?"

Bourdain ignorierte seinen letzten Kommentar. „Woher kennst du überhaupt seinen Namen?"

„Ich hab' eben aufgepasst. Mit Namen bin ich ziemlich gut, übrigens."

„Das sah von meiner Position ganz anders aus. Du hast vor Nervosität fast den ganzen Weinvorrat des Restaurants geleert."

„Doch nicht wegen der Investoren, darin bin ich geübt. Wegen dir war ich nervös. Wäre jeder. Selbst Georgie hätte zum Schluss fast auf dem Tisch getanzt, während du jeder Nonne bei der Audienz des Papstes Konkurrenz gemacht hättest. Hast du immer einen Stock im Arsch, wenn du mit anderen zusammen bist? " Sean schüttelte den Kopf, nippte an seinem Bier und amüsierte sich köstlich. „Vielleicht hättest du den Kellner nicht davon abhalten sollen dein Glas zu füllen?"

„Ganz schön frech." Holden richtete drohend einen Zeigefinger auf Sean, meinte es aber nicht halb so ernst, wie er tat. „Das wird dir noch teuer zu stehen bekommen." Damit nahm er ihm die Flasche aus der Hand.

„Indem du mir mein Bier wegnimmst? Alkoholfreies auch noch. Nicht einmal betrinken konnte ich mich damit."

„Gestern hast du genug fürs ganze Jahr getrunken."

Holden nahm die Sonnenbrille ab. Sachte ergriff er Seans Hand, nachdem er die zwei Bierflaschen auf einer kleinen Kommode abgestellt hatte, und führte ihn zurück ins Innere. Überrascht von dieser zärtlichen, fast mädchenhaften Geste, ließ Sean sich ohne Proteste mitführen.

„Ich bin ein furchtbarer Gastgeber. Nicht einmal das Haus habe ich dir gezeigt", erkannte Bourdain und zeigte ihm stolz sein Eigentum.

Keiner der beiden bemerkte, dass Holden die ganze Zeit über Seans Hand hielt und ihn daran, wie ein kleines Kind durch die Räume führte. Ein Zimmer war eindrucksvoller, als das andere. Mit offenem Mund und großen Augen sah Sean sich um. Beeindruckt von der stilvollen Einrichtung, die zwar modern, aber weder langweilig, noch aufdringlich avantgardistisch war.

Die letzte Station seiner Führung war der Keller. Offensichtlich hatte Holden sich das Beste zum Schluss aufgespart. Es war ein richtiges Männerzimmer. Mitten im Raum stand ein edler Billardtisch. Rot gepolsterte Sitzmöbel zogen sich von einer Ecke bis zur anderen die Wand entlang und boten genug Platz für eine ganze Fußballmannschaft. Eine Jukebox gegenüber von der Tür setzte sich in schwachem, roten Licht gekonnt in Szene, genauso wie die Bar. Das Vintagefeeling vervollständigten gerahmte Bilder, die Schwarz-Weiß Fotos berühmter Persönlichkeiten der 50er Jahre zeigten James Dean, Elvis Presley, Johnny Cash. Die Wand bestand aus echtem Ziegelstein und stand optisch der Einrichtung in nichts nach. Mit offenem Mund starrte Sean in das Zimmer. Es gefiel ihm. Sofort.

„Wow", staunte er. „Wenn du mich beeindrucken wolltest, dann hast du es jetzt geschafft."

So würde das perfekte Spielzimmer in seiner Vorstellung aussehen. Wenn die Minibar neben der Tür mehr als alkoholfreies Bier enthielt, dann wäre das Bild vollkommen. Sean liebte Billard. Über beide Ohren strahlend drehte er sich zu Holden um, der die Jukebox anwarf. Holden streckte ihm einen Billardqueue entgegen, anschließend nahm er selbst einen.

„Lust auf ein Spiel?", fragte sein Chef mit Unschuldslächeln auf den Lippen, was bei Sean einen Fluchtreflex auslöste. Der hatte doch was vor. Trotzdem nahm Sean den Spielstock an. Im Hintergrund setzte Elvis Presleys ,Little less conversation' an. Der Song war Hinweis genug.

„Ich wusste gar nicht, dass du auf den King stehst."

„Jeder mit gutem Geschmack steht auf ihn." Mit einem Zwinkern warf Holden ihm die Kreide zu.

„Lange her, seit ich so was zuletzt in der Hand gehalten habe." Ein nostalgischer Schimmer bedeckte Seans Augen und belegte seine Stimme. Vorsichtig strich er mit den Fingern über die Pomeranze, die noch mit kleinen Kreideresten überzogen war. Er strich tiefer über die Ferrule aus Elfenbein und über den wunderschönen gemusterten Zierring. Der Joint trug schwarz-weiße Musterungen und bestand aus poliertem Stahl. Perfekt ausbalanciert lag der Queue in seiner offenen Handfläche.

„Ein schönes Stück", nickte er anerkennend, nachdem er sich sattgesehen hatte.

„Krieg bloß keinen Steifen."

Sean verdrehte die Augen. Diese Anspielungen waren unter seiner Würde. „Wollen wir spielen? Oder nur quatschen?"

Beide beobachteten sich gegenseitig, während sie die Kreidewürfel mit kurzen Strichen über die Pomeranze führten. Dabei sahen sie aus, wie zwei sich duellierende Cowboys. Ihnen fehlte nur die rauchende Zigarre zwischen den Zähnen. Das Spiel konnte beginnen.

Chicago AffairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt