Kapitel 1

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Glücklich stehe ich neben meinem besten Freund auf der Bühne und verbeuge mich. Der Saal tobt, die Zuschauer stehen bereits. Lächelnd greift Julian nach meiner Hand und wir gehen etwas weiter nach hinten zu den anderen Darstellern. Eine weitere Show habe ich überstanden und das hier wird mir wirklich fehlen, wenn ich in Amerika bin. Seit zwei Wochen habe ich mein Abi in der Tasche und in einer Woche fliege ich nach Hollywood. Allerdings nicht um Urlaub zu machen, ich werde dort in einer Serie mitspielen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich es so weit schaffe, da ich eigentlich nur aus Spaß mit einer Freundin bei den Castings mitgemacht habe. Julians Hand an meiner Schulter lässt mich aus den Träumen erwachen. Wer träumt nicht einmal in einer Hollywood Serie mitzuspielen? Wer träumt nicht davon berühmte Schauspieler kennenzulernen? ,,Kommst du Mila?" Ich blicke auf den geschlossenen Vorhang und dann auf die fast leere Bühne. ,,Komme schon", antworte ich und folge ihm Backstage. Im Umkleideraum suchen wir uns jeder eine freie Umkleidekabine und ich schlüpfe aus meinem Kleid. An sich mag ich Kleider nicht, doch da ich in die Schöne und das Biest Belle spiele, darf ich das schöne goldene Kleid anziehen, welches sogar ich nicht mehr ausziehen würde. Es dauert etwas, bis ich das Kleid aus habe und meine normalen Sachen wieder an. Ordentlich hänge ich das Kleid zurück zu den Kostümen und gehe in den nächsten Raum. Im Make-Up Raum suche ich mir einen freien Stuhl und setze mich vor den Spiegel. Mit einem Abschminktuch entferne ich die ganze Schminke aus meinem Gesicht und sehe endlich wieder aus wie ein Mensch. Für die Zuschauer ist es zwar nicht erkennbar, aber wir müssen uns unsere Augen und Gesichter so stark schminken, dass es schon fast wie eine Maske aussieht, wenn man vom Nahen guckt. Nachdem alle Reste verschwunden sind kämme ich die Haarkreide aus meinen Haaren. Da ich blond bin, aber Belle nunmal braune Haare hat muss ich sie vorher mit Haarkreide einfärben, doch nach einmal waschen ist das Ganze wieder raus.

,,Hast du deinen Koffer schon gepackt?" ,,Ich fliege doch erst in einer Woche", antworte ich müde und lehne meinen Kopf an die Fensterscheibe. ,,Du machst das eh alles wieder auf den letzten Drücker. Ich kenne dich doch." Mein bester Freund grinst mich von der Seite an und setzt den Blinker um die Autobahn zu verlassen. ,,Ja siehst du. Dann muss ich ja noch nicht anfangen."  Träumend schaue ich wieder aus dem Fenster. Hollywood. Immer wieder wiederhole ich das Wort in meinem Kopf. Einige aus meiner Klasse studieren, andere machen Au- Pair oder fangen eine Ausbildung an. Und ich spiele einfach die Hauptrolle in einer Hollywood Serie. Natürlich werde ich das alles hier vermissen. Meine Familie, Julian, die Musicalauftritte, meinen Hund Space, mein Pferd Odin und alles andere auch. Doch ebenso freue ich mich so wahnsinnig auf Amerika, dass ich das kaum noch wahrnehme. ,,Mila, wach auf." ,,Ich schlafe doch gar nicht." ,,Sieht aber so aus." Julian tätschelt meine Wange und öffnet dann seine Tür. Ich öffne ebenfalls meine Tür und steige aus. ,,Bis morgen", sage ich und verabschiede mich mit einer Umarmung. Ich gehe zum linken Haus und Julian zum rechten. Seit ich denken kann wohnen wir hier. Unsere Eltern sind sehr gut miteinander befreundet und so haben Julian und ich uns ebenfalls angefreundet. Was vielleicht auch daran liegt, dass wir beide keine Geschwister haben. Der Altersunterschied von sechs Jahren hat uns nie gestört und als Julian bekannt gegeben hat, dass er schwul ist, hat es unsere Eltern ebenso wenig gestört. Die Freundschaft an sich hat sie generell nie gestört, doch wenn man uns mit sechs und zwölf Jahren gemeinsam kuschelnd im Bett gefunden hat, kamen da manchmal ein paar komische Blicke. Noch schlimmer ist es in der Öffentlichkeit gewesen als Julian sechzehn war und ich zehn. Oft wurden wir für Paare gehalten und werden es immer noch, wenn die Leute nicht wissen, dass Julian auf Männer steht. Doch er ist der beste Freund den man haben kann. Die ewigen Shoppingtouren, welche wir schon hinter uns haben, meinen ersten Liebeskummer, unsere Mädchengespräche und unsere Lästereien über diverse nervige Mädchen. Natürlich gibt es die auch in meinem Leben. Die, die einem nichts gönnen und sich Finger abhacken würden um an meiner Stelle zu sein. Mit einem leisen Klicken öffnet sich die Türe und ich trete in den Flur. Sofort kommt Space angetapst und gibt ein freudiges leises Bellen von sich. ,,Ist ja gut mein Großer." Lächelnd kraule ich ihm den Kopf und versuche gleichzeitig meine Schuhe auszuziehen. Danach schicke ich Space zurück auf seinen Platz und hänge meine Jacke auf. Auf den Weg in mein Zimmer gebe ich noch schnell meinen Eltern Bescheid, dass ich wieder da bin. Müde schließe ich die Rollladen, wechsel meine Klamotten und streiche einen weiteren Tag auf meinem Kalender weg. Noch sechs Tage. Dann sitze ich im Flieger nach Hollywood.

Ein Traum wird wahrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt